Rollstuhlfahrer Frank Oeppert stößt bei seiner Wohnungssuche in Unna im wörtlichen Sinn auf Barrieren. © Marcel Drawe

Behindertengerechtes Bauen

„Denkt an Barrierefreiheit“: Rollstuhlfahrer muss sein Haus verlassen

Keine Stufen, niedrige Lichtschalter, breite Türen: Im eigenen Haus oder in Mietwohnungen ist Barrierefreiheit oft nicht gegeben. Ein Rollstuhlfahrer erlebt gerade die beschwerliche Suche nach einem neuen Heim.

Ruhrgebiet

, 30.07.2021 / Lesedauer: 4 min

Frank Oeppert ist seit vielen Jahren auf einen Rollstuhl angewiesen. Dennoch bewältigte der 53-Jährige bis vor Kurzem die Treppenstufen in seinem Haus. Damit ist es vorbei. So wie er es einst befürchtet hatte. Doch eigene vier Wände ohne Handicaps sucht er seit Wochen vergeblich.

»Sie hätten nicht sehen wollen, wie ich mich die Treppen hinaufgezogen habe.«Frank Oeppert

„Sie hätten nicht sehen wollen, wie ich mich die Treppen hinaufgezogen habe“, erzählt der Unnaer. Oeppert leidet an einer seltenen Muskelerkrankung, die unaufhaltsam fortschreitet, seine Füße kann er schon nicht mehr bewegen.

Auszug aus dem Haus ohne neue Wohnung

„Irgendwann wird der Tag X kommen“, sagt Oeppert, das habe er immer gewusst, dann würde er auf eine ebenerdige und vor allem rollstuhlgerechte Wohnung angewiesen sein. Der Tag ist gekommen, aber die Wohnung gibt es noch nicht.

Oeppert übernachtet stattdessen seit zwei Monaten auf einer Couch in der kleinen Wohnung seiner 13 Jahre älteren Schwester in Unna, die selbst massiv rückenkrank ist.

Christian Baran (l.) ist Vorsitzender des Behindertenbeirates der Stadt Unna. Er hat NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach um ein Gespräch über barrierefreies Bauen gebeten. © Marcel Drawe

HintergrundBarrierefrei „im erforderlichen Umfang“In der erst kürzlich reformierten Landesbauordnung heißt es neuerdings, „im erforderlichen Umfang“ müssten Wohnungen ab der Gebäudeklasse 3 künftig barrierefrei gebaut werden. Gemeint sind Gebäude, die höher als sieben Meter sind und mehr als zwei Nutzungseinheiten haben.Die Landesregierung erklärt, sie habe damit „eine vielerorts gelebte Praxis umgekehrt“: Wohnungen würden künftig so gebaut, dass die Barrierefreiheit „als universales Gestaltungsprinzip Einzug in den Wohnungsbau hält“.Dagegen übt der Sozialverband Deutschland NRW scharfe Kritik an der Novelle. „Die verbindliche Definition von Barrierefreiheit in der Baupraxis“ werde weiter ausgehöhlt.Die Begründung zur Gesetzesnovellierung mache auch keinen Hehl daraus, dass die Vorgaben für barrierefreien Wohnungsbau massiv ausgedünnt werden sollen. Demnach sollen nun nur noch „wesentliche Barrieren“ vermieden werden.

Das Schlafen und selbst Liegen auf dem schmalen Sofa fällt ihm ungemein schwer, doch war die Notunterkunft seine Rettung. Neben dem Wohnungsamt der Stadt Unna hat Oeppert mittlerweile auch die Wohnungslosenhilfe des Caritasverbandes im Kreis Unna zu Rate gezogen.

Dort hat Hartmut Veit nicht nur den Umzug zu Oepperts Schwester organisiert, sondern sondiert seit zwei Monaten auch den Wohnungsmarkt für körperbehinderte Menschen.

Barrierefreiheit bei Wohnungen seit Langem ein Problem

„Den Wohnradius haben wir schon weiter gezogen als Unna“, sagt Veit. Zweimal glaubte man einen Treffer gelandet zu haben, doch dann waren die Hauszugänge zu den Wohnungen nicht barrierefrei.

