Auf der Covid-Intensivstation des St.-Marien-Hospitals wurde die Lünerin behandelt. Wie auf diesem Symbolbild konnte sie nur mit Schutzmaßnahmen behandelt werden. © picture alliance/dpa

Bericht eines schweren Verlaufs

„Mein einziges Problem: Atmen“: Covid-Kranke aus Lünen über Todesangst im Intensivbett

Wenn‘s geht, nimmt Katharina Gerst (55) immer die Treppen. Momentan schafft sie es aber ohne Aufzug nicht. Die Krankenschwester war mit dem Coronavirus infiziert - und landete auf der Intensivstation.

Lünen

, 16.06.2020 / Lesedauer: 5 min

Wie sie sich mit dem SARS-CoV-2-Virus angesteckt hat, kann Katharina Gerst* gar nicht sagen. Vielleicht im Flugzeug, auf dem Rückflug aus dem Urlaub. Auf Mauritius war die 55-Jährige im März gewesen, Corona spielte dort noch keine Rolle. Wenige Tage später gehen die Bilder von überfüllten und überforderten Krankenhäusern in Bergamo um die Welt. Viele Menschen sterben auf italienischen Krankenhausfluren, weil in den Zimmern kein Platz mehr ist. Und Katharina Gerst liegt auf der Intensivstation des St.-Marien-Hospitals und bekommt kaum noch Luft. Sie kämpft um ihr Leben.

Die ersten Symptome

Dass sie möglicherweise krank ist, bemerkt Katharina Gerst eine gute Woche nach der Rückkehr aus dem Urlaub, es ist der 23. März, ein Montag. Vorher war sie noch Arbeiten gewesen, sie ist Krankenschwester im St.-Marien-Hospital. Auf einmal aber fühlt sie sich schlapp und sagt den Kollegen, dass sie besser zu Hause bleibt, sie ist eigentlich für den Spätdienst eingeteilt. Fieber hat sie nicht, sie kommt einfach nicht mehr aus dem Bett.

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Besser wird es in den nächsten Tagen nicht, im Gegenteil. Am Donnerstag schleppt sie sich schließlich für einen Corona-Test ins Krankenhaus. Anders wäre sie in dieser frühen Phase der Pandemie so schnell nicht an einen Test gekommen. Ihr Mann, der sich schon früher krank fühlt, wird erst nach elf Tagen beim Gesundheitsamt getestet. Gersts Ergebnis ist am nächsten Tag da. Es ist Freitag, der 27. März. Und Katharina Gerst ist mit SARS-CoV-2 infiziert, dem sogenannten Coronavirus.

Der Weg ins Krankenhaus

Die Diagnose bedeutet erst einmal nur: Zurück ins Bett, Quarantäne. Freunde und Nachbarn erledigen die Einkäufe, stellen sie vor die Haustür. Ihren Mann sieht sie nur noch ab und zu, etwa in der Küche beim Tee machen. Aber auch das wird seltener, denn der Weg aus dem Schlafzimmer heraus wird immer anstrengender. Sie, die sonst sportlich ist, Rad fährt, Fitnesskurse macht, nie den Aufzug, immer die Treppen nimmt, ist jetzt bei jeder kleinsten Bewegung kurzatmig. Und: Sie bekommt Fieber, es steigt bis auf 39 Grad.

Das geht ein paar Tage so, wird schlechter, nicht besser, obwohl sie Medikamente gegen das Fieber nimmt. Nach sechs Tagen beschließt sie, Dr. Berthold Lenfers anzurufen, der in der Corona-Krise der Leiter des Covid-Koordinationsstabes am Krankenhaus ist. Sie beschließen, dass Gerst stationär ins St.-Marien-Hospital kommen soll. Lenfers weiß nämlich: Es gibt zwei Erkrankungs-Schübe. „In der ersten, banalen Phase ist es ein einfacher Infekt. In der zweiten Phase geht es oft schnell auf die Intensivstation.“ Gerst ist möglicherweise schon in der zweiten.

Auf der Covid-Intensivstation des St.-Marien-Hospitals wurde die Lünerin behandelt. Wie auf diesem Symbolbild konnte sie nur mit Schutzmaßnahmen behandelt werden. © Foto Neubauer

Erst aber wird Gerst auf der normalen Infektions-Station aufgenommen, der Bereich C1, der zu der Zeit und bis heute für Covid-Erkrankte vorgehalten wird. In der Klinik startet man die „Große Covid-Routine“, das sind festgelegte Verfahrensanweisungen, nach denen die Corona-Patienten untersucht werden. Ein genaues Blutbild, eine umfangreiche Blutuntersuchung soll zeigen, wie weit das Virus ihren Körper schon befallen hat. Blutgerinnungswerte können Hinweise geben, ob möglicherweise eine Thrombose-Gefahr besteht, das ist bei vielen Corona-Patienten der Fall.

Viele Werte sind schon zu diesem Zeitpunkt „deutlich erhöht“, wie Lenfers sagt. Ihr Blut gibt preis, dass zu der viralen Infektion ihrer Lunge mittlerweile eine bakterielle hinzugekommen ist. Gerst bekommt Sauerstoff über eine Nasenbrille und über eine Infusion ein Antibiotikum. Das hilft zumindest gegen den bakteriellen Anteil der Erkrankung.

