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Panik nach Ischgl-Reise, Einsamkeit in Quarantäne: Lünerin erzählt von Corona-Erfahrung
Coronavirus
Bedenkenlos war sie nach Ischgl in den Skiurlaub gefahren, mit vielen Ängsten ist sie wenig später in die Heimat zurückgekehrt: Eine Lüner Krankenschwester erzählt von ihrer Corona-Krankheit.
Tut tut. Tut tut. Tut tut. 180 Mal hört sie an diesem Tag das Besetztzeichen am anderen Ende der Leitung und mit jedem Mal steigt noch ein bisschen mehr Angst in ihr hoch, entwickelt sich langsam zur Panik. Am Abend zuvor - ein Tag Anfang März - ist sie aus dem Skiurlaub zurückgekehrt. Oder besser: Sie hatte zurückkehren müssen. Mit einer Gruppe Freundinnen war sie in Ischgl gewesen, also in dem Urlaubsort, in dem das Coronavirus ganz besonders zugeschlagen hatte.
Dabei waren die Freundinnen noch bedenkenlos in die Gemeinde im österreichischen Tirol gereist. Weil das Virus andernorts schon um sich griff, hatten die Frauen vorher in Ischgl angerufen, nachgefragt, ob es dort schon Fälle gebe: Das wurde aber verneint. Als die Gruppe dann vor Ort war, wurde bekannt, dass sich ein Barkeeper infiziert hatte. Das war zwar - wie inzwischen klar ist - nicht der erste Fall überhaupt in dem Ort. Aber es war der erste, der öffentlich wurde. Und es war der, der die Ski-Urlauber und Verantwortlichen vor Ort zum Handeln zwang.
Ischgl wird zu Corona-Hotspot - mitten im Urlaub der Lünerin
„Es war halt genau die Woche, in der das ‘rausgekommen ist. Vorher wusste das noch keiner. Wir sind da reingeplatzt“, sagt die Lünerin, die ihren Namen nicht veröffentlicht sehen möchte, und beschreibt die Stimmung, die sich unter den Urlaubern breit machte. Als Panik, so sagt die 45-Jährige Monate nach der Reise im Gespräch mit der Reaktion, würde sie die Lage nicht beschreiben. Aber es habe schon eine Angst und Ungewissheit in der Luft gelegen. Viele Touristen liefen plötzlich nur noch mit Halstüchern vor den Mündern herum, das Fahren in den engen Godeln, in denen bis zu acht Personen eng beieinander sitzen, war nicht mehr ganz so angenehm und schon bald gab es kein anderes Gesprächsthema mehr als das Virus.
Im Falle der Gruppe, zu der auch die Lünerin gehört, war Corona aber schon bald mehr als ein Gesprächsthema. Es wurde zu einem realen Problem. „Es war immer wieder eine schlapp, ist nicht mit zum Berg gekommen und lieber im Hotel geblieben.“ Ob sich tatsächlich jemand aus der Gruppe auch angesteckt hatte? Das wussten die Frauen zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht: Erst mal ging nur der infizierte Kellner durch die Medien. Im Kitzloch, dem Lokal, wo er gearbeitet hatte, waren die Freundinnen zwar nicht. Aber an den ersten beiden Abenden zumindest waren auch sie ein bisschen feiern, haben außer Haus gegessen.
„Und dann fing der Husten an und ich war einfach sehr, sehr lurig“
Bei der Lünerin, die als Hygienefachkraft in einem großen Krankenhaus in der Region arbeitet, zeigen sich auch nach ein paar Tagen im Urlaub erste Anzeichen. „Leider bin ich immer erkältet, wenn ich im Skiurlaub bin, das kenne ich schon von mir. Deshalb hatte ich am Mittwoch, als es losging, erst mal gedacht: Oh, jetzt kommt die Erkältung wieder. Aber ich war dann doch sehr, sehr schlapp. Das Wetter war nicht so berauschend, also habe ich den anderen dann gesagt: Ne, ich schlafe lieber noch ein bisschen. Dann bin ich später auf den Berg und habe gemerkt: Oh, das Skifahren ist aber heute anstrengend... Und dann fing der Husten an und ich war einfach sehr, sehr lurig.“
Am Freitag, 13. März, erscheinen Nachrichten auf den Anzeigetafeln der Skipiste, die darüber informieren, dass die Saison vorerst vorbei ist. Ischgl schickt die Touristen wegen des Virus nach Hause - auch die Lünerin bricht ihren Urlaub deshalb verfrüht ab und reist zurück in der Heimat. Ihrer Familie, Freunden, dem Freund sagt sie direkt am Abend der Rückkehr, dass sie jetzt erst mal niemanden sehen kann. Erst mal müsse sie abklären, ob sie sich nun angesteckt habe oder nicht.
