Gute Nachricht für den Kreis Unna Artensterben zum Trotz: Weißstörche sind zurück

Gute Nachricht für den Kreis Unna : Die Weißstörche sind zurück
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Das Foto, das Peter Strube Ende Mai dieses Jahres gemacht hat, ist pixelig und unscharf - und doch bestechend schön. Der Pfarrer im Ruhestand war auf dem Lippedamm in Lünen in Richtung Alstedde unterwegs, um nach den beiden Störchen Ausschau zu halten, die er dort zuletzt immer wieder angetroffen hat.

Tatsächlich entdeckte er aber nicht nur die zwei 1,10 Meter großen Vögel mit den langen roten Schnäbeln und Beinen, sondern noch einen dritten: grau, etwas zottelig und mit bloßen Augen kaum zu erkennen. Erst der Zoom bestätigte Strubes Hoffnung: In dem Nest hockt tatsächlich ein Küken. Die nächste Generation Klapperstorch, die schon ausgestorben zu sein schien zwischen Lippe und Ruhr.

Neuer Rekord

Falko Prünte, wissenschaftlicher Mitarbeiter der in Bergkamen-Heil ansässigen Bio-Station für den Kreis Unna und Dortmund, hat den Nachwuchs in Lünen auch schon entdeckt. Und nicht nur dort. An insgesamt zwölf Stellen im Kreis Unna wächst gerade eine neue Generation der größten einheimischen Vogelart heran: ein neuer Rekord, den sich selbst optimistische Naturfreunde vor 30 Jahren nicht erträumt hätten.

„Anfang der 1990er Jahre“, sagt Prünte, gab es nur noch drei Storchenpaare - nicht etwa im Kreis Unna oder im Ruhrgebiet, sondern in ganz Nordrhein-Westfalen. Alle drei Paare lebten im Kreis Minden-Lübbecke. An brütende Störche in Lünen und anderswo im Kreis Unna konnte sich damals bereits niemand mehr erinnern.

Dramatischer Rückgang

Der dramatische Rückgang der Störche vor allem ab der 1950er- und 60er-Jahre war kein Schicksalsschlag, sondern menschengemacht: ein bundesweites Phänomen, wie es auch in anderen Teilen Europas zu beobachten war. Eine Hauptursache sieht der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) in der intensiven Landwirtschaft: „Ehemals feuchtes Grünland wurde entwässert und für eine intensive landwirtschaftliche Nutzung vorbereitet.“ Der Einsatz von Pestiziden, aber auch immer neue Bauprojekte hätten dem Weißstorch die Lebensgrundlage genommen. „Selbst dort, wo die Landschaft noch grün und naturnah erscheint, gibt der zweite Blick einförmige Wiesen und Weiden preis, die an die Stelle vielfältiger Pflanzengesellschaften getreten sind“, stellt der Nabu fest.

Wo Kleinsäuger, Regenwürmer, Insekten, Frösche, Fische, Schlangen und andere Reptilien nicht mehr heimisch sind, fehlt den Störchen die Nahrung. Umgekehrt funktioniert es aber wohl auch. Wenn die Störche wieder Lebensraum und Nahrung finden, können sie wieder heimisch werden: eine Erfahrung, die den Lüner Hobbyfotografen Peter Strube und andere Naturfreunde im Kreis Unna gerade jubeln lässt.

Unscharf, aber trotzdem ein Hingucker: Das Foto vom 24. Mai 2023 zeigt das noch winzige Storchenküken. Peter Strube hat die Aufnahme vom Lippedamm aus gemacht.
Unscharf, aber trotzdem ein Hingucker: Das Foto vom 24. Mai 2023 zeigt das noch winzige Storchenküken. Peter Strube hat die Aufnahme vom Lippedamm aus gemacht. © Peter Strube

Zunächst war es aber nicht mehr als eine Hoffnung. Sie trieb Falko Prünte von der Biostation und seine Kolleginnen und Kollegen Anfang der 2000er-Jahre an. Erfolge aus anderen Regionen ließ die Naturschützer hoffen, dass sich der Klapperstorch, wie der Weistorch auch heißt, zwischen Ruhrgebiet und Münsterland niederlässt. In einem 2008 veröffentlichten Konzeptpapier der Biostation hieß es: „Die auch im Kreis Unna in den letzten Jahren durchgeführten Maßnahmen zur Optimierung aquatischer und amphibischer Lebensräume und zum Erhalt von Feucht- und Nasswiesen haben insbesondere in den Auen von Lippe und Ruhr potentiell geeignete Lebensräume für den Weißstorch entstehen lassen.“ Der Aufbau sogenannter Brutkanzeln sollte den Storcheneltern die Familiengründung erleichtern. Ein Fehlschluss, wie auch auf Peter Strubes Fotos aus Lünen zu sehen ist.

