
© Peter Fiedler
Lünen-Nord: Plus bei Anbindung und Nahversorgung - aber nicht alle fühlen sich sicher
Stadtteil-Check
Im Herzen der Stadt zu leben, hat viele Vorteile. So sehen es auch die Bewohner von Lünen-Nord. Sie loben die Verkehrsanbindung und die Nahversorgung. Doch wo Licht ist, ist auch Schatten.
Nils Märtin und seine Frau Katrin Rieckermann lieben es, mit dem Rad zur Arbeit zu fahren. Von ihrem Zechenhäuschen in der Victoriasiedlung haben sie es nicht weit: Sie ist Lehrerin an der Geschwister-Scholl-Gesamtschule, er Erzieher in der Kita Rudolph-Nagell-Straße. „Das ist sehr angenehm, bei dem ganzen Verkehr nicht mit dem Auto fahren zu müssen“, sagt Märtin.
2010 haben sie ihr Haus gekauft - und fühlen sich insgesamt wohl im Viertel. Einkaufsmöglichkeiten, der Bahnhof, Ärzte - alles in der Nähe. Auch die beiden Töchter Ina und Mara haben es nicht weit bis zur Viktoriaschule. Sie besuchen dort den offenen Ganztag. „Das ist eine ganz tolle Schule. Respekt, was da geleistet wird“, erklärt Katrin Rieckermann.
8 von 10 Punkten erhält Lünen-Nord von den Teilnehmern unseres Stadteil-Checks für die Lebensqualität. Dieses Gesamturteil deckt sich mit den Erfahrungen von Familie Märtin. Auch das Lob der Familie für Verkehrsanbindung, Nahversorgung und ärztliche Versorgung („Gesundheit“) spiegelt sich in der Bewertung der anderen Bewohner wider.
Was (noch) positiv bewertet wurde
Grünflächen: Neben der Nahversorgung erhalten Grünflächen die beste Bewertung in Lünen-Nord. Was Familie Märtin nicht uneingeschränkt unterschreiben würde. Nur ein paar Schritte von ihrem Haus entfernt liegt zwar die riesige Victoriabrache, aber die nimmt die Familie als eingezäuntes, schadstoffbelastetes Gelände wahr, nicht als Grünfläche: „Bei Hundebesitzern ist sie aber sehr beliebt“, so Katrin Rieckermann. Für die Familie sei wichtig, betont Nils Märtin, dass die schönen Bäume im Viertel erhalten bleiben. Wie wichtig Bäume seien, habe der heiße Sommer 2018 gezeigt: „Obwohl der Weg weiter ist, sind unsere Kinder über die Münsterstraße zur Schule und zurück gegangen, weil die Baumallee dort so schönen Schatten spendet.“

Gute Noten bekommen die Grünflächen in Lünen-Nord: Hier der Flusspark an der Lippe zwischen Graf-Adolf- und Konrad-Adenauer Straße. © Peter Fiedler
Zu Lünen-Nord gehören aber auch der Tobiaspark mit einem der beliebtesten Spielplätze Lünens und der Flusspark an der Lippe. Möglicherweise rührt daher die insgesamt gute Bewertung.
Radfahren: Familie Märtin fährt gern mit dem Rad. Viele Teilnehmer unserer Umfrage schätzen ebenfalls die Möglichkeiten, sich im Zentrum der Stadt gut, schnell und umweltfreundlich auf zwei Rädern zu bewegen. Kritik gibt es allerdings am Zustand der Radwege auf beiden Seiten der Münsterstraße, insbesondere zwischen Hauptbahnhof und Steinstraße. Von „katastrophalem Zustand“ spricht da ein Teilnehmer. Ein Verkehrsplanungsbüro sei beauftragt worden, Maßnahmen zur Verbesserung des Radverkehrs auf der Münsterstraße zu untersuchen, teilt die Stadtverwaltung dazu mit. „Nach den Sommerferien sollen verschiedene Varianten möglicher Maßnahmen vorgestellt werden“, erklärt Stadtsprecher Benedikt Spangardt.
Was negativ bewertet wurde
Verkehrsbelastung: Das Wohnen im oder am Zentrum hat eine Schattenseite - und das ist der Verkehr. Die Verkehrsbelastung wird im Stadtteilcheck als Problem benannt. Auch hier steht die Münsterstraße besonders im Blickpunkt. „Insbesondere der LKW-Verkehr hat zugenommen“, erklärt Nils Märtin. Dieter Mendrina, Vorsitzender der Siedlergemeinschaft „Barbara“, bestätigt das und sieht einen Zusammenhang mit dem Verkehr vom und zum Amazon-Lager in Werne. Mendrina wünscht sich durchgehend Tempo 30 auf der Münsterstraße, auch im Abschnitt zwischen Steinstraße und Zwolle-Allee. Und er fordert einen Fußgängerüberweg (statt nur einer Querungshilfe) in Höhe der Hem-Tankstelle.

