In Lünen werden im Vergleich zu vorigen Jahren weniger Kredite nachgefragt. Das zeigen die Zahlen der Sparkasse an der Lippe und der Volksbank Selm/Bork. Das liegt unter anderem an den hohen Zinsen, die Banken derzeit für ihr Geld fordern. Mit immer weiteren Zinserhöhungen will die europäische Zentralbank (EZB) die Inflation in die Knie zwingen. Derzeit liegt der Leitzins bei 4,25 Prozent. Dieser legt fest, zu welchen Konditionen Kreditinstitute bei der Zentralbank Geld leihen können.
Die Idee dahinter lautet so: Teure Kredite führen zu weniger Investitionen von Unternehmen und die Verbraucher sparen mehr, weil der Anlagezins höher ist. Durch den Nachfragerückgang soll verhindert werden, dass die Preise weiter ansteigen.
Bislang geht der Plan noch nicht ganz auf. Die Preise sind weiterhin hoch. Laut dem Statistischen Bundesamt betrug die Inflation im Juli 6,2 Prozent. Im Gegenzug rutscht die Wirtschaft ab und stagniert beziehungsweise sinkt, so wie im ersten Quartal 2023 und im letzten Quartal des vergangenen Jahres. Eine andere Folge der EZB-Politik: Kredite werden auch für Privatpersonen immer teurer, die sich gern den Wunsch vom Eigenheim erfüllen würden oder für andere Anschaffungen Geld von der Bank benötigen.
Weniger Kredite in Lünen
Das Kreditvolumen der Sparkasse an der Lippe betrug 1,64 Milliarden Euro zum 31. Juli 2023, sagt Pressesprecher Bernd Wieck. Das seien 57 Millionen Euro mehr als zu Jahresbeginn. Im laufenden Jahr verzeichne die Sparkasse aber eine deutlich abflachende Nachfrage.
Zum Vergleich: Im Jahr 2022 betrug das Nettowachstum des Kreditvolumens 175 Millionen Euro. Coronabedingt sei das vergangene Jahr aber auch von Nachholeffekten geprägt gewesen, sagt Wieck. Es war das erfolgreichste Kreditjahr seit Bestehen der Sparkasse an der Lippe.
Laut dem Sprecher belaufen sich die privaten Kredite derzeit auf rund 755 Millionen Euro (+ 40 Mio. Euro), die gewerblichen Kredite auf rund 820 Millionen Euro (+ 21,7 Mio. Euro). Die Höhe der Kreditzusagen habe in diesem Jahr bisher 154 Millionen Euro betragen.
Bei der Volksbank Selm-Bork stieg das betreute Kreditvolumen im vergangenen Jahr gar nicht und sank sogar um 0,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf 322 Millionen Euro. Vorstand Thomas Krotki begründete das in einer Pressemitteilung mit der abrupten Zinswende. Zugleich machte er klar, warum ein Rückgang der Kreditnachfrage kritisch zu beäugen ist: „Jeder ausgeliehene Euro bedeutet Arbeitsplätze, Wertschöpfung und Zukunftsinvestition.“ Aktuell gehe die Volksbank davon aus, dass das Kundenkreditvolumen 2023 wieder um 7,2 Millionen Euro ansteige, sagt Volksbank-Sprecher Asmus Schütt.

Keine Neubauten gefragt
Christian Jacob (30) ist selbstständiger Immobilienmakler in Lünen und berät Kunden unter anderem auch bei der Aufnahme von Krediten. Die Unsicherheit der Menschen nach den Zinssteigerungen im vergangenen Jahr fand er bemerkenswert. „Dass jemand komplett neu baut und einen Architekten dazu nimmt, habe ich seit zwei Jahren nicht mehr gesehen. Die Nachfrage ist dahingehend sehr eingebrochen und für viele Leute gar nicht mehr interessant.“
Asmus Schütt bestätigt die Aussagen des Finanzvermittlers. Seit Beginn der Zinswende Mitte 2022 sei eine starke Zurückhaltung im privaten Finanzierungsbereich, insbesondere was den Immobilienerwerb betrifft, festzustellen.
„Die Baukosten sind höher, der Verschuldungsgrad wird größer. Ein eigenes Haus wird für viele immer schwieriger zu erreichen“, sagt Christian Jacob. Trotz der schwierigen Konjunkturlage sieht er den Immobilienmarkt derzeit als „Käufer-Markt“, aufgrund der geringen Nachfrage könnten die Kunden in Verhandlungen stärker ihre Interessen vertreten. Seit April gehe die Kreditnachfrage wieder etwas nach oben. Interessanter sei es für viele Menschen nun aber eher, in Zwei - oder Mehrfamilienhäuser zu investieren und die Kosten auf mehrere Personen zu verteilen.
Das macht sich auch bei der Volksbank bemerkbar, wie Asmus Schütt sagt. „Der russische Angriff auf die Ukraine und die damit einhergehende hohe Inflation sowie die Zinswende führten zu einer starken Zurückhaltung, die sich aktuell wieder etwas aufhellt.“ Derzeit werde das Kreditgeschäft verstärkt vom Firmenkundenbereich getragen.
Erhebliche Mehrkosten
Eine Familie mit einem Haushaltsnettoeinkommen von 3.000 Euro müsste für einen Hauskredit von 300.000 Euro ungefähr mit Zinsen von 4,5 bis 5 Prozent rechnen, sagt Christian Jacob. Bei 2 Prozent Tilgung käme man dann auf Monatsraten von ungefähr 1600 Euro, ohne Bewirtschaftungskosten. „Teilweise kommen noch 300 oder 400 Euro Bewirtschaftungskosten hinzu, das war früher nicht der Fall. Die durchschnittlichen Monatsraten haben sich fast verdoppelt. Das kann sich ein durchschnittlicher Arbeitnehmer kaum noch leisten.“
Deswegen seien viele seiner Kunden nun Personen, die bereits ein Haus besitzen und einen Kredit für die energetische Sanierung aufnehmen. Sei es für Photovoltaikanlagen, die Installation einer Wärmepumpe oder die Dämmung der Wände.
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