Dazu muss man wissen: Frank Oepperts Krankenkasse finanziert zwar einen Treppensteiger, aber erst ab fünf Stufen, bei drei Stufen etwa vor Eingängen von Altbauten ist Oeppert aufgeschmissen.

Die Vermittlung von Wohnraum für obdachlos gewordene Menschen ist für den Caritasverband im Grunde Tagesgeschäft, aber im Fall Frank Oeppert komme man inzwischen nicht mehr weiter.

»Es ist eine Grenze erreicht.«Hartmut Veit, Wohnungslosenhilfe Caritasverband im Kreis Unna

„Es ist eine Grenze erreicht“, klagt Hartmut Veit und ergänzt: „Das ist ein politisches Problem.“ Was der 55-Jährige nur anspricht, führt Christian Baran mit Leidenschaft aus. Baran ist Vorsitzender des Behindertenbeirates der Stadt Unna und kämpft seit Jahren für strengere Vorschriften beim barrierefreien Bauen.

„Ich habe ein Déjà-vu“, sagt Baran, der an Multipler Sklerose leidet und ebenfalls auf einen E-Rollstuhl angewiesen ist.

Vor 25 Jahren sei es ihm genauso ergangen wie Frank Oeppert, er musste die Innenstadt von Unna mangels geeigneten Wohnraums verlassen und in den Stadtteil Massen ziehen, hat es jetzt viel weiter für tägliche Erledigungen.

Kritik an Novelle der Landesbauordnung

„Es hat sich nichts geändert. Das ist eine glatte Sechs“, schimpft Baran, der sich beim Thema barrierefreies Bauen und Wohnen mehr Werbung von der Stadtverwaltung wünscht, vor allem aber den Gesetzgeber im Blick und daher kürzlich Kontakt zu NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach aufgenommen hat.

„Wenn die Leute immer älter werden, brauchen wir auch mehr Hilfsmittel“, fordert der 44-Jährige. Niederflurbusse und akustische Signale an Ampeln reichten nicht aus. „Wir haben zu wenig bezahlbare barrierefreie Wohnungen“, bringt es Baran auf den Punkt. Eine für Oeppert „unbezahlbare“ Wohnung hätte es womöglich auch in Unna gegeben, der ist aber anerkannt berufsunfähig und lebt von einer kleinen Rente.

Der Bauministerin will Christian Baran daher ins Gewissen reden. Denn an den Vorschriften zum barrierefreien Bauen in der kürzlich verabschiedeten Novelle der Landesbauordnung gibt es bereits allseitige Kritik.

Hartmut Veit (l.) vom Caritasverband im Kreis Unna ist bei der Wohnungssuche für Frank Oeppert (M.) an Grenzen gestoßen. Christian Baran hat vor 25 Jahren bereits dieselbe Erfahrung gemacht und musste aus der Innenstadt nach Massen umziehen. © Marcel Drawe

»Jeder sollte daran denken, barrierefrei zu bauen. Das geht schon in die Richtung: Ich muss ja auch mein Testament machen.«Christian Baran, Vorsitzender Behindertenbeirat Stadt Unna

„Im erforderlichen Umfang“ sollen Gebäude ab einer bestimmten Größe künftig barrierefrei gebaut werden müssen – und nur eingeschränkt rollstuhlgerecht. Barrierefrei ist nicht gleich rollstuhlgerecht. „Ich brauche mindestens einen 90er-Türrahmen“, erklärt Frank Oeppert.

Fehlende Barrierefreiheit wird zum Bumerang

Christian Baran findet, dass die Notwendigkeit solcher Eigenschaften bei Häusern und Wohnungen regelrecht propagiert werden müssten. „Jeder Architekt muss das drauf haben, so wie er eine richtige Dachneigung berechnet“, fordert Baran, der aber auch an Häuslebauer appelliert. „Jeder sollte daran denken, barrierefrei zu bauen. Das geht schon in die Richtung: Ich muss ja auch mein Testament machen.“

Denn spätestens wenn Hauseigentümer in ein Alter kämen, in dem sie Stock, Rollator oder gar Rollstuhl benötigten, werde das Manko der Barrierefreiheit zum Bumerang für das eigene Wohnen und zuletzt beim Weiterverkauf der Immobilie.

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