Das Lüner Rathaus ist mehr als 50 Meter hoch. Als Willy Brandt 1960 den Neubau eröffnete, überragte es alles andere. Auch heute noch ist das 14-stöckige Gebäude weithin sichtbar. Und alles, was auf seinem Dach steht, damit auch. Zum Beispiel Flaggen. Das will sich die Grüne Jugend zu Nutze machen und Menschen fördern, die von der Gesellschaft übersehen und diskriminiert werden: Menschen mit Behinderung sowie Angehörige der LGBTQ-Community, also die lesbisch, schwul, bisexuell, transgeschlechtlich oder queer sind.
Mit wenig Aufwand - nämlich mit nur zwei Flaggen auf dem Rathausdach und jeweils einem Monat Zeit - lasse sich da viel tun, meinen die Mitglieder der Grünen-Nachwuchsorganisation. Ihren Bürgerantrag hat Ute Brettner in der jüngsten Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses vorgelesen und auf eine schnelle Umsetzung gedrängt: etwas, das beinahe auch passiert wäre. Dass es doch noch anders kam, freut einen Betroffenen. Dass das Thema damit aber auch noch nicht vom Tisch ist, ebenfalls.
„Die Grüne Jugend Lünen beantragt die LGBTQ* Regenbogenflagge
für den Pride Month (Juni) und die Disability Pride Flag für den Disability Pride Month (Juli) auf dem Rathaus zu hissen“, lautete der Antrag, den Brettner vorlas. Wenn das bereits Fragen aufwarf, ließen es sich ihre Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen nicht anmerken. Noch nicht. „Nach wie vor werden viele Menschen, die Teil der LGBTQ* Community und/oder behindert sind, diskriminiert.“
Solidarität und Sichtbarkeit
Die Auswirkungen seien gerade für junge Menschen spürbar. Als Beleg zitierten die jungen Grünen eine Umfrage des vom Bundestag gegründeten Deutschen Jugendinstituts (DJI), eines der größten sozialwissenschaftlichen Forschungsinstitute Europas. Danach erlebten 8 von 10 Jugendlichen Diskriminierung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung. „Bei der
Antidiskriminierungsstelle des Bundes gingen im Jahr 2021 32 Prozent der Anfragen zum Thema Diskriminierung aufgrund einer Behinderung ein“, hieß es weiter. Für die Grünen ein klarer Auftrag,
„Solidarität zu zeigen und Sichtbarkeit zu schaffen“ - mit den Flaggen. Ein Vorstoß, der klar und nachvollziehbar sei, so Brettner. Und der vor allem schnell beschlossen werden könne. Für den Vorschlag von Christoph Tölle (CDU), den Antrag in zwei weitere Ausschüsse zu verweisen und dort zu diskutieren, hatte sie kein Verständnis: „Das finde ich überdimensioniert.“ Auch FDP und GFL wollten „hier und heute“ abstimmen. Das war, bevor sich die meisten die Bilder von den gewünschten Flaggen angeschaut hatten, die die Grüne Jugend angefügt hatte.

Christoph Tölle war der erste, der es sagte: „Ganz im Ernst: Diese Flaggen sehe ich zum ersten Mal“ Die geforderte Regenbogenflagge hat einen mehrfarbigen Keil, der von links auf die sechs Regenbogenstreifen trifft. „Das kenne ich so nicht“, sagte Tölle. Und die Disability-Flagge mit dem bunten Zickzack auf schwarzem Grund „habe ich noch nie im Leben gesehen“. Auch Bürgermeister Jürgen Kleine-Frauns räumte ein: „Das ist nicht selbsterklärend.“ Nur die Flaggen zu hissen, die Fragen aufwerfen und keine Antworten geben, „ist nicht zielführend“, meinte er. Auch Hugo Becker (SPD) teilte die Bedenken.
Behindertenbeirat verwundert
Becker mahnte, die geforderte Abstimmung - und damit die mögliche Niederlage eines Antrags, der an sich breite Zustimmung über alle Fraktionen hinweg verdiene - zu vermeiden. Wie ursprünglich gefordert, solle das Anliegen an einen Fachausschuss, den für Personal, Organisation und Digitalisierung (POD), weiter geleitet und dort in Ruhe diskutiert werden. Denn eines sei klar: „Das ist kein Antrag, über den man streiten soll und kann.“

Wenn die Politik das nächste Mal zusammentritt, um das Flaggen-Thema zu diskutieren, wird vermutlich auch Wolfgang Bennewitz dabei sei. Er ist Vertreter einer der Gruppen, für die sich die Grüne Jugend mit ihrem Flaggenantrag stark macht. Das Problem: Auch Bennewitz, der Vorsitzende des Behindertenbeirats von Lünen, gibt zu, die Disability-Flagge noch nie gesehen zu haben. „Die kennt doch kein Mensch“, sagt er. Und das findet der Vorsitzende der Lüner Interessenvertretung von Menschen mit Behinderungen auch nicht schlimm. Eher im Gegenteil. „Denn diese Flagge zu betrachten, finde ich einfach unangenehm.“ Etwas, mit dem er nicht alleine dasteht - international.
Was die Flaggen bedeuten
Ann Magill, eine Künstlerin, die selbst behindert ist, hatte die Flagge 2019 entworfen: ein bunter Blitz in sehr hellen Tönen auf schwarzem Hintergrund. 2021 war klar, dass dieses Design ausgedient hatte. Denn die Farbsättigung war so hoch, dass es für Epileptiker und Menschen mit Migräne nicht sehr angenehm zu betrachten war. Den Kampf um Gleichberechtigung und Teilhabe, der in den USA seit gut zehn Jahren vor allem im Juli öffentlichkeitswirksam wird durch verschiedene Aktionen, symbolisiert seitdem eine von Ann Magill modifizierte Flagge in weniger grellen Farben: Die Zacken wurden zu diagonalen Streifen, die die Barriere verdeutlichen, die behinderte Menschen tagtäglich erleben. Das Schwarz steht für die Trauer darüber.
Bei der Disability-Flagge war die Grüne Jugend nicht auf dem neuesten Stand. Anders bei der Regenbogenflagge. Der Keil von links mitsamt Kreis auf dem bekannten Regenbogen bezieht seit 2021 trans-, inter- und nicht-binäre Personen sowie Black, Indigenous and People of Color (BIPoC) ein.
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