Angrit (l) und Julie Aumann haben beide einen Brief an NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer verfasst. © Sabine Geschwinder

Käthe-Kollwitz-Gesamtschule

Mutter zu Präsenzunterricht an KKG in Lünen: „Ich verstehe nicht, warum“

In der Zeit des ersten Lockdowns hat Angrit Aumann Netflix angeschafft. Sie war froh, als ihre Tochter wieder zur Schule durfte. Doch Präsenzunterricht um jeden Preis findet sie falsch.

Lünen

, 04.12.2020 / Lesedauer: 4 min

„Nein“, sagt Julie (11). In Quarantäne war die Fünftklässlerin bislang noch nicht. Absolut keine Selbstverständlichkeit, schließlich gab es in Julies Klasse einen Corona-Fall. Weil aber die Käthe-Kollwitz-Gesamtschule in Lünen auf eigene Faust alle Klassen teilte und Distanz- und regulären Unterricht im täglichen Wechsel anbot, blieb ihr die Quarantäne erspart.

Das Modell währte allerdings nur kurze Zeit. In der vergangenen Woche untersagte die Bezirksregierung Arnsberg das Modell in Rücksprache mit dem NRW-Schulministerium wieder. Das Credo: Distanzunterricht solle die Regel sein und könne nur gewährt werden, wenn Quarantäne durch einen Corona-Fall nötig werde oder wenn so viele Lehrer ausfallen - sei es durch Corona oder andere Krankheiten - dass die Schule geschlossen werden müsste.

„Entsetzt und fassungslos“

Julies Mutter Angrit Aumann (44) war selbst dabei, als die Entscheidung für die Teilung getroffen wurde, sie organisiert sich in der Klassenpflegschaft. Der Schulleiter habe zwei Modelle vorgestellt, berichtet Aumann: Eines mit wöchentlichem Wechsel zwischen Distanz- und regulärem Unterricht und dem schließlich eingeführten aus dem täglichen Wechsel.

Die Entscheidung am Freitag gegen das Modell der Schule hat sie „entsetzt und fassungslos“ aufgenommen, wie sie sagt und wie sie es auch in einem Brief an NRWs Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) geschrieben hat.

Dass sie sauer ist, merkt man ihr auch jetzt noch an. Sie halte sich an die Corona-Regeln, sei sehr vorsichtig und habe Verständnis, erzählt Angrit Aumann. Es gibt Werbespots der Bundesregierung, die zur Solidarität aufrufen.

Und genau das hätten Schüler und Lehrer gemacht: Gemeinsam nach einer Lösung gesucht, die alle gut fanden und die auch Entlastung gebracht habe. So seien zum Beispiel vor der Maßnahme 25 Lehrer in Quarantäne gewesen, während der Maßnahme nur vier.

Vorher habe es auch viel Vertretungsunterricht gegeben. „Das war der Wahnsinn, ständig wurde vertreten.“ Aber trotzdem sei die Lösung untersagt worden. „Und ich verstehe nicht warum“, sagt Aumann. Sie findet die Entscheidung. „von oben herab.“

Julie am Küchentisch, hier erledigt sie im Distanzunterricht ihre Aufgaben. © Sabine Geschwinder

„Die Zeit vor den Sommerferien war viel schwerer“

Das Schulministerium hatte die strikte Regel stets damit begründet, dass der Unterricht vor Ort der bessere Unterricht sei und es so für Kinder aus einem sozial schwächeren Umfeld weniger Nachteile gebe.

Angrit Aumann kontert aber: Die Schule habe Notfallbetreuung angeboten für Eltern, die keine Möglichkeit gehabt hätten, ihre Kinder während des Distanzunterricht zu betreuen. Außerdem sei durch den täglichen Wechsel ein strukturierter Tagesablauf möglich gewesen. Julie fand den Unterricht in der kleinen Klassen-Größe besser: „Es klappt genauso gut“, sagt die 11-Jährige. „Wir haben Aufgaben bekommen, das klappte und war sicherer.“

„Ich fand die Zeit viel schwerer vor den Sommerferien“, erzählt Angrit Aumann. „Da wurde gar nicht diskutiert über Bildung und fehlende Bildung. Ich jedenfalls habe meine Kinder nicht zu Hause beschult bekommen“, sagt die Mutter. Rückblick: Während der ersten Corona-Welle im Frühjahr waren Mitte März alle Schulen geschlossen worden - es gab nur noch eine Notfallbetreuung. Eltern mussten ihre Kinder in der Regel permanent im Fernunterricht beschulen. Erst zwei Wochen vor den Sommerferien waren die Schulen wieder geöffnet worden.
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„Ich habe damals Netflix angeschafft“

Sie habe damals einen Stundenplan für Julie erstellt, um Struktur in den Tag zu bringen. Aber natürlich sei Lernen nicht so möglich gewesen, wie normalerweise. Es kehre einfach so eine Ferienmentalität ein. Dazu kam, dass Julies vierjährige Schwester ebenfalls nicht in den Kindergarten konnte. Ein Kind betreuen, das andere beschulen und nebenbei arbeiten, eine ziemliche Herausforderung.

Angrit Aumann sagt ganz offen: „Ich habe damals Netflix angeschafft, obwohl ich eigentlich immer für wenig Fernsehgucken war.“ Und sie sagt auch: „Wir haben ja noch Glück - wir haben zum Beispiel eine großen Garten.“ Und Julie, auch die hat die Zeit des ersten Lockdowns intensiv erlebt: „Ich bin fast verrückt geworden, weil ich meine Freunde nicht sehen konnte“, erzählt sie.

„Ganz oder gar nicht Mentalität nervt“

Sie sei sehr froh darüber gewesen, dass die Kinder wieder zur Schule und in den Kindergarten gehen können, sagt Angrit Aumann, aber die Kinder müssten ja nicht um jeden Preis zur Schule gehen. „Das ist so eine ganz oder gar nicht Mentalität, das nervt mich“, sagt sie.

Stattdessen müssten die Kinder in vollen Bussen fahren und in Klassen sitzen, die ständig gelüftet werden müssen. Trotz kaltem Winterwetter. „Einmal habe ich mir die Kapuze hochgezogen und den Reißverschluss zugemacht, weil es so kalt war“, berichtet Julie.

„Wenn wir das ohne Schulschließungen bis Weihnachten schaffen, dann ist das nur eine kleine Atempause“, sagt Angrit Aumann. Sie fürchtet sich davor, dass es kurz vor Weihnachten einen Coronafall gibt. „Dann wäre Weihnachten in den Fritten“, sagt sie enttäuscht. Die Gefahr sei natürlich auch vorher dagewesen. Aber wesentlich geringer bei nur einer halben Klasse.

Auch Julie hat - wie ihre Mutter - einen Brief an Yvonne Gebauer geschickt. Darin schreibt sie unter anderem: „Die ganze Klasse in der Coronazeit zu unterrichten ist dumm, weil damit ein viel höheres Risiko besteht, dass man Corona bekommt, oder in Quarantäne muss. Ich hoffe, Sie können das verstehen.“

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