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Kohle ist ein Auslaufmodell - Verbrennungstechnik übrigens auch
Jetzt mal unter uns
Auch ein modernes Kohlekraftwerk kann nicht verhindern, dass Lünen die schlechtesten Luftwerte der Republik hat. So weit hätte es nicht zwingend kommen müssen, findet unser Autor.
An der Frydagstraße sind die Feinstaub-Messwerte so schlecht wie nirgendwo sonst in Deutschland. Gut, die Messstation steht in einem Gewerbegebiet. Mit viel Lkw-Verkehr. Sehr viel Lkw-Verkehr. Und gleich nebenan steht ein Kohlekraftwerk. Weshalb viele Experten, also Leute mit Accounts in sozialen Medien, sowohl die Messwerte als auch die gesundheitsgefährdenden Einflüsse von Feinstaub - formulieren wir es vorsichtig - in Frage stellen.
Von mir aus können solche Leute den ganzen Tag hinter Diesel-Fahrzeugen herlaufen oder ihre Zelte neben Kraftwerksschornsteinen aufschlagen. Das würde eine Menge Probleme lösen, auch in den Kommentarspalten dieser Republik. Ich fürchte aber, dass sie das nicht tun werden, sondern sich stattdessen auf die Suche nach 100 Lungenärzten machen, die zufällig eine These vertreten, die ihre eigene Meinung stützt.
Schon den Neubau nicht verstanden
Die Diskussion um Luftverschmutzung und Grenzwerte überlagert ja ohnehin nur wieder die Tatsache, dass bestimmte Menschen, die deutlich mehr verdienen als der Durchschnitt, mal wieder eklatant versagt haben. Ehrlich gesagt, habe ich den Neubau des Trianel-Kraftwerks schon nicht verstanden. Es ging 2013 offiziell ans Netz, in dem Jahr, in dem erstmals wegen schlechter Luftwerte laut über Fahrverbote in Innenstädten nachgedacht wurde.
Passiert ist seitdem nichts - außer, dass ein weiteres, millionenschweres Kohlekraftwerk für Strom sorgt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Emissionswerte des Kraftwerks bei weitem nicht so schlecht sind wie die der Braunkohle-Blöcke im Rheinland, beispielsweise. Aber in die Ökobilanz fließen zum Beispiel auch Dinge wie der Import von Steinkohle ein. Niemand, der halbwegs bei Verstand ist, kann im 21. Jahrhundert davon ausgegangen sein, dass ein Steinkohlekraftwerk langfristig sowohl wirtschaftlich als auch ökologisch sinnvoll ist.
Aber anstatt darüber nachzudenken, wie man die Energie aus regenerativen Quellen speichern kann, oder sich mit neuen Möglichkeiten der Energiegewinnung auseinanderzusetzen, strich man den Bonus ein und stellte dann die Ohren auf Durchzug. Nur um jetzt, wo sich die Kohlekommission in einem Kompromiss für den Ausstieg 2038 ausgesprochen hat, vom Ende des Abendlandes zu faseln, Deutschland den totalen Blackout zu prophezeien und die Rückkehr der Massenarbeitslosigkeit heraufzubeschwören.
Kreis und Stadt jammern mit
Und was machen die Stadt Lünen und der Kreis Unna? Die stimmen fröhlich mit ein und erklären, dass sie schon richtig viel Geld brauchen, um diesen Ausfall - wohl gemerkt, im Jahr 2038 - verkraften zu können. Man könnte natürlich auch hingehen und sagen: „Wir haben knapp 20 Jahre Zeit, uns neu zu strukturieren und den Menschen eine neue Perspektive zu geben. Packen wir es an.“ Aber das wäre ja mit Arbeit verbunden, und mit dem Risiko, falsche Entscheidungen zu treffen. Da doch lieber rumjammern und Geld fordern. Machen die Unternehmen, egal ob Energie- oder Autobranche, schließlich auch so.
Fakt ist doch (auch wenn Fakten keinen interessieren): Wenn wir hier und sonst wo auf der Welt noch irgendwas retten wollen, müssen und werden wir uns von der Verbrennungstechnik verabschieden. Mir persönlich wäre ein Datum deutlich vor 2038 ja lieber gewesen, aber es handelt sich hier um einen Kompromiss, mit dem alle Mitglieder der Kohlekommission leben können. Und das gilt es zu akzeptieren. An der Tatsache, dass Kohle, Diesel und sonstige fossile Brennstoffe und ihre Technik ein Auslaufmodell sind, ändert das genauso wenig wie das Geschrei der Experten auf Facebook.
Der Preis steht fest
Und worüber haben wir bisher noch gar nicht gesprochen? Richtig, die Umwelt. Die hat ohnehin nichts zu melden. Es geht um Geld, es geht um Arbeitsplätze, und es geht verdammt noch mal um die Freiheit der Menschen, das zu tun, was sie tun möchten. Und wenn diese Freiheit mit schlechter Luft erkauft werden muss, dann sind wir alle gerne bereit, diesen Preis zu zahlen. Oder habe ich da was falsch verstanden?
Journalist, Vater, Ehemann. Möglicherweise sogar in dieser Reihenfolge. Eigentlich Chefreporter für Lünen, Selm, Olfen und Nordkirchen. Trotzdem behält er auch gerne das Geschehen hinter den jeweiligen Ortsausgangsschildern im Blick - falls der Wahnsinn doch mal um sich greifen sollte.