Dieter Mendrina ist Vorsitzender der örtlichen Siedlergemeinschaft und kann den Wohlfühlfaktor der Wohnlage bestätigen. © Peter Fiedler
Sicherheit: Es ist der dritte Bereich, bei dem sich Kritik wiederum vor allem auf die Münsterstraße, zwischen Bahnhof und Zwolle-Allee, fokussiert. Von „sozialem Brennpunkt“ ist die Rede, vom „Drogenumschlagplatz“. SPD-Ratsfrau Helga Mendrina: „Viele sagen, sie würden bei Dunkelheit nicht daher gehen.“ Es seien hier „Drogenhandel und Eigentumsdelikte“ festzustellen, bestätigt Polizeisprecher Sven Schönberg, das subjektive Sicherheitsempfinden sei nachvollziehbar. „Die Drogendelikte sind Kontrolldelikte, wobei entsprechende Maßnahmen zu Erfolgen führten“, so der Sprecher. Die Polizei arbeite mit der Stadt und dem Zoll zusammen. Anwohner Nils Märtin hat beobachtet, dass in der Victoria-Siedlung insbesondere ältere Bewohnerinnen und Bewohner des Viertels verunsichert sind.
Jugend: Dass es zu wenige Angebote für Jugendliche gebe, zieht sich fast wie ein roter Faden durch den Stadtteilcheck - das gilt auch für Lünen-Nord. Mara und Ina, die Töchter von Nils Märtin und Katrin Rieckermann, spielen (noch) gerne auf dem Spielplatz am Knappenweg. Aber bald werden sie zu alt dafür sein. „Hier gibt es nichts für ältere Kinder“, meint Märtin.

Blick ins Schaufenster der Mitte Februar eröffneten Halte-Stelle in der Münsterstraße. Dort finden auch Mitmachangebote des Lükaz statt. © Peter Fiedler
Wobei sich das gerade ändert: An der Münsterstraße hat die Stadt im Februar, nach dem Vorbild von Brambauer und Lünen-Süd, das Stadtteil-Begegnungszentrum „Halte-Stelle“ eröffnet. „Mal sehen, wie sich das entwickelt“, sagt Nils Märtin dazu. Nach seiner Ansicht braucht es dringend Angebote, „um Jugendliche aufzufangen“, insbesondere in diesem von vielen als problematisch empfundenen Teil der Münsterstraße. Nils Märtin glaubt, dass viele der Probleme dort „der Armut geschuldet sind“. Die Stadt will das gesamte Viertel aufwerten, mit diversen Maßnahmen aus dem Programm „Stadt-Garten-Quartier“. Das komme bei den Anwohnern gut an, sagt Siedler-Vorsitzender Dieter Mendrina, „aber einigen geht es auch nicht schnell genug“.
Und was ist mit der Forensik?
Wenn die Pläne des Landes NRW Wirklichkeit werden, steht in einigen Jahren eine forensische Klinik für psychisch kranke Straftäter auf der Viktoriabrache. Eine Vorstellung, die Anwohnerin Katrin Rieckermann nicht schockt: „Die Forensik stört uns ganz und gar nicht, wir befürchten gar nichts.“
Dieter Mendrina weiß, dass es bei etlichen Siedlern nach wie vor Vorbehalte gegen die Forensik gibt. Aber er sagt auch: „Irgendwann ist das Thema ausgelutscht und die Leute wollen nicht mehr diskutieren.“

Statistisches zum Stadtteil Lünen-Nord © Leonie Sauerland
Der Ursprung der Stadt
Der heutige Bezirk Lünen-Nord gründet auf historischem Boden. Denn schon 1018 wird hier der Turm der St.-Marien-Kirche errichtet, ein Vorgängerbau des heutigen Gotteshauses. 1336 verlegt Graf Adolf II. von der Mark Lünen auf das Südufer der Lippe, 1341 verleiht er Lünen die märkischen Stadtrechte. 1865 wird im heutigen Lünen-Nord des St.-Marien-Hospital geweiht, 1874 die Eisenbahnlinie Dortmund-Lünen-Enschede eröffnet, 1917 der Lüner Hauptbahnhof.
Der Lüner Hauptbahnhof wurde 1917 eröffnet. Diese Postkarte stammt aus dem Jahr 1932. © Foto: Weischenberg
Berichtet aus Lünen über Lünen für Lünen. Jahrgang 1958, Urgestein bei Lensing Media, seit über 40 Jahren im Geschäft. Vieles hat sich in dieser Zeit verändert, eines nie: Die Leidenschaft für Lokaljournalismus.
