Lünen lenkt gegen: Schulterschluss im Rat Kämmerer: „Rotstift ansetzen, bevor es andere tun“

Schulterschluss im Stadtrat: „Es geht um unsere Handlungsfähigkeit“
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„Wehklagen hilft nicht“, sagte Dr. André Jethon. Dabei hätte er einigen Anlass dazu. Schließlich ist er seit fünf Monaten Kämmerer der nicht ganz 90.000 Einwohner zählenden Stadt Lünen. Und die demonstriert beispielhaft, worunter viele Städte in NRW leiden.

An einem Berg von Altschulden, dramatisch steigenden Liquiditätskrediten für das laufende Geschäft (allein 2023 sind es 268 Millionen Euro), immer neuen Aufgaben von Bund und Land ohne ausreichende Finanzierung und der Sorge, in den Nothaushalt zu rutschen, wenn das jährliche Defizit von fast 30 Millionen Euro nicht gestopft wird.

„Dann geben wir unsere Gestaltungsmöglichkeiten an der Garderobe der Kommunalaufsicht ab“, sagte Jethon am Mittwoch (7. 6.). Gegen diese Entwicklung müsse Lünen ansteuern. „Lassen Sie uns den Rotstift ansetzen, bevor es andere für uns tun.“ Ein Appell, der in der letzten Ratssitzung vor der Sommerpause bei fast allen Politikerinnen und Politikern auf offene Ohren stieß - allerdings nicht ohne Einwände.

Fünf Folgen des Nothaushalts

In seiner Brandrede zur desaströsen Haushaltslage beschönigte Jethon nichts. Wenn Lünen nicht die Kurve kriege, „würde uns die Struktur unserer Stadt wie Sand durch die Finger rinnen.“ Was das heißt, zeigte er an fünf Punkten.

  • „Alle finanzrelevanten Beschlussvorlagen wären dann der Kommunalaufsicht zur Genehmigung vorzulegen.“
  • „Zusätzliche freiwillige Leistungen dürften nicht mehr übernommen, bisherige freiwillige Leistungen müssten zurückgeführt werden – also Leistungen, die den Kitt unserer Stadtgesellschaft bilden.“
  • „Ratsbeschlüsse, die nicht zulässige Kosten verursachen oder einen Verzicht auf bisher erzielte kommunale Einnahmen zum Gegenstand haben, müssten vom Bürgermeister beanstandet werden.“
  • „Wir könnten keine Beförderungen mehr aussprechen und hätten weitere personalwirtschaftliche Beschränkungen zu befürchten.“
  • „Investitionen wären dann nur noch zulässig, wenn sie unabweisbar sind und die Kommunalaufsicht diese genehmigt hat.“

Personalabbau im Rathaus

Jethon ist klar, dass es Lünen nicht aus eigener Kraft schaffen wird, den hunderte Millionen Euro hohen Schuldenberg abzutragen und die strukturelle Unterfinanzierung abzuwenden. Das entlaste die Stadt aber nicht davon, jetzt alle städtischen Strukturen zu hinterfragen. Denn nur, wer alles an eigenen Anstrengungen unternehme, „kann berechtigt auch fremde Hilfe von Bund und Land einfordern.“ Der Kurs werde schmerzhaft sein, so Jethon. Wie für ein Fahrzeug gelte aber auch für die Stadt: Schrammen und Beulen seien besser als ein Totalschaden.

Die Stadtverwaltung ist bereits dabei, Einsparungen von jährlich vier Millionen Euro vorzubereiten: Vorschläge, die auch mit Personalabbau einher gehen sollen. Es müsse aber niemand der rund 1000 Beschäftigten um seinen Arbeitsplatz fürchten, sagte Jethon. Denn der Abbau erfolge „vorrangig durch den Verzicht auf Wiederbesetzung freier Stellen“.

Steuererhöhungen ab 2024?

Jethon bezieht auch Transferleistungen - also Zahlungen, die der Sozialstaat bedürftigen Empfängern ohne Gegenleistung zahlt - sowie die Kreisumlage (20 Prozent des Haushaltsvolumens) in den Lüner Sparkurs mit ein. Bei Leistungen der Kinder-, Jugend- und Flüchtlingshilfe seien etwa die „Änderung bzw. Reduzierung von aufgebauten Strukturen, die Verbesserung der Steuerung von Fallzahlzugängen, das Hinterfragen von Standards oder eine konsequent restriktive Prüfung von Ansprüchen“ möglich, wie Jethon bereits in seinem 16-seitigen Konsolidierungspapier geschrieben hatte. Etwas anderes, das dort zu lesen ist, griff er in seiner Brandrede vorm Rat nicht auf: Steuererhöhungen.

Eine Anhebung der Grundsteuer B und der Gewerbesteuer sei nur die „Ultima Ratio“. „Gegenwärtig kann nicht ausgeschlossen werden“, dass es dazu kommen werde, steht in dem Papier. Eine andere Maßnahme zur Verbesserung der Einnahmesituation, die auf jeden Fall zum Zuge kommen soll: Mehr Grundsteuer und Gewerbesteuer generieren durch Zuzug Ansiedlung neuer Unternehmen.

Geld durch Baugebiete

Während Jethon zunächst vorgeschlagen hatte, „möglichst zeitnah zusätzliche Bau- und Gewerbegebiete zur Verbesserung der Ertragsbasis“ zu realisieren, war das Wort „zusätzlich“ zur Ratssitzung gestrichen. Vor allem GFL und Grüne hatten sich im Vorfeld daran gestoßen. Statt neue Flächen auszuweisen, gelter es, den Bestand besser zu nutzen.

Wie das konkret aussehen könnte, malte Arno Feller (CDU) aus am Beispiel der einstigen Pestalozzischule in Lünen-Süd: „Wenn man zu dem Schluss käme, das Gebäude sei verzichtbar, ließen sich durch ein neues Wohngebiet hohe Einnahmen erzielen“. Kunibert Kampmann (GFL) meldete „Probleme mit der restriktiven Prüfung“ im Sozialbereich an, das hinderte sie aber nicht an der Zustimmung. Tessa Schächter (Grüne) erwartet aber ein „hartes Ringen“. „Wir werden wohl nicht mit jedem Einsparvorschlag der Verwaltung mitgehen“, stimmte Rüdiger Billeb (SPD) zu und erinnerte an die Budgetverantwortung der Politik.

Nur eine Gegenstimme

Nur Friederike Hagelstein (AfD) stimmte gegen den Konsolidierungskurs, den sie gleichzeitig aber als überfällig bezeichnete. Der fraktionslose Andreas Mildner enthielt sich. Er sehe „schwarz für Lünen“. Alle anderen politischen Gruppen begrüßten ausdrücklich den Sparkurs „Lünen steuert gegen“: eine „ einschneidende Entscheidung“, wie Karsten Niehues (FDP) betonte, und „ein Schulterschluss“, für den sich Bürgermeister Jürgen Kleine-Frauns bedankte.

Die Finanzlage der Stadt Lünen (hier das Rathaus) befindet sich in Schieflage. Der Rat will gegensteuern.
Die Finanzlage der Stadt Lünen (hier das Rathaus) befindet sich in Schieflage. Der Rat will gegensteuern. © Daniel Magalski

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