Das versucht sie dann am nächsten Tag und wählt die Nummer des zuständigen Gesundheitsamtes. Tut tut. Tut tut. 180-mal ist besetzt. „Das ist kein Scherz“, sagt die Lünerin im Rückblick. Nicht stolz ist sie auf ihren nächsten Schritt, erklärt ihn aber einfach mit der Angst und Ungewissheit in ihr: Sie setzt sich ins Auto und fährt direkt zum Gesundheitsamt, um sich testen zu lassen. Als man sie dort auch nach Hause schicken will, geht sie endgültig auf die Barrikaden, erzählt sie. „Ich wusste mir einfach nicht anders zu helfen. Ich bin keine Egoistin. Aber wenn man sieht: Es sterben da innerhalb von Tagen Menschen dran, dann ist es einfach eine Panik-Situation. Ich dachte: Ich muss jetzt einfach wissen, ob ich es habe oder nicht. Ich habe es vermutet - aber man weiß ja nicht, wie es dann weitergeht.“ Sie wird getestet.
Das Ergebnis kommt direkt am nächsten Tag. Positiv. Quarantäne.
Isolation für mehr als zwei Wochen, aber die Einsamkeit war nicht das Schlimmste
„Das schlimmste an der Quarantäne war bei mit jetzt nicht zwingend die Einsamkeit. Was ich noch schlimmer fand, war, dass ich völlig auf mich allein gestellt war. Ich musste selbst einschätzen, wie ich jetzt meine Situation einordne, wie schlimm meine Erkrankung ist. Ich habe manchmal solche Hustenanfälle bekommen, dass ich überlegt habe: Na ja, soll ich jetzt vielleicht doch mal die 112 anrufen? Zu einem Hausarzt kann ich ja nicht fahren. Was ist, wenn man so dazwischen steht? Wenn man weiß: Es geht anderen schlechter. Aber trotzdem habe ich auch Angst um mich. Man ist so unsicher und weiß nicht, ob man sich selbst richtig einschätzt. Es ist so eine richtig verunsichernde Situation - selbst wenn man vom Fach ist. Man kann sich ja auch selber nicht die Lunge abhören. Ich war sehr ängstlich“, sagt die Krankenschwester.
„So doll“, sagt sie im Rückblick hätte sie sich gewünscht, dass ein Arzt ihre Lunge einmal abhört, sie untersucht. „Ich hätte einfach gerne eine Einschätzung gehabt, ob ich noch zu Hause bleiben kann oder ins Krankenhaus muss. Aber das musste ich selber entscheiden. Durch meine Intuition. Das fand ich schlimm.“
Ihr Hausarzt ist es, der dann irgendwann zu ihr sagt: „Kommen Sie vorbei. Ich habe keine Angst.“ Die Dankbarkeit ist der Lünerin deutlich anzuhören, als sie davon erzählt. Auch weil sich nach der Krankheit und der über zwei Wochen dauernden Isolation zeigt, dass sie sie überwunden hat. Zwei an unterschiedlichen Tagen gemachte Tests kommen negativ zurück, auch der Antikörpertest fällt positiv aus.
Das sind für die Lünerin, die in einem großen Krankenhaus als Hygienefachkraft arbeitet, Grundvoraussetzungen, um überhaupt zur Arbeit zurückzukehren. Wobei: Zu diesem Zeitpunkt ist diese Art von Sicherheit zunächst noch vor allem ihr eigener Anspruch. Vom Robert-Koch-Institut (RKI) gibt es damals, Ende März, noch nicht die Empfehlung, dass medizinisches Personal nach einer Corona-Infektion zwei negative Tests vorweisen muss, um wieder arbeiten gehen zu können.