Dieses Foto vom Jungvogel aus Lünen ist am 20. Juni entstanden.  Gut einen Monat nach der ersten Aufnahme hat Peter Strube den Nachwuchs von Familie Adebar noch einmal im Bild festgehalten. Noch einen Monat, dann werden sich Kind und Eltern trennen.
Dieses Foto vom Jungvogel aus Lünen ist am 20. Juni entstanden. Gut einen Monat nach der ersten Aufnahme hat Peter Strube den Nachwuchs von Familie Adebar noch einmal im Bild festgehalten. Noch einen Monat, dann werden sich Kind und Eltern trennen. © Peter Strube

Das Storchenküken, das der Lüner immer wieder fotografiert hat, ist nicht in einer bequemen Nisthilfe im XXL-Format herangewachsen, sondern auf einem Jagd-Hochsitz. Darauf hatten Störche - wahrscheinlich ist ein Elternteil Immer noch dasselbe wie heute - 2019 einen Horst gebaut: ein Nest, das sie seitdem immer wieder nutzen. Während Treue in der Partnerschaft eher ein Fremdwort ist - nach der Aufzucht des Nachwuchses fliegen die Eltern getrennt ihre Wege -, sind sie dem Nest treu. Eines der Elterntiere wird mit Sicherheit dahin zurückkehren.

In diesem Fall zurück zum Hochsitz, den die Jägerinnen und Jäger längst abgeschrieben haben.

Erster Bruterfolg in Langern

Die ersten Storchenkinder im Kreis Unna sind nicht dort, sondern rund zehn Kilometer weiter nordöstlich zur Welt gekommen: in der Lippeaue in Werne-Langern. Schräg gegenüber, auf der anderen Seite der Lippe in Bergkamen-Heil, ließ sich später ein weiteres Paar nieder. „Und in diesem Jahr brütete zum ersten Mal auch ein Storchenpaar auf der Kanzel an unserer Bio-Station“, freut sich Falko Prünte. Gäste können von der Aussichtsplattform in die Kinderstube von Familie Storch schauen.

Die Mitglieder der Ornithologischen Arbeitsgemeinschaft des Kreises Unna haben kreisweit in diesem Jahr zwölf brütende Storchenpaare im Kreisgebiet gezählt: ein Spitzenwert. Im Vorjahr waren es zehn. 21 Jungvögel wuchsen 2022 heran. „Nach dem ersten Bruterfolg 2018 sind jedes Jahr zwei, drei dazu gekommen“, sagt Prünte.

2023: Ruhraue vor Lippeaue

Was er nicht gedacht hätte: „In der Ruhraue sind es in diesem Jahr mehr als in der Lippeaue.“ In Schwerte, Holzwickede und Fröndenberg sind sechs Storchennester mit immer hungrigem Nachwuchs. Ein Küken braucht immerhin rund ein Kilo Nahrung pro Tag. In der Lippeaue sind es fünf Nester. Das sechste in Selm ist jenseits der Lippe: am Ternscher See.

Das Ende des Zuzugs im Kreis Unna werden die Störche selbst definieren. „Wenn die Nahrung nicht mehr ausreicht, ist Schluss“, so Prünte. Wann das sein wird, lasse sich nicht vorhersagen. Etwas anderes aber schon: Dass die zunehmende Trockenheit in Folge des Klimawandels den aktuellen Aufwärtstrend bei den Störchen wieder trüben wird. Zwar seien die großen Vögel Hitze gewohnt. Schließlich fliegen die meisten von ihnen im August zum Überwintern in den Tschad oder in den Senegal (einige wenige bleiben angesichts der milderen Winter auch in den Rieselfeldern in Münster oder im Allwetterzoo). Die große Trockenheit im Brutgebiet setzt den Störchen aber zu. Denn die Nahrung für die Jungen finden sie nur in Feuchtgebieten.

Lebensgefährliche Strommasten

Peter Strube wird nicht mehr allzu lange Gelegenheit haben, vom Lippedamm bei Alstedde aus das Storchenjunge zu fotografieren. Geschlüpft ist Adebar Junior nach 32 Tagen Brut, bei der sich Mutter und Vater Storch abgewechselt haben. Im Nest bleibt er knapp zwei Monate.

In dieser Zeit muss er nicht nur fressen und wachsen, sondern auch lernen. Zum Beispiel, dass Strommasten - auf einem in Heil ist auch ein Horst - lebensgefährlich sein können. Und dass Menschen sie nicht nur aus sicherer Entfernung wohlwollend bewundern und fotografieren, sondern auch ihre größte Gefahr sind.

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