
Der Lüner Rüdiger Brehm war an der polnisch-ukrainischen Grenze im Einsatz, um als Pfadfinder Geflüchteten zu helfen. An dem Grenzbahnhof kamen auch Staats- und Regierungschefs an. Besonders hat ihm Macron imponiert. © Foto Rüdiger Brehm
Lüner (62) schleppt Koffer für Geflüchtete und begegnet Macron und Scholz
Polnisch-ukrainische Grenze
Hunderte Geflüchtete aus der Ukraine kommen am Grenzbahnhof Przemyśl an. Der Lüner Rüdiger Brehm (62) war dort Helfer. Er begegnete auch Macron und Olaf Scholz - mit unterschiedlichem Eindruck.
„Eigentlich hatte ich schon immer ein leichtes Helfersyndrom“, konstatiert Rüdiger Brehm (62), der 37 Jahre in Lünen verbrachte und dann nach Bergkamen zog. Vielleicht war es dieses Helfen-Wollen, das den damals 29-Jährigen zu den Pfadfindern der Heiligen Familie in Lünen-Süd führte. Die dortige Gruppe unter Gemeindereferent Stephan Wilhelm plante ein Jugendferienlager. Brehm meinte, als Vater mithelfen zu müssen. So kam er zu den Pfadfindern, denen er bis heute treu geblieben ist.
Über Facebook stieß er auf einen Aufruf der Deutschen Pfadfinderschaft Sankt Georg (DPSG), die zur Unterstützung der polnische Pfandfinder Helfer zur Flüchtlingsbetreuung an der polnisch-ukrainischen Grenze suchte. Spontan fasste er den Entschluss, hier mitzuhelfen. Kurzfristige Beantragung einer Woche Urlaub bei seinem Lüner Arbeitgeber, Bewerbung, Test bezüglich physischer und psychischer Belastbarkeit, Zusage. „Niemand außer der Kollegin, die meinen Urlaub bearbeitete und meinem ältesten Sohn wussten, was ich vorhatte.“ Er wollte niemanden beunruhigen und vermeiden, dass man ihm sein Vorhaben ausreden wollte. Anreise über Berlin nach Przemyśl zum dortigen Grenzbahnhof. Der ist nicht größer als der Lüner Hauptbahnhof. Hier kommen jede Nacht 500 bis 1000 Flüchtlinge an.
Am Abend des dritten Tages begann sein fünf Nächte dauernder Hilfseinsatz. Brehm: „Meine Aufgabe bestand darin, nachts auf dem Bahnhof zu sein, auf jeweils zwei oft mit Verspätung ankommende Züge zu warten und den ukrainischen Flüchtlingen eine helfende Hand zu reichen.“ Das bedeutete Hilfe beim Tragen der teilweise sehr schweren Koffer auf einem Bahnhof ohne Fahrstuhl von einem Gleis zum andern, zu erklären, wo es die kostenlosen Tickets für die Weiterreise, wo es etwas zu essen und zu trinken gibt oder wo z.B. Mütter mit Kindern einen Ruhe- oder Schlafplatz finden können. „Das alles in einem Babylonischen Sprachwirrwarr. Mein Englisch ist grauenhaft, und die Ukrainer lernen auch erst seit wenigen Jahren in der Schule Englisch.“

Am Grenzbahnhof Przemyśl kommen jede Nacht 500 bis 1000 Flüchtlinge an. Er ist nicht größer als der Lüner Hauptbahnhof. © Foto Rüdiger Brehm
Viele Geflüchtete zieht es wieder zurück
Was ihn überraschte, war, dass ein etwa gleichgroßer Flüchtlingsstrom in beide Richtungen ging. Viele der anfangs vor dem Krieg Geflüchteten fuhren wieder zurück in ihre Heimat. „Ich kann mir das nur so erklären, dass viele Isolation und Verlassenheit in der Fremde gespürt haben. Ein Phänomen, das im Kinderbuch über Oskar und Rico erklärt wird: Zu Hause ist, wo man Freunde hat.“
Beeindruckt war er von der internationalen Zusammensetzung der Helfenden. „Wir waren unter anderem aus Polen, Ukraine, USA, Südamerika, Belarus und, was mich am meisten beeindruckt hat, dass auch russische Hilfskräfte dabei waren.“ Während seines Einsatzes war der kleine Bahnhof auch Durchgangsstation für die führenden Staats- und Regierungschefs der EU auf ihrem Weg zum ukrainischen Staatspräsidenten Selenskyj. „Macron hat mir imponiert. Einer seiner Begleiter hat einen französischen Helfer zu einem Gespräch mit dem Staatspräsidenten eingeladen, der sich direkt von der Situation am Bahnhof informieren wollte.

Die Essenausgabe für die Geflüchteten aus der Ukraine. © Foto Rüdiger Brehm
Olaf Scholz fuhr schnell weiter
Olaf Scholz und seine Mitreisenden sind dagegen zu ihren Autos gegangen und der Konvoi war innerhalb von 30 Sekunden weitergefahren. Besonders staatsmännisch fand ich das nicht.“
Gab es besondere emotionale Momente? „Wegen der Kürze der Begegnungen und der Sprachbarrieren konnte ich keinen tiefergehenden Eindruck von der Gemütsverfassung der Geflüchteten gewinnen. Emotional war es aber, als ich mich nach einer Woche intensiver Zusammenarbeit von meinen deutschen Teamkollegen verabschieden musste. Ich danke diesen jungen Menschen, alle Anfang 20, dass sie mich alten Mann in ihrer Mitte aufgenommen haben und mir mit ihren sehr guten Englischkenntnissen immer weitergeholfen haben.“

Die deutschen Helfer Hannah aus Konstanz, Laurin aus Potsdam und Rüdiger Brehm aus Lünen (v.l.). © Foto Robert Norpoth
Müde und glücklich ist Rüdiger Brehm zu Hause angekommen. Jetzt steht ein Urlaub in Kroatien an. „Natürlich fiel eine Last von mir, die ich durch die Übernahme der Aufgabe auf mich genommen habe. Die mannigfaltigen Eindrücke müssen sich erst mal setzen.“ Doch eines steht für ihn schon heute fest. In einer ähnlichen Situation würde er sich immer wieder einbringen.