Dr. Barbara Seibert hat ihre Praxis in Lünen im Mai 2021 an Oliver Haenel übergeben. Die engagierte Tierärztin arbeitet dort weiter und hat mit Therapien für verhaltensauffällige Hunde auch gut zu tun.

© Magdalene Quiring-Lategahn (A)

Mehr auffällige Hunde in der Pandemie: Zwischen Therapie und Welpenmafia

rnNeue Haustiere

Verhaltensauffällige Hunde stellen neue Besitzer vor Herausforderungen. Besonders in Pandemiezeiten. Es gibt auch gute Beispiele, aber die Therapiestunden von Dr. Barbara Seibert sind voll.

Lünen

, 18.12.2021, 16:30 Uhr / Lesedauer: 3 min

Als Gabriele Protzes Hund Anton im vergangenen Jahr starb, versuchte sie zunächst einmal ohne einen vierbeinigen Begleiter auszukommen. Doch das war nicht einfach. „Es war das Jahr, in dem uns die Corona-Pandemie alle getroffen hat, und ich habe meinen Begleiter noch mehr vermisst“, erinnert sich die Lünerin. „Der Wunsch, wieder einen Hund zu haben wurde immer größer. Meine Spaziergänge waren einsam geworden. Kein freudiges Bellen, kein Gespräch mit anderen Hundebesitzern. Ich habe es so vermisst!“

Gabriele Protze hat sich während der Corona-Zeit einen Hund aus Rumänien vermitteln lassen. Es brauchte viel Geduld und Zuwendung, um sich an einander zu gewöhnen.

Gabriele Protze hat sich während der Corona-Zeit einen Hund aus Rumänien vermitteln lassen. Es brauchte viel Geduld und Zuwendung, um sich an einander zu gewöhnen. © Protze

Also begann sie sich nach einem neuen Hund umzusehen. Doch die Tierheime waren leer und die Preise bei den Züchtern für Protze unerschwinglich. „Ein Mischlingshund sollte 2000 Euro kosten.“

Bei der Suche stieß sie auf den Verein „Tierhilfe Lebenswert“, der Straßenhunde aus Rumänien nach Deutschland bringt. „Sie haben uns Miro vermittelt, eine Pflegestelle gestellt, um sicher zu gehen, dass er sich mit unseren Katzen verträgt und dass alle Auflagen erfüllt werden, damit Miro in Deutschland leben kann und gesund ist“, beschreibt Gabriele Protze den Ablauf.

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Trotz der guten Vermittlung kam es anfangs zu Problemen: „Miro hat in seiner Heimat schreckliche Dinge erlebt, er war etwa vier Jahre alt und sehr, sehr ängstlich, was Menschen angeht“, erinnert sich die Fotografin. „Er hat keinem vertraut und ist häufiger weggelaufen. Aber es ist glücklicherweise immer gut ausgegangen. Jetzt werden wir ein immer besseres Team. Langmut, Ausdauer und Liebe sind das Rezept.“

Das müsse jedem bewusst sein, der sich einen Hund zulegt. Und, dass gerade Hunde aus Rumänien, Bosnien oder Bulgarien, die zuvor auf der Straße gelebt haben und oft brutal eingefangen wurden, auch schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht haben, eben verhaltensauffällig sein können.

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Wandel in Hundehaltung während Corona

Dass viele Menschen, die sich einen Hund anschaffen, das nicht bedenken, weiß Dr. Barbara Seibert. Seit Jahren erlebt die langjährige Lüner Tierärztin einen Wandel in der Hundehaltung. „Ich sehe schon lange, dass Besitzer mehr nach dem Aussehen eines Hundes gehen und nicht nach seinen Bedürfnissen“, erzählt sie.

Eine weitere neue Entwicklung: „Es gibt immer mehr auffällige Hunde.“ Diese Tiere haben oft ein übersteigertes Angstverhalten. „Viele Menschen, die sich im Homeoffice ein Tier zugelegt haben, haben mit ihnen nicht trainiert, alleine zu bleiben.“

Muss der Besitzer zurück ins Büro, kommen die Hunde nicht zurecht. „Wenn die Tiere Glück haben, kommen sie zu mir“, sagt Seibert. Wenn sie Pech haben, landen sie im Tierheim. „Hunde auf Zeit“ nennt sie letztere.