Das ist auch der Grund, warum sich die selbst betroffene Hygienefachkraft an das RKI wendet - und genau das infrage stellt. „Für mich wäre es sehr, sehr schlimm gewesen, ohne diesen Test zurück zur Arbeit gegeben“, sagt sie. „Es fällt schwer, bei einem neuem Virus, das teils noch unerforscht ist, einfach zu glauben, dass man ohne Nachtests nicht mehr infektiös ist. Es wäre das Schlimmste gewesen, andere Menschen anzustecken.“
Nach der Quarantäne: „Endlich wieder unter Menschen“
Wenig später ändert das RKI die Empfehlungen für medizinisches Personal, empfiehlt nun zusätzlich zur Symptomfreiheit zwei negative Tests. Die Lünerin ist zwar nicht der Meinung, dass allein sie den Ausschlag für diese Änderung gegeben hat. Aber auch aus der Antwort vom RKI, die sie erhalten hat, liest sich, dass sie zumindest dazu beigetragen haben könnte.
Beruhigt kann sie so zur Arbeit zurückkehren. Als Hygienefachkraft wird sie gerade in dieser Zeit im Krankenhaus besonders gebraucht. Sie berät verschiedene Stationen und Bereiche in Sachen Hygiene. Gerade während ihrer Quarantäne, so sagt es die Lünerin, hatte sie im Fernsehen oder über andere Medien sehr, sehr oft Fehler in dieser Beziehung beobachtet. Nagellack bei Krankenhauspersonal „geht gar nicht“, sagt sie beispielsweise. „Ich unterstelle jetzt einfach mal, dass sich die Frauen, die aufwendig lackierte Fingernägel haben, gegebenenfalls nicht ordentlich die Hände desinfizieren.“ Außerdem weist sie auf trügerische Sicherheit durch Einmalhandschuhe und auch durch viel Fehlverhalten bei Masken hin (siehe Infokasten).
Nicht nur zu ihrer Arbeitsstelle ist die Lünerin nach ihrer Corona-Erfahrung aber zurückgekehrt. Nach über zwei Wochen Isolation und Alleinsein ging es auch zurück ins „normale“ Leben. „Das war wie Weihnachten und Ostern an einem Tag. Es war so, so schön. Ich war endlich wieder unter Menschen. Es war ein unbeschreibliches, erleichterndes Gefühl“, sagt sie heute. „Ich war wieder frei.“
Häufige Hygienefehler im Umgang mit SARS-CoV-2
Lüner Fachkraft gibt Tipps zur Hygiene- Viele, die Einmalhandschuhe tragen, wähnen sich in trügerischer Sicherheit, sagt die Hygienefachkraft. Sie sind nicht immer dicht, schnell entstehen beispielsweise durch Schmuck oder lange, nicht abgerundete Fingernägel, Löcher. Und durch die passen alle Bakterien und Viren. In medizinischen Bereichen müssen die Hände vor und nach dem Tragen von Einmalhandschuhen desinfiziert werden. Wer sie im privaten Bereich (zum Beispiel beim Einkaufen) trägt, sollte sich davor und danach gründlich die Hände waschen.
- Das Tragen von Schmuck an Händen und Unterarmen im medizinischen Bereich wird durch Empfehlungen des RKI (Händehygiene) und die Technischen Regeln für Biologische Arbeitsstoffe (TRBA 250) geregelt. Es ist nicht empfohlen. „Grund: Erreger passen in die kleinsten Nischen von Schmuck, sind gern unter Ringen, da es feucht warm ist und das Desinfektionsmittel nicht gut unter die Schmuckstücke gelangt. Die Handgelenke von Uhrenträgern werden höchstwahrscheinlich nicht korrekt desinfiziert oder gewaschen, da das Schmuckstück sicher teuer war und nicht kaputt gehen darf.“
- Auch mit Mund- und Nasenschutz und Mindestabstand sollte man sich nicht in Sicherheit glauben, sagt die Lünerin. Sie gibt auch Hinweise zum richtigen Umgang mit Masken: „Mund-Nasen-Schutz nur an den Seiten zum Ohr hin an Bändern oder dem Gummizug anfassen, beziehungsweise hinter dem Kopf, wenn diese dort befestigt sind. Nicht vorn auf den Mund-Nasen-Schutz.“ Sie weist außerdem darauf hin, dass die Stoffmasken nicht einen selbst schützen, sondern die anderen. Sie sollten regelmäßig bei 90 Grad, mindestens bei 60 Grad gewaschen werden - je nach Stoff und Herstellerangaben. Man sollte sie nach Möglichkeit nicht am Hals tragen, da mögliche Erreger sich nun am Hals befinden könnten.
Ich mag Geschichten. Lieber als die historischen und fiktionalen sind mir dabei noch die aktuellen und echten. Deshalb bin ich seit 2009 im Lokaljournalismus zu Hause.
