Das geschah in der Pogromnacht in Lünen Nazis trieben Mann in die Lippe und ließen ihn ertrinken

Das geschah in der Pogromnacht in Lünen: Nazis trieben Mann in die Lippe und ließen ihn ertrinken
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In der Reichspogromnacht am 9. November 1938 spielte auch die Stadt Lünen eine unrühmliche Rolle. Drei jüdische Bürger wurden in der Nacht von Nazis ermordet, ein vierter starb ein halbes Jahr später an den Folgen der Repressalien gegen ihn.

Seit Jahrzehnten wird an die vier Männer in einer Gedenkfeier am 9. November erinnert. Albert Bruch und Siegmund Kniebel wurden von den Nazis erschossen. Waldemar Elsoffer wurde von den braunen Horden in die Lippe getrieben und ertrank. Bernhard Samson wurde so misshandelt wurde, dass er im April 1939 an den Folgen starb.

In Zivil gekleidete SA- bzw. SS-Angehörige waren für die Ausschreitungen im November 1938 in Lünen verantwortlich. Erstes Ziel ihrer Gewalt war die Synagoge unweit der Stadtkirche St. Georg. Auf der Homepage der jüdischen Gemeinden wird das Geschehen geschildert: „Die braunen Horden zerstörten die Inneneinrichtung und versuchten Feuer zu legen; das Eingreifen des dortigen Hausmeisters verhinderte Schlimmeres. Das Mobiliar des Synagogenraumes schleppte man dann auf den Alten Markt, um es dort - zusammen mit anderem - zu verbrennen; das Feuer lockte viele Schaulustige an.“

Menschen misshandelt, Geschäfte verwüstet

Inzwischen hatte man andere Wohnungen durchsucht und demoliert, Schaufenster jüdischer Geschäfte zerschlagen und die Auslagen auf die Straße geworfen. Die jüdischen Bewohner wurden misshandelt und zum Marktplatz geschleppt, wo sie gezwungen wurden, sich auf Stühle zu stellen und SA-Hetzlieder zu singen.

An der Synagoge befand sich auch die jüdische Schule. Ein Foto aus dem Turnunterricht, das Kinder mit ihrem Lehrer zeigt, war Ausgangspunkt für einen Film, der dem jüdischen Leben in Lünen ein besonderes Denkmal setzt. Im Auftrag der Bürgermeister-Harzer-Stiftung hatte sich der Lüner Regisseur Michael Kupczyk auf Spurensuche begeben - nach den „Kindern der Turnstunde“, wie der Film heißt.

Lore Gottlieb, geb. Terhoch, lebte seit Jahrzehnten in Israel. In Haifa interviewte Michael Kupczyk die gebürtige Lünerin 2016.
Lore Gottlieb, geb. Terhoch, lebte seit Jahrzehnten in Israel. In Haifa interviewte Michael Kupczyk die gebürtige Lünerin 2016. © Michael Kupczyk

Für die Dokumentation reiste Kupczyk auch nach England, um Herbert Haberberg zu interviewen, der mit seiner Familie seit 1935 in Brambauer wohnte und dort zur Schule ging. 1938 wurde er mit seinen Eltern nach Polen deportiert. Von Polen aus kam er zusammen mit dem kleinen Bruder mit einem der „Kindertransporte“ nach England, wo er nach dem Krieg blieb. Seine Eltern starben im Konzentrationslager in Polen.

In Haifa traf Kupczyk im Mai 2016 Lore Gottlieb, geb. Terhoch, Jahrgang 1922. Fast ihre ganze Familie war von den Nazis ermordet worden. Sie selbst überlebte einen Transport vom KZ Bergen-Belsen und wanderte nach Israel aus.

Kurz vor ihrem 97. Geburtstag ist Lore Gottlieb im Oktober 2019 gestorben. Das erfuhr Kupczyk von einer ihrer Töchter. Magi Vigdor kam nach Lünen zur Premiere der „Kinder der Turnstunde“. Zwei Jahre später war Yael Rosenfeld mit ihrem Mann in Lünen, auf den Spuren ihrer Mutter und Großeltern. „Ich bin froh, dass ich noch so viele Zeitzeugen interviewen konnte“, sagt der Regisseur.

Stolpersteine erinnern in Lünen an die Opfer der Pogromnacht und auch an die Protagonisten in „Kinder der Turnstunde“. Vor einem Jahr wurde die Homepage „Verwischte Spuren“ vorgestellt, die an jüdisches Leben in Lünen, Selm und Werne erinnert und vor allem für junge Menschen gedacht ist.

Hinweis der Redaktion: Dieser Text erschien erstmalig am 7. November 2020. In Andenken an die Reichspogromnacht haben wir ihn erneut veröffentlicht.