„Es gibt viele Menschen, die in ihrer Sehnsucht und Einsamkeit bei so einem kleinen Pelztier Trost und Gesellschaft gesucht haben. Und niemanden hatten, der sie bei der Erziehung unterstützen konnte.“ Viele Hundeschulen waren pandemiebedingt erst geschlossen und sind jetzt gnadenlos überfüllt. „Tiere, die es unbedingt nötig hätten, müssen wegen Platzmangels abgewiesen werden“, weiß Seibert.

Die beste Zeit für Hunde sei um das Jahr 2000 gewesen. Viele Hundehalter waren in Hundeschulen geströmt, die meisten Tiere waren freundlich und ausgeglichen. Später gab es einen Trend zu kleineren Hunden. „Manche Besitzer haben nicht erwartet, dass die auch erzogen werden müssen“, so Seibert. Aber natürlich gebe es auch Chihuahuas, die ebenso gut erzogen sind wie Polizeihunde.

Auch wenn Seibert vor neun Monaten ihre Tierarzt-Praxis abgegeben hat, ist die Tierärztin nach wie vor an vier Vormittagen vor Ort, um Tierverhaltenstherapien durchzuführen oder kranken Tiere zu helfen. Seibert unterstützte auch Gabriele Protze und Miro dabei, die anfänglichen Schwierigkeiten in den Griff zu bekommen.

2020 ist Dr. Barbara Seibert mit dem Heinrich-Bußmann-Preis in Lünen ausgezeichnet worden. Die Ehrung galt dem gemeinsamen Engagement mit ihren Mitstreitern beim Verein Do Dogs.

2020 ist Dr. Barbara Seibert mit dem Heinrich-Bußmann-Preis in Lünen ausgezeichnet worden. Die Ehrung galt dem gemeinsamen Engagement mit ihren Mitstreitern beim Verein Do Dogs. © Beate Rottgardt

Geschäft der Welpenmafia: Genau hinschauen

Parallel zur Vermittlung der Straßenhunde gebe es außerdem die Welpenmafia, so Seibert. „In osteuropäischen Ländern werden in irgendwelchen Schweineställen auf grausamste Art Hunde produziert und dann auf Rastplätzen aus dem Kofferraum heraus verkauft. Oft werden die Zuchthunde erschossen, sobald sie unproduktiv sind. Die Welpen sind häufig sehr krank und schwach.“

Das führe wiederum zu Verhaltensauffälligkeiten und eben dazu, dass die kleinen Hunde schnell wieder abgegeben werden. Oder die Welpen werden bei Kontrollen vom Zoll aufgegriffen. Dann landen sie in Quarantäne-Stationen von Tierheimen und verbringen dort die wichtige Zeit der Sozialisation.

Barbara Seibert spricht von gefälschten Impfpässen, dem Welpenhandel als krimineller Vereinigung und lukrativen Geschäften, von lückenhaften Registrierungen.

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„Letztlich möchte ich aufrütteln und die Leute dazu bringen, genau hinzugucken“, sagt die 73-Jährige. „Aber ich möchte Hundebesitzern auch vermitteln, dass man es schaffen kann.“ Dafür sei die Hundeerziehung wichtig und den Hunden müsse zugestanden werden, nicht nur Tröster zu sein. Sondern eben auch Tier.

Seibert ist aber auch Verständnis für die Halter wichtig. „Wenn sie auf die Tricks der Welpenmafia reinfallen, unterstütze ich sie soweit wie möglich dabei, den Gesundheitszustand ihres Tieres wiederherzustellen, ohne ihnen Vorwürfe zu machen.“

„Ein Tier hat einen Wert, es wird gefüttert, geimpft und später hoffentlich an liebevolle Menschen abgegeben“, stellt Gabriele Protze fest. Das laufe aktuell leider nicht immer so. „Hunde sind zu Coronazeiten zu einer Ware geworden. Aber es sind treue Begleiter.“ Das dürfe man nie vergessen.