Am nächsten Tag ist ein Wert im Blut allerdings weiter gestiegen, der sogenannte LDH-Wert. LDH steht für Laktatdehydrogenase, er zeigt an, ob es Zellschäden im Körper gibt. Hat man etwa einen Herzinfarkt oder einen Autounfall, dann steigt der LDH-Wert an. Dass Gersts LDH-Wert steigt, zeigt: Die Krankheit greift massiv Zellen in der Lunge an und zerstört sie. Ein weiteres Alarmsignal.

Die Intensivstation

Lenfers entscheidet, dass Gerst am besten auf der Intensivstation weiter behandelt werden sollte. „Als ich das gehört habe, da dachte ich mir: Das sieht gar nicht gut aus.“ Das normale Atmen fällt ihr mittlerweile schwer, mehr als das.

„Das war mein einziges Problem: Atmen. Ich musste mich so konzentrieren, das kann man sich gar nicht vorstellen. In den Momenten, in denen es besonders schlimm war, habe ich richtig Panik bekommen. Angst und Panik.“

Von der Station C1 wird sie auf die Covid-Intensivstation im neunten Stock verlegt. Auf dem Weg dahin ordnen die Ärzte noch ein CT an, die Bilder von der Lunge sollen unter anderem zeigen, ob sie möglicherweise eine gefährliche Lungenembolie hat. Hat sie nicht, immerhin. Die Bilder zeigen aber: Knapp ein Viertel ihrer Lunge ist entzündet.

<figure><img src="https://s12.directupload.net/images/200611/roadmgcp.gif" width="100%" height="auto" alt="Hund mit Halsband und gefletschten Z&auml;hnen." /> <figcaption><small>Der Blick von oben auf eine gesunde Lunge im CT-Bild - und im Vergleich die der schwerkranken L&uuml;ner Patientin. Die milchigen Eintr&uuml;bungen zeigen, dass eine Virus-Entz&uuml;ndung vorliegt. 20 bis 25 Prozent der Lunge waren betoffen. In der Mitte unten ist die Wirbels&auml;ule, dar&uuml;ber das Herz zu sehen. Das Bild der gesunden Lunge stammt von einem anderen Patienten.</small></figcaption> </figure>

Wie in einem Bienenwabensystem wird in einer gesunden Lunge Sauerstoff durch CO2 ausgetauscht. Man müsse sich das so vorstellen, als wären diese Bienenwaben bei einer Entzündung mit Flüssigkeit ausgegossen, sagt Lenfers. Das Gewebe wird dichter und dicker. „Als würde man durch ein Handtuch atmen.“

Außerhalb ihres Zimmers beraten jetzt drei Ärzte ihren Fall, Dr. Lenfers, Prof. Dr. Wolfram Wilhelm, Chefarzt der Anästhesiologie und Intensivmedizin und Prof. Dr. Christian Perings, Chefarzt unter anderem der Kardiologie und Pneumologie. Sie beraten auch, ob Gerst möglicherweise intubiert und beatmet werden muss, beschließen aber: So weit ist es noch nicht. Eine gute Nachricht.

Hat sich der Zustand eines Patienten erst einmal so weit verschlechtert, dass er oder sie intubiert werden muss, sinken die Überlebenschancen drastisch.

Katharina Gerst konzentriert sich unterdessen weiter aufs Atmen. Über einen Katheter in einer Schlagader misst ein Sensor kontinuierlich den Sauerstoff-Anteil in ihrem Blut. Kontakt mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen hat sie nur noch über WhatsApp. Besuche sind natürlich nicht erlaubt. Zum Telefonieren fehlt ihr die Luft. In ihrem Körper arbeitet das Antibiotikum, eine Kollegin, erfährt sie später, zündet für sie eine Kerze im Kloster an.

Der Weg zurück nach Hause

Das Antibiotikum schlägt an. An die Visite am nächsten Morgen erinnert sich Gerst noch genau. „Am Fenster kam gerade die Sonne heraus.“ Der Arzt fragt sie, wie es ihr geht. „Ich traue es mich gar nicht zu sagen, ich glaube, ein kleines bisschen besser“, antwortet sie. Lenfers hatte das schon vermutet: Die Besserungen hatte er schon im Blutbild gesehen.

Ab da geht es ganz schnell. Schon bald braucht Gerst keinen Sauerstoff mehr, wird zurück auf die normale Covid-Station verlegt und einige Zeit später nach zwei negativen Tests wieder nach Hause entlassen.

Die akute Krankheit hat sie hinter sich, bis sie wieder arbeiten kann, vergehen jedoch weitere fünf Wochen. Nach oben nimmt sie den Aufzug, Treppen sind immer noch anstrengend. Was sie erlebt hat, bewegt sie auch psychisch noch. „Das ist ein Trauma-Erlebnis, wenn man da liegt und nicht weiß, ob man den nächsten Tag überlebt. Man denkt: Was wird aus meiner Familie?“

Die Verarbeitung der Erlebnisse läuft noch. Spürt sie jetzt ein Kratzen im Hals, muss sich räuspern, macht sie sich direkt wieder Gedanken: Was, wenn sie doch noch mal erkrankt? Dabei gilt sie als immun, ihr Körper hat Antikörper gegen das Virus gebildet.

Ein Rätsel bleibt, wieso sie, die Sportliche ohne Vorerkrankungen, so schwer erkrankt ist, ihr Mann aber nicht. Möglicherweise hat sie im Flugzeug eine hohe Virusdosis über längere Zeit direkt in die Lunge geatmet. Ihr ist es egal. Sie hat ihre Geschichte erzählt, um andere vor den Gefahren des Virus zu warnen - und will ihre Erfahrung jetzt möglichst schnell vergessen.

*Name von der Redaktion geändert

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