Oksana & Victoria flohen aus Kiew nach Lünen Angst um Familie im Kriegsgebiet ist ständiger Begleiter

Oksana und Viktoria flohen aus Kiew nach Lünen: Angst um Familie ist ihr täglicher Begleiter
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Als am 24. Februar 2022 russische Truppen die Ukraine überfielen, änderte sich das Leben von Millionen Menschen in dem Land zwischen Lwiw, Kiew, Charkiw und Odessa. Von einem Tag auf den anderen. Viele Frauen entschlossen sich, mit ihren Kindern ins Ausland zu fliehen. Die Männer mussten in der Ukraine bleiben, um zu kämpfen. Eine dieser Frauen, die aus Sorge um ihre Tochter ihre Heimat verlassen hat, ist Oksana Nurko. Die 38-Jährige lebt bis zum Angriffskrieg mit ihrer Familie in der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Am 20. März 2022 nahmen Oksana Nurko und Tochter Victoria ihr Gepäck und flohen nach Deutschland.

Seitdem leben sie in Lünen. In der ersten Zeit bei Lena und Christian Schneider und ihren beiden Kindern. Der Kontakt hält bis heute, auch wenn die beiden Geflüchteten mittlerweile eine eigene kleine Wohnung haben. „Ich hätte nie gedacht, dass ich in ein anderes Land ziehen würde, um dort zu leben“, erzählt die 38-Jährige. Lange wollte sie die Ukraine auch nach Kriegsbeginn nicht verlassen. „Aber der Krieg nahm nur noch mehr Fahrt auf.“

Lena (l.) und Christian Schneider freuen sich, dass sie Oksana (2.v.l.) und ihrer Tochter Victoria, die aus Kiew geflüchtet sind, auch weiterhin helfen können.
Lena (l.) und Christian Schneider freuen sich, dass sie Oksana (2.v.l.) und ihrer Tochter Victoria, die aus Kiew geflüchtet sind, auch weiterhin helfen können. © Günther Goldstein

Mit Hilfe von freiwilligen Helfern kamen Oksana und Victoria nach Lünen. „Wir haben keine Verwandten in Deutschland.“ Die herzliche Begrüßung von Familie Schneider ist der Ukrainerin noch heute gut in Erinnerung. „Ich bin ihnen sehr dankbar für ihre Unterstützung und Hilfe.“ Der Kontakt besteht weiterhin, per Whatsapp, Übersetzungs-App und auch persönlich. Wie sehr die junge Frau unter der Lage in ihrem Heimatland gelitten hat, zeigte sich schon wenige Stunden nach ihrer Ankunft in Lünen. Familie Schneider hatte für Mutter und Tochter in ihrem Haus ein Zimmer vorbereitet. „Erst als ich bei Lena und ihrer Familie ankam, konnte ich zum ersten Mal seit Kriegsbeginn wieder richtig einschlafen“, erinnert sich Oksana Nurko.

Schon einen Monat nach ihrer Ankunft bei Familie Schneider fanden Mutter und Tochter eine kleine Mietwohnung. „Auch hier hätte ich es ohne Lena Schneider nicht geschafft", sagt sie. Die Wohnung war mit einigen Möbeln und einer Einbauküche ausgestattet. Ein Glücksfall, denn die beiden Ukrainerinnen konnten bei ihrer Flucht nur wenige Dinge mitnehmen. Der Bauverein zu Lünen als Vermieter stellte ihnen außerdem Bettwäsche und Handtücher zur Verfügung. „Auch Bekannte und Verwandte von Familie Schneider versorgten uns, so gut sie konnten, mit nötigen Dingen.“

