„Als ich mit ihm kuscheln wollte, hat er mir die Nase gebrochen“

© Symbolfoto: Maurizio Gambarini/dpa

„Als ich mit ihm kuscheln wollte, hat er mir die Nase gebrochen“

rnOpfer häuslicher Gewalt

Es gibt Geschichten, die sehr traurig und kaum zu fassen sind. So wie die von Martha Veltmann (39). Ihr Lebensgefährte hat sie über Jahre geschlagen und gedemütigt. Trotzdem bekam sie ein Kind von ihm.

von Kevin Kohues

Kreis Unna

, 02.04.2022, 17:00 Uhr / Lesedauer: 3 min

Martha Veltmann (39) ist eine Frau aus dem Kreis Unna*. Sie wurde von ihrem Lebensgefährten geschlagen, gewürgt und vergewaltigt. Er machte ihr das Leben zur Hölle – und auch noch ein Kind. Diese Geschichte kann einen sehr traurig oder auch sehr wütend machen. Doch immerhin: Dank der Hilfe des Weißen Rings und der Frauen- und Mädchenberatungsstelle im Kreis Unna geht es der Frau inzwischen etwas besser.

Anfangs ein Traumtyp: „Du bist wie eine Göttin für mich“

Aber der Reihe nach. Es ist rund dreieinhalb Jahre her, dass Martha Veltmann sich neu verliebte. Ihr Neuer schien ein Traumtyp zu sein. „Du bist wie eine Göttin für mich“, sagt er zu ihr, ist sehr charmant, ein lieber Kümmerer. „Er hat mir den Eindruck vermittelt, ich hätte fortan keine Probleme mehr und hat mich wie eine Prinzessin behandelt“, erinnert sich die 39-Jährige. Aus heutiger Sicht viel zu schnell fällt der Satz „Ich liebe Dich“, der Neue quartiert sich bei ihr und ihrer Tochter ein. „Endlich habe ich eine Familie, das hab ich mir immer gewünscht“, sagt er zu ihr.

Er bemächtigt sich all ihrer Daten und Passwörter

Das Glück aus Sicht von Martha Veltmann währt vier Wochen lang. „In der fünften Woche hat er mich das erste Mal vergewaltigt“, sagt sie. Nach und nach fallen die Masken, immer öfter entpuppt sich der Mann als gewalttätig und manipulativ. Er versucht Martha von ihren sozialen Kontakten zu isolieren, will dass sie aufhört zu arbeiten, bemächtigt sich all ihrer Daten und Passwörter. „Er konnte nicht viel, aber mit Computern kannte er sich aus“, sagt sie mit bitterer Stimme.

Seine Fähigkeiten reichen so weit, dass er Kurznachrichten abfangen kann – mit dem gruseligen Ergebnis, dass er statt des eigentlichen Empfängers plötzlich an verabredeten Orten auftaucht.

„Erst gezuckert, dann entwertet“ – immer wieder

Martha Veltmann spricht bemerkenswert offen und klar über das, was dieser Mann ihr angetan hat. „Gewalt hat viele Formen und Farben“, sagt sie immer wieder, und die Schläge und Vergewaltigungen seien noch nicht einmal das Schlimmste gewesen. „Das Entwürdigendste war, dass er mich immer wieder gezuckert und dann entwertet hat“, sagt sie. Es geschah in banalen Alltagssituationen wie beim Einkaufen. An der Supermarktkasse lässt er sie vor der Kassiererin schlecht aussehen, macht ihr eine Szene, warum er schon wieder alles bezahlen müsse. Danach trägt er ihr, ganz Gentleman, die Einkaufstüten zum Auto.

Ein anderes Mal bricht er ihr das Nasenbein, weil sie zehn Minuten länger mit ihrer Mutter telefoniert als vereinbart. „Er wollte eigentlich mit mir kuscheln und ich wollte auch mit ihm kuscheln, aber er wurde von jetzt auf gleich zum wütenden Stier“, schildert Martha Veltmann.

„Wenn du mich verlässt, dann passiert nicht nur dir was...“

Hat denn niemand etwas mitbekommen? Doch, natürlich. Marthas Tochter bekommt viel mit und auch die Nachbarn. Immer wieder rufen sie die Polizei. Doch Martha sagt, sie habe sich lange nicht getraut etwas zu sagen. Er baut eine wirksame Drohkulisse auf, schüchtert sie ein: „Wenn du mich verlässt, dann passiert nicht nur dir was, sondern auch deinen Kindern...“

Zu allem Unglück wird sie noch einmal schwanger, obwohl sie eigentlich gar kein Kind mehr wollte. „Er hat sich zunutze gemacht, dass ich ihm mal anvertraute, ein Kind verloren zu haben. Er wollte, dass ich in ihm die Rettung sehe.“

Reinhard Streibel (70) und Sarah Koepe (20) vom Weißen Ring im Kreis Unna helfen Gewaltopfern.

Sie helfen Gewaltopfern: Reinhard Streibel (70) und Sarah Koepe (20) vom Weißen Ring im Kreis Unna. © Kevin Kohues

Doch es gibt keine Rettung, es wird nur schlimmer. Die Polizei lässt mal einen Flyer da über Hilfe bei häuslicher Gewalt und irgendwann gelingt es Martha Veltmann, die bereits angebotene Hilfe vom Weißen Ring und Frauenforum Unna auch anzunehmen. „Wir helfen Opfern auch, wenn sie keine Anzeige erstatten“, sagt Sarah Koepe, und Reinhard Streibel ergänzt: „Das tun Opfer häuslicher Gewalt nämlich ganz oft nicht.“

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Koepe (20) und Streibel (70) sind zwei von sechs Ehrenamtlichen, die für die Außenstelle Unna des Weißen Rings arbeiten. Sie vermitteln Ansprechpartner in rechtlichen Fragen, können aber auch finanzielle Soforthilfe leisten. Im Fall von Martha Veltmann bezahlen sie etwa eine Firma, die ein Sicherheitsschloss an ihrer Wohnungstür anbringt, um unerwünschten Zutritt zu unterbinden. Die alte Tür war sehr leicht zu öffnen, mit schlimmen Folgen: Als Veltmann sich während der Schwangerschaft von ihrem Lebensgefährten trennt, sitzt der plötzlich nachts an ihrem Bett.

Er stalkt weiter – wahrscheinlich hilft nur ein Umzug

Obwohl die beiden inzwischen schon eine Weile getrennt sind, spioniere er ihr weiter hinterher und lauere ihr auf. Und wie geht es nun weiter? „Eigentlich wollte ich mich nicht aus meinem gewohnten Umfeld vertreiben lassen, aber wahrscheinlich wird es nur mit einem Umzug gehen“, sagt Veltmann. Ein neues Leben anfangen mit ihrem zum Glück gesunden Baby, irgendwo anders in Deutschland, wo er sie nicht findet.

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Da er die Vaterschaft nicht anerkennt, hat er auch kein Recht, das Kind zu sehen. Es könnte das Ende einer sehr traurigen Geschichte sein. Und vielleicht der Anfang eines neuen, besseren Lebens für Martha Veltmann und ihr kleines Kind.

  • Anmerkung der Redaktion: Um das Opfer zu schützen, veröffentlichen wir weder den richtigen Namen noch den genauen Wohnort der Frau. Beides ist der Redaktion bekannt.
  • Opfer von Kriminalität und Gewalt finden Hilfe beim Weißen Ring. Die Kontaktdaten und weitere Informationen finden sich auf der Webseite unna-nrw-westfalen-lippe.weisser-ring.de