1970 wird in Brambauer ein Kind ermordet. 2018 bitten Leser plötzlich um Berichte von damals. Die Recherche beantwortet einige Fragen. Die wichtigste Frage nicht. Zumindest nicht eindeutig.
Dass unsere Redaktion um alte Fotos und Zeitungsartikel gebeten wird, kommt immer mal wieder vor. Diese Anfrage jedoch ist eine besondere. Sie kommt von einem nach eigenen Angaben älteren Ehepaar aus Dortmund und ist an „RN-Verlagsleitung und Chefredakteur RN“ gerichtet. Das Ehepaar fragt nach der Berichterstattung über die im März 1970 vermisste Anita St. aus Brambauer. Die Chefredaktion leitet die Anfrage an die Redaktion Lünen weiter. Die Spurensuche beginnt. Und hat zunächst Erfolg.
Hinweis auf einen roten Käfer
Im Stadtarchiv gibt es etliche Zeitungsartikel zu dem Fall, der vor über 48 Jahren ganz Lünen erschütterte. Vor allem aber Brambauer, wo die zehnjährige Anita mit ihrer Familie lebte. In einem Haus in der Helmutstraße. Ihr Vater ist Bergmann. Doch in ihr Elternhaus kehrt sie am 5. März 1970 nicht zurück. Die Eltern melden Anita als vermisst. Die Polizei beginnt mit der Suche, bittet die Öffentlichkeit um Hilfe. Es gehen Hinweise ein. So auch der eines 14-jährigen Schülers, wonach Anita auf der Königsheide vor der Glückauf-Apotheke in einen roten VW-Käfer gestiegen sein soll. Doch die Aussage bringt die Polizei offenbar nicht weiter. Einige Tage später kreist der Polizeihubschrauber über Brambauer. Es ist ein weiterer vergeblicher Versuch, Anita zu finden.

Das Haus, in dem Anitas Leiche gefunden wurde, steht nicht mehr. Auf dem Eckgrundstück Heinrichstraße, Waltroper Straße befinden sich heute zwei Gebäude: Eine Autowerkstatt mit Tankstelle (Bild) und die Ulu-Moschee. © Peter Fiedler
Am 8. Mai 1970 wird aus dem Vermisstenfall ein Mordfall, als ein Arbeiter bei Aufräumarbeiten in einem abbruchreifen Haus an der Ecke Heinrichstraße/Waltroper Straße eine Leiche entdeckt. Es sind die sterblichen Überreste von Anita. Die Obduktion ergibt, dass das Mädchen mit brutaler Gewalt erschlagen wurde. Ziemlich sicher schon am 5. März. An dem Tag, als Anita verschwand. 3000 Mark Belohnung setzt die Staatsanwaltschaft für Hinweise auf den Täter aus.
Grab wurde längst eingeebnet
Am 14. Mai 1970 wird Anita auf dem Kommunalfriedhof Brambauer beigesetzt, in einem Reihengrab. Viele Menschen begleiten sie auf ihrem letzten Weg, darunter etliche Mitschüler der Diesterwegschule. Das Grab in Feld 27 existiert nicht mehr, teilt die Stadt Lünen auf Anfrage mit: „Das gesamte Feld wurde 1998 aufgehoben, weil die Ruhezeit beendet war.“
Der Bericht über die Beisetzung ist der letzte im Stadtarchiv zu diesem Fall. Nach Sichtung der Bestände bezeichnet Stadtarchivar Fredy Niklowitz den Mord in einer Mail an die Redaktion als unaufgeklärt. Aber stimmt das?
Das Haus in der Helmutstraße, in dem Anita mit ihren Eltern lebte, steht noch. Dort wohnen mehrere Parteien. So auch eine Frau, die sich vor allem deshalb erinnert, weil ihr Bruder dieselbe Schule wie Anita besucht hat. „Das war doch damals ein Serientäter“, meint sie. Sie glaubt sicher, dass der Fall aufgeklärt wurde. Ob und wo Anitas Eltern leben, kann sie nicht sagen. Werner Streich, der jahrzehntelang die Glückauf-Apotheke führte, erinnert sich anders: „Das mit dem Serientäter war damals ein Gerücht, das sich aber nicht bestätigt hat“, sagt der 83-Jährige. Und ist auch sicher.
Akte bisher nicht zu finden
Ob der Mord aufgeklärt wurde oder nicht, das müsste eigentlich die Dortmunder Staatsanwaltschaft wissen. Doch sie kann die Frage (noch) nicht beantworten, wie Pressesprecher Henner Kruse erklärt: „Wir haben etwas gefunden unter dem Uraltaktenzeichen. Da steht aber nur der Name und das alte Aktenzeichen. Unsere Geschäftsstelle geht von einem neuen Aktenzeichen aus.“ Die Akte mit dem neuen Aktenzeichen lässt Kruse suchen. Seit Wochen. Bisher ohne Erfolg. Das Archiv hat noch nicht geliefert. Wenn aber das mit dem Serientäter stimmen sollte, mutmaßt Kruse, könne das Verfahren auch bei einer ganz anderen Behörde geführt worden sein. Und die Akte könnte dann dort liegen.
Zurück zu dem Ehepaar, das sich für die Berichte von damals interessiert. Es besitzt nach eigenen Angaben weder Computer noch Telefon und kommuniziert nur schriftlich per Brief, über ein Postfach. Im jüngsten Schreiben hat unsere Redaktion angeboten, Kopien der Berichte von damals zu schicken, allerdings unter einer Bedingung: Wir würden gerne erfahren, warum sich das Ehepaar nach so langer Zeit für den Mord in Brambauer interessiert. Diese Frage ist bisher unbeantwortet geblieben.
Berichtet aus Lünen über Lünen für Lünen. Jahrgang 1958, Urgestein bei Lensing Media, seit über 40 Jahren im Geschäft. Vieles hat sich in dieser Zeit verändert, eines nie: Die Leidenschaft für Lokaljournalismus.