Sehnsucht nach der Ukraine

In Kiew hat Oksana Nurko als Erzieherin in einem Kindergarten gearbeitet. Ihre Tochter (14) besuchte die 7. Klasse. Für die 14-Jährige ist die Situation in dem für sie fremden Land mit der fremden Sprache besonders schwierig. Derzeit besucht Viktoria die Geschwister-Scholl-Gesamtschule. „Der Umzug nach Deutschland und das Lernen der deutschen Sprache fallen ihr sehr schwer“, sagt ihre Mutter. Das junge Mädchen befindet sich mitten in der Pubertät, eine ohnehin schwierige Phase für Eltern und Kinder. Und das alles in einer fremden Umgebung, ohne ihre Freunde und Familie. „Leider hat sie in Lünen noch keine Freunde gefunden, deshalb träumt Victoria von einer Rückkehr in die Ukraine.“

Bisher nahm sie per Video-Chat auch am Unterricht in ihrer ukrainischen Schule teil, das ist nun nicht mehr möglich. Deshalb fällt nun auch dieser Kontakt zu ihren langjährigen Freunden weg. Es war ein Halt in dieser schweren Zeit mit einer ungewissen Zukunft. Für Mutter Oksana beginnt der Tag seit ihrer Flucht damit, dass sie sich über ukrainische Telegram-Kanäle über die Situation in ihrer Heimat informiert. Auch Nachrichten ihrer Mutter kommen so zu ihr: „Ich weiß dann, ob alles in Ordnung ist und ob die Nacht ruhig verlief.“

Mutter Oksana (l.) und Tochter Victoria hätten nicht gedacht, dass sie einmal ihre Heimat verlassen müssen.
Mutter Oksana (l.) und Tochter Victoria hätten nicht gedacht, dass sie einmal ihre Heimat verlassen müssen. © Nurko

In diesem Sommer hat Oksana mit Tochter Victoria ihre Eltern in der Ukraine besucht. „Ich habe sie sehr vermisst.“ Einerseits hatte die 38-Jährige Angst, mitten im Krieg in ihre Heimat zu reisen. „Aber der Wunsch, einen Verwandten zu sehen, überwand meine Angst.“ Was hat sie in ihrer kriegsgebeutelten Heimat erlebt? „Das Leben geht dort weiter. Die Menschen sind stärker geworden, haben sich daran gewöhnt, in Gefahr zu leben und an täglichen Luftalarm. Sie leben und gehen ihren Geschäften nach und hoffen, dass die heutige Rakete nicht ihr Haus trifft und das Leben ihrer Lieben kostet.“

Während es ihrer Tochter sehr schwer fällt, in Deutschland Fuß zu fassen, hat Oksana Nurko Deutschkurse auf B1-Niveau besucht und erfolgreich abgeschlossen. „Dann hat mich das Jobcenter zum B2-Kurs geschickt, damit ich eine Anstellung als Soziallehrerin oder Erzieherin finden kann.“ Trotz aller Ungewissheit über ihre Zukunft und allen Ängsten sagt die Ukrainerin: „Wir sind Deutschland für alles unendlich dankbar, die soziale Absicherung ist hier einfach großartig. Hier bleibt ein Mensch nie ohne Unterstützung.“

Kinder schützen

Oksana hofft, dass es nach dem Krieg auch in der Ukraine zu positiven Veränderungen kommen wird. „Wir vermissen unser altes Leben sehr, da wir nie vorhatten, auszuwandern. Ich war mit meinem Leben in der Ukraine recht zufrieden, habe jetzt aber viele meiner Ansichten überdacht“, sagt die 38-Jährige.

Sie wisse auch, dass sich viele Deutsche nicht mehr über die Ankunft der Ukrainer freuen. Mancher frage sich, warum die Geflüchteten nicht in ihre Heimat zurückkehren. Der Grund ist einfach: „Jeder schützt seine Kinder und will nicht sein Leben riskieren.“ Die meisten Ukrainer würden nach dem Krieg zurückgehen. Doch es werde auch Menschen geben, die alles verloren haben und die dann in Deutschland Schritt für Schritt ein neues Leben beginnen.

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