Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Dortmund gegen Lünens Bürgermeister Jürgen Kleine-Frauns (parteilos) wegen des Verdachts der Weitergabe von Dienstgeheimnissen sowie versuchter Strafvereitelung im Zusammenhang mit dem Missbrauchsfall Daniel Wolski (SPD) dauern an. Das erklärte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Dortmund am Donnerstag (11. Januar) auf Anfrage unserer Redaktion. Zu einem möglichen Abschlusstermin der Ermittlungen machte der Sprecher keine Angaben.
Grund für die Ermittlungen ist eine E-Mail, die Kleine-Frauns am 18. Januar 2023 um 18.01 Uhr erhalten und um 18.50 Uhr, nachdem er sie mit seinem Privathandy abfotografiert hatte, an Daniel Wolski per Whats-App sendete. In der Mail soll Kleine-Frauns auf die sexuellen Übergriffe von Wolski gegenüber Minderjährigen hingewiesen worden sein.
Nach Recherchen unserer Redaktion enthielt die Whats-App-Nachricht von Jürgen Kleine-Frauns an Daniel Wolski folgenden Inhalt:
„Hallo Daniel, die fotografierte Mail ist kurz nach 18 Uhr in meinem Postfach buergermeister@luenen.de eingegangen. Weil mehrere Personen Einblick in das Postfach haben, habe ich sie ausgedruckt und anschließend gelöscht. Über die E-Mail werde ich mit niemandem sprechen. Ich sende sie Dir zu Deiner Information. Glückauf.“
Schweigegelübde
Ob sich Lünens Bürgermeister Jürgen Kleine-Frauns in der Folgezeit vollumfänglich an sein Schweigegelübde gehalten hat, ist nicht bekannt. Fest steht, dass er bis Anfang Dezember 2023 weder die Polizei, die Staatsanwaltschaft oder aber den Verwaltungsvorstand über die E-Mail informiert hat. Das änderte sich erst, als Kleine-Frauns Anfang Dezember eine Presseanfrage wegen polizeilicher Ermittlungen gegen seine Person erhielt. Wenige Stunden vor Erscheinen eines Zeitungsberichtes informierte Kleine-Frauns am Donnerstag (7. Dezember) um 17 Uhr den Haupt- und Finanzausschuss über die Geschehnisse:
„Bevor wir in die Tagesordnung einsteigen, möchte ich Sie über eine Presseanfrage informieren, die mich gestern (Mittwoch, 6., Anm. d. Red.) erreicht hat. Sie bezieht sich auf polizeiliche Ermittlungen gegen meine Person. Es geht um eine Mail, die ich am 18. Januar nach 18 Uhr erhalten habe. In der Mail mit dem Betreff ‚Ihr Kollege Daniel Wolski‘ wird behauptet, dass Herr Wolski einen Chat-Kontakt zu einem 16-jährigen Mädchen habe und dass er ihr für ein Treffen Geld angeboten habe. Vorgeworfen wird mir, dass ich Herrn Wolski über diese Mail informiert und sie anschließend gelöscht habe.“
Er sei sich sicher gewesen, dass eine „perfide Verleumdungskampagne“ gegen seinen damaligen Stellvertreter drohe. „Um Herrn Wolski zu ermöglichen, eine Unterlassung der von mir angenommenen Verleumdungskampagne zu erwirken“, sagte Jürgen Kleine-Frauns, „habe ich ihn direkt nach dem Lesen der Mail per WhatsApp informiert. Er hat darauf etwa eine Stunde später mit dem wörtlichen Kommentar reagiert, dass das ja ,unglaublich‘ sei.“

Halbe Wahrheit?
Was Lünens Bürgermeister dem Ausschuss vorenthielt war, dass zwei Staatsanwälte und vier Polizeibeamte am Donnerstag (30. November) im Lüner Rathaus mit einem Durchsuchungs-Beschluss in seinem Büro auftauchten und ihn dort 90 Minuten zu Rede stellten. Zum Vorgehen der Staatsanwaltschaft und unter dem steigenden Druck der Öffentlichkeit sowie der Lüner Politik an seiner Informationspolitik erklärte Kleine-Frauns dann Mitte Dezember per Pressestatement unter anderem:
„Ja, es stimmt, ich habe eine Mail mit Vorwürfen gegen Herrn Wolski an diesen sofort weitergeleitet. [...] Allerdings, und das ist ein erheblicher Unterschied, habe ich diese Mail nicht gelöscht, sondern in den Papierkorb verschoben. Dort war sie jederzeit wieder auffindbar und greifbar. Darum konnte ich diese Mail auch ohne jegliches Zögern und mit sofortiger Kooperationsbereitschaft der Staatsanwaltschaft zur Verfügung stellen. Dazu hätte es eines so massiven Auftretens der Ermittlungsbehörden gar nicht bedurft. Die Staatsanwaltschaft ist mit mehreren Beamten regelrecht in mein Büro gestürmt.“
Im Nachhinein wirke das Auftreten der Staatsanwaltschaft Dortmund befremdlich. Denn genau diese Staatsanwaltschaft habe schon vor zwei Jahren exakt genauso reagiert wie er, teilte Kleine-Frauns in dem Pressestatement weiter mit: „Bei einem nahezu gleichen Vorwurf gegen meinen ehemaligen Stellvertreter hat sie nicht einmal einen begründeten Anfangsverdacht gesehen, Grundvoraussetzung für ein Ermittlungsverfahren, das damals ausgeblieben ist.“
Hinkender Vergleich
Damit spielte Kleine-Frauns auf die Strafanzeige einer damals 15-Jährigen bei der Staatsanwaltschaft Dortmund an, die im Jahr 2020 von Daniel Wolski auf Instagram belästigt wurde. Die Ermittlungen wurden eingestellt. Zu dem von Kleine-Frauns angebrachten Vergleich hatte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Dortmund gegenüber unserer Redaktion erklärt, dass bei den Ermittlungen gegen Kleine-Frauns - im Gegensatz zur Situation damals im Fall Wolski - ein Anfangsverdacht bestehe.
Angesprochen auf die Whats-App-Nachricht des Lüner Bürgermeisters an Daniel Wolski vom Januar 2023 hieß es bei der zuständigen Staatsanwaltschaft Bochum: „Da können wir ja froh sein, dass wir bei der Hausdurchsuchung (bei Wolski, Anm. d. Red.) im März überhaupt noch belastendes Beweismaterial gefunden haben.“
Daniel Wolski, ehemaliger stellvertretender Bürgermeister und SPD-Ratsherr, sitzt seit Ende Oktober 2023 in Untersuchungshaft. Ihm wird der Besitz von kinderpornografischem Material sowie der Missbrauch Minderjähriger im Alter von 13 bis 17 Jahren vorgeworfen. Inzwischen hat der ehemalige SPD-Ratsherr und einstige Vorsitzende der Lüner „Jungsozialistinnen und Jungsozialisten in der SPD“ (Jusos) ein Teilgeständnis abgelegt.
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