Kultkneipe Greif in Lünen schließt trotz Welle der Sympathie Wirt: „Das war mein Lebenswerk“

Die letzten Tage des „Greif“: Bob Michaels nennt Termin für Schließung
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„Diese Welle der Sympathie ...“ Die Stimme bricht ab. Am anderen Ende des Telefons ist es verdächtig still. Er habe einen dicken Klos im Hals, sagt Bob Michaels schließlich und räuspert sich. „Und Pipi in den Augen“, ergänzt er. Das, was er dann sagt an diesem Mittwochabend (9.11.), erklärt seine Gemütsverfassung.

Seitdem bekannt geworden war, dass der Hauseigentümer das Greif verkaufen will, um an der Stelle des rund 100 Jahre alten Gasthauses Wohnungen bauen zu lassen, ist ein Aufschrei durch Lünen gegangen: “Das Greif muss bleiben.“ Eine regelrechte Bewegung hat sich gegründet, die für den Erhalt der beliebten Kultkneipe kämpft. „Diese Welle der Sympathie“, Bob Michaels hat noch einmal angesetzt, „ist einfach überwältigend“. Dennoch: Die Entscheidung steht jetzt für ihn fest: „Am 19. Dezember ist Schluss nach zwölf Jahren.“ Wieder diese Pause. Dieses Räuspern.

„Eigentümer ist nicht Buhmann“

„Das muss man verstehen“, sagt er, „schließlich geht es um mein Lebenswerk“. Bob Michaels weiß, dass nicht nur bei ihm Emotionen im Spiel, sind, wenn es um den gemütlichen Landgasthof an der B 54, kurz vor der Stadtgrenze zu Werne, geht. Menschen jeden Alters haben ihre Greif-Geschichte: Paare, die sich dort gefunden haben, Familien, die regelmäßig zum Burger-Essen kommen, Musik-Fans, die von den Rock-Konzerten der Vorjahre schwärmen, Freunde, die Brettspiele machen, Leute, die an der großen Whisky-Bar fachsimpeln, und solche, die auf den noch neuen Biergarten schwören.

Trotz der großen Gefühle- auch seiner eigenen - appelliert Michaels, sachlich zu bleiben. „Jedem Eigentümer steht es frei, sein Haus zu verkaufen.“ Was er auf keinen Fall will, ist es, dass „der Eigentümer jetzt als Buhmann dasteht“. Es gebe mehrere Gründe, warum es mit dem Greif nicht weitergeht, obwohl die Gäste oft Schlange stehen.

Energetische Sanierung

Allen voran: die fehlende energetische Sanierung des betagten Backsteinbaus. Die Heizkosten müssen in der Vergangenheit schon hoch gewesen sein. Jetzt Mitten in der Energiekrise dürften sie horrend sein. Bob Michaels will sich dazu gar nicht näher äußern. Denn die Dämmung sei nicht die einzige notwendige Investition. „Die Küchenabluftanlage muss auch erneuert werden.“ Erhebliche Kosten, die noch zusätzlich zum verlangten Kaufpreis von 440.000 Euro hinzu gekommen wären. „Der Kauf kam für mich nicht in Frage“, sagt Michaels.

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Er verweist auf sein Alter: fast 55 Jahre. Da überlege man sich lange laufende Kredite. Erst recht nach den zwei Corona-Jahren, die ihm mit ihren Einschränkungen das Letzte abverlangt hätten. Und nach der allgemeinen Teuerung. „Das Bier kostet inzwischen 3,20 Euro“, sagt er. Es sei nicht lange her, dass er für 0,3 Liter noch 2,90 Euro berechnet hatte. Bald werden es wohl 4 Euro sein. Diese Steigerungen kann ich einfach nicht mehr weitergeben.“ Und dann sei da noch die Sache mit dem Personal.

Vor Corona hatte Bob Michaels ein 14-köpfiges Team. Jetzt seien es noch fünf. Der Markt sei leergefegt. Und trotz attraktiver Angebote sei kein Personal zu finden. „Wir sind hier am Limit.“ Dennoch: Alle verbliebenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter machten mit. „Bis zum Schluss.“ Pause.

Gerüchten widersprochen

Und was ist danach? Jetzt schmunzelt der Wirt. „Das ist mein kleines Geheimnis.“ Er hält es so wie im August, als bekannt wurde, dass das Greif zum Verkauf steht. „Ich sage erst dann etwas, wenn ich etwas zu sagen habe.“ Halbgares kommt für den Küchenchef nicht in Frage. Dass Gerüchte gerade nur so ins Kraut schießen, weiß er allerdings. Auf einige geht er ein.

„Nein, ich gehe nicht nach Singapur. Und auch nicht ins Sauerland.“ Ohnehin: „Ich übernehme keinen anderen Betrieb.“ Und er ziehe auch nicht mit dem Greif irgendwo anders ein. „Das Greif kann man nicht transferieren.“ Der Charme des Rock‘n-Roll-Landgasthofs sei eben eng mit dem alten Gemäuer und seiner Lage verbunden. Will er also mit 55 Jahren schon ein Rentnerdasein beginnen? Bob Michaels lacht. Nein, das auch nicht. „Aber vielleicht entwickelt sich ja etwas.“ Eines sei aber sicher: „Ich bleibe in Lünen.“ Dort habe er nicht nur treue Kundinnen und Knden gefunden, sondern auch viele Freundschaften geschlossen.

Gefragt nicht nur bei Gästen aus Lünen: das Greif an der B 54, kurz vor der Stadtgrenze zu Werne. Jetzt steht fest, wann die Lichter ausgehen werden.
Gefragt nicht nur bei Gästen aus Lünen: das Greif an der B 54, kurz vor der Stadtgrenze zu Werne. Jetzt steht fest, wann die Lichter ausgehen werden. © Marc Fröhling (Archiv)

Weihnachtsfeiern finden statt

Nachzubohren hat keinen Zweck. Nicht nur, weil Bob Michaels meint, was er sagt, sondern auch, weil er keine Zeit mehr hat. Um 18 Uhr öffnen sich die Türen. Die Gäste kommen wieder und wollen bekocht, bewirtet und gut unterhalten sein - wie immer. Nachdem das Online-Reservierungssystem zuletzt offline war, will er es wieder öffnen. Auch um den Zustrom zu kanalisieren. Dass die Kundinnen und Kunden immer sehr zufrieden waren mit dem Greif, solle sich nämlich nicht auf den letzten Metern ändern, sagt er. Darum ist es ihm auch wichtig, dass alle gebuchten Weihnachtsfeiern stattfinden können - bis zum 19. Dezember.

Bevor er sich an den Herd stellt, hat Bob Michaels noch ein Anliegen, „sozusagen als Ex-Gastronom“. Er lacht in den Hörer über den eigenen Scherz. Das kann „die Pipi in den Augen“ aber nicht kaschieren. Es geht nicht nur um ihn und das Greif, als er sagt: „Behandelt die Kultur nicht so stiefmütterlich.“ Der Lüner Bürgermeister habe ihn persönlich angerufen und ihm erklärt, dass die hochverschuldete Stadt ihm nicht zur Seite springen könne. Was Michaels weht tut: Bundesweit zeige sich gerade, dass gerade kleine Clubs mit kleinen Bühnen wie im Greif, oft die einzigen Treffs zum Austausch, in der Krise auf der Strecke blieben. „Mit ihnen geht etwas. Unwiederbringlich.“

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