Mehr Strom aus Kohle Chef des Lüner Trianel-Kraftwerks: „Wir werden gebraucht“

Chef des Lüner Trianel-Kraftwerks: „Wir werden gebraucht“
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Wenig Sonnenlicht, fast kein Wind, dafür aber eine höhere Nachfrage nach Strom, weil es so kalt und dunkel war: Die Strommarktdatenplattform SMARD der Bundesnetzagentur zeigte für den 20. Januar 2023, dass es mehr Strom als üblich aus konventionellen Kraftwerken wie dem Trianel-Kohlekraftwerk Lünen bedurfte, um den bundesweiten Energiebedarf zu decken. Windräder und Photovoltaikanlagen schwächelten an diesem trüben Tag, als die Umweltschützer des BUND und die Betreiber des Kraftwerks (27 Stadtwerke und die Trianel GmbH in Aachen mit mehr als 50 kommunalen Gesellschaftern) vorm Oberverwaltungsgericht Münster die Auseinandersetzung um die Rechtmäßigkeit des vor zehn Jahren ans Netz gegangenen Kraftwerks für beendet erklärten. „Wir werden gebraucht“, sagt Stefan Paul, der Geschäftsführer vom Kohlekraftwerk, und meint damit nicht nur das winterliche Wetterphänomen.

Ausstiegsdatum nach 2030?

Den Anstrengungen für mehr Klimaschutz zum Trotz: Deutschland verstromt zurzeit mehr Kohle als ursprünglich geplant. Der im dritten Quartal 2022 in Deutschland erzeugte und ins Stromnetz eingespeiste Strom stammte nach Auskunft des Statistischen Bundesamtes (Destatis) zu mehr als einem Drittel (36,3 Prozent) aus Kohlekraftwerken.

Das ist eine Zunahme um 13,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Der Grund: die Ende 2021 vom Netz gegangenen Kernkraftwerke, der russische Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022, der andauernde Krieg und die daraus erwachsende Energiekrise.

Um sie zu meistern, hatte der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck auch Kohlekraftwerke, die schon auf der Streichliste standen wie das Steag-Kraftwerk in Bergkamen-Heil oder schon ganz abgeschaltet waren bis 2024 aus der Reserve geholt. Das Lüner Kraftwerk hat noch kein Ausstiegsdatum vor 2038, dem vereinbarten bundesweiten Kohleausstieg.

Kurzschluss in Transformator

„Auf jeden Fall deutlich nach 2030“, sagt Stefan Paul. Schließlich habe NRW den ursprünglich später vorgesehenen Ausstieg aus der Braunkohleverstromung auf das Jahr 2030 vorgezogen, „so dass wir erst danach an die Reihe kommen sollten“. Die Bundesregierung legt sich indes nicht fest: Sie halte daran fest, „die Kohleverstromung idealerweise bis 2030 zu beenden“.

Wie lange auch immer: Um den benötigten Strom zu produzieren, muss das Trianel-Kraftwerk, das bei seiner Inbetriebnahme als das effizienteste und sauberste Steinkohlekraftwerk in Europa galt und das Dirk Jansen, der BUND-Landessprecher, am 20. Januar „das sauberste aller dreckigen Kohlekraftwerke“ nannte, jährlich Wartungspausen einlegen: sogenannte Revisionen. Die Revision 2022 war so turbulent und lang wie in keinem Jahr zuvor - nicht nur wegen des neuen Generators.

Dass der Generator, also das Herz des Kraftwerks, gewechselt werden musste, stand bereits fest. Während der Revision 2020 war ein Schaden aufgefallen. Zwar hatte es kurzfristig eine Reparatur gegeben, aber dennoch musste Ersatz her: ein neuer Generator, der 2021 eintraf. Im Sommer 2022 erfolgte der Einbau. „Das hat gut geklappt“, sagt Paul. Etwas anderes dagegen überhaupt nicht.

Ein Kurzschluss hat bei der Revision den Eigenbedarfstrafo zerstört. Da er mit Öl gefüllt war, entzündete er sich auch noch. Niemand wurde verletzt, und alle Sicherheitsvorkehrungen haben sofort gegriffen, wie Paul sagt: Die Löschvorrichtung hätten augenblicklich die Flammen niedergeschlagen, und innerhalb von 0,7 Sekunden hat das Umspannwerk in Waltrop das Werk vom 380-KV-Netz getrennt. Eine folgenreiche Schrecksekunde. Die Suche nach Ersatz benötigte dagegen mehr Zeit. Und starke Nerven.

Die reguläre Wiederbeschaffungszeit für einen neuen Trafo beträgt eineinhalb bis zwei Jahre. Zeit, die das Kraftwerk nicht hatte. Der Lüner Trianel-Chef und sein Team suchten daher Alternativen. „Wir haben alle angeschrieben: Wer hat einen passenden Trafo?“ Antworten gab es mehr als erwartet. Etwa aus den stillgelegten Kernkraftwerken.

Das Problem: Die angebotenen AKW-Transformatoren waren 20 bis 30 Tonnen schwerer als der eigene und daher für das Trianel-Kraftwerk nicht geeignet. Erst als sich Kollegen von Vattenfall meldeten, konnte Stefan Paul aufatmen. Das Kraftwerk Moorburg im Hamburger Hafen - es war 2015 ans Netz gegangen und 2021 stillgelegt worden - hatte das passende Teil.

Ersatz aus Moorburg

Jetzt galt es, den Transport zu organisieren. Ein Transformator ist rund 16 Meter lang, 10 Meter hoch, 8,50 Meter breit und 90 Tonnen schwer. So etwas lässt sich nicht mal eben über die Straße transportieren. Die Verantwortlichen entschieden sich für einen etwa einwöchigen Transport per Schiff. Ein zweiter folgte Ende des Jahres. „Wir haben gleich zwei gekauft“, sagt Paul und schmunzelt. Man wisse ja nie, und die Gelegenheit sei günstig gewesen.

Die Revision zwischen dem 23. Mai und dem 4. August 2022 dauerte damit zwar dreieinhalb Wochen länger als geplant und war aufregender als gedacht, „wir sind aber genau rechtzeitig zurückgekehrt in den Betrieb“, sagt Paul.

Zwischen Anfang/Mitte Juli und Ende September 2022 hatte sich der Preis für kurzfristigen Strom an der Strombörse mehr als verdoppelt. Im sogenannten Day-Ahead-Markt, auf dem Strom für den folgenden Tag gehandelt wird, stieg der Preis für eine Megawattstunde Strom nach Angaben der Bundesnetzagentur von etwa 240 auf mehr als 500 Euro. In einzelnen Stunden Ende August bis Anfang September auch noch weit darüber hinaus. Gleichzeitig war der Bedarf hoch. „Wir liefen durchweg unter Volllast“, sagt Paul.

„Strompreise verdoppeln sich“

Inzwischen ist der Preis deutlich gefallen., teilweise sogar in den Minusbereich. Erzeuger mussten draufzahlen, um Strom zu verkaufen oder – wie es das Kraftwerk in Lünen dann macht - abfahren. Bei den Bürgerinnen und Bürgern kam dennoch kein Geld aus dem Stromzähler. Im Gegenteil. Deutschlands Stadtwerke erwarten eine Verdopplung der Stromtarife, wie der Hauptgeschäftsführer des Verbands der Kommunalen Unternehmen (VKU), Ingbert Liebing, Ende Januar sagte - ohne einen Zeitraum zu nennen.

Das Auf und Ab im Großhandel schlägt erst mit Verzögerung durch, und dann auch gedämpft: weil Stadtwerke langfristig in Tranchen Strom kaufen. Und weil die Kosten für die Stromerzeugung nur ein Viertel des Gesamtpreises ausmachen, den Endverbraucher zahlen, neben Steuern, Umlagen und Kosten für die Netznutzung.

Seit der Sprengung des Steag-Kraftwerks prägt allein das Trianel-Kraftwerk die Industriekulisse in Lünen-Lippholthausen.
Seit der Sprengung des Steag-Kraftwerks prägt allein das Trianel-Kraftwerk die Industriekulisse in Lünen-Lippholthausen. © Trianel

Dank der Strompreisbremse ist der Preisanstieg gedeckelt. Die rückwirkend ab Januar geltenden Regelung sieht vor, dass Verbraucher für 80 Prozent ihres durchschnittlichen Stromverbrauchs maximal 40 Cent je Kilowattstunde zahlen müssen. Die ersten Entlastungsbeträge werden ab März 2023 gutgeschrieben.

Seit dem 1. Januar 2023 kommt kein russisches Öl mehr nach Deutschland. Gas fließt schon seit dem 1. September 2022 nicht mehr durch Nord Stream 1. Und Steinkohle bezieht Deutschland seit August nicht mehr aus Russland. „Als Trianel haben wir unseren Kohlebezug deutlich früher umgestellt“, sagt Stefan Paul: ein Umbruch innerhalb von Tagen.

Kohle kommt aus Südafrika

„Wir hatten zu 70 Prozent russische Kohle im Einsatz“, sagt Paul. Der Rest stammte aus den USA. Bereits um den 20. März gelang es, die Belieferung komplett umzustellen auf Kohle aus Südafrika. Nicht nur der Krieg und seine Folgen hatten 2022 die Belieferung des Kraftwerks schwierig gemacht, sondern auch das Niedrigwasser durch die große Trockenheit.

„Das war extrem: sehr früh und sehr lang“, sagt Paul. Schiffe hätten mit weniger als 40 Prozent beladen werden können. Um dennoch Strom zu produzieren, hat er Lkw-Transporte aus den Niederlanden organisiert und die Kohle-Winterreserve in den Binnenlägern genutzt: eine Rechnung, die aufging. Anders als manches andere Kraftwerk - etwa in Bergkamen - musste Trianel nie wegen Kohlemangel vom Netz. „Jetzt fahren wir unsere Binnenläger wieder hoch“, sagt Paul. 2023, glaubt er, „könnte unser bislang bestes Betriebsjahr werden“.

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