„Über Marathon sind wir lange hinaus – das ist Ultra Distanz.“ Worte, mit denen Dr. Annette Kleinschnittger, Vorsitzende des 8. Senats des Oberverwaltungsgerichts (OVG) in Münster, den Rechtstreit um das Trianel-Steinkohlekraftwerk auf den Punkt bringt und quasi den nächsten Akt einläutet.
11.000 Seiten Gerichtsakten, kartonweise Gutachten und Genehmigungsunterlagen: Es ist ein Fall, der bis zum Bundesverwaltungsgericht und zum Europäischen Gerichtshof ging und der auch für die erfahrenen Richter in Münster nicht zum Alltagsgeschäft gehören dürfte.
Dr. Gudrun Dahme, OVG-Pressesprecherin, formuliert es so: „Das ist auch für uns ein besonders aufwändiges Verfahren mit einer langen Geschichte.“ In der „dritten Runde“ geht es nun um verbliebene Streitpunkte - konkret darum, wie verträglich das Ganze für die Flora-Fauna-Habitate (FFH) in den Lippeauen und den Cappenberger Wälder ist.

Ungewöhnlich ist auch der Ort, an dem an mindestens zwei festgesetzten Terminen verhandelt wird: Aus Platzgründen wird im Hotel Mövenpick getagt. Und trotzdem stellt sich in dem Raum, der sonst vermutlich Konferenzen und Feiern unterschiedlichster Form dient, eine echte Prozess-Atmosphäre ein. Auch mit Blick auf Corona sind sechs Tage angesetzt. Aber Zweifel lässt die Vorsitzende Dr. Annette Kleinschnittger, eine Juristin klarer Worte und gesunden Humors, nicht aufkommen: „Wir wollen hier nicht sechs Tage mit Ihnen verhandeln. Das ist kein Workshop.“
Stickstoff, Schwefel und Hoffnung
Es gehe um Rechtmäßigkeit von Genehmigungen, um den Vorbescheid und zwei Teilgenehmigungen, fasst OVG-Richterin Maren Sarnighausen als Berichterstatterin den Sachstand zu Beginn des ersten Verhandlungstages zusammen. Das Kraftwerk laufe seit etwa neun Jahren. Der Kläger wolle, dass es abgeschaltet werde. Der Beklagte halte das Kraftwerk für FFH-verträglich.
Nach der Einführung geht es über Stunden um alte und neue Gutachten, um strittige Bemessungsmethoden und abweichende Ergebnisse – Chemie und Biologie in Reinform. Stichworte wie Ammoniak, Schwefel, Stickstoff, Emission und Niederschlag fallen – komplettiert mit Fachvokabular wie Critical Loads, was nichts anderes als Kritische Belastungsgrenzen meint.
Nicht umsonst erklärt die Vorsitzende, dass sich der Senat in das Verfahren reingefuchst habe, verweist auf komplizierte Berechnungen und betont am Ende eines langen Tages: „Ich hätte auch nichts dagegen, wenn Sie alle noch einmal nachdenken, wie wir aus dieser verfahrenen Kiste rauskommen.“ Passend dazu kommentiert sie einige Stunden zuvor: „Vielleicht kommen Sie ja irgendwann noch zusammen. Lassen Sie mir diese optimistische Hoffnung.“ Die Hoffnung auf eine gütliche Einigung der Parteien.

Auf Nachfrage erklärt Dirk Jansen, Geschäftsleiter des BUND NRW: „Es war klar, dass hier eine hochkomplexe Materie verhandelt wird und es sind noch viele Fragen offen.“ Sie sähen viele Genehmigungsfehler und Trianel versuche noch immer, die Belastungen systematisch kleinzurechnen. Hier stelle sich die grundsätzliche Frage, wie Schadstofffreisetzungen von Industriebetrieben oder auch Tierhaltungsanlagen bewertet würden.
Trianel-Pressesprecherin Ingela Marré betont indes: „Wir begrüßen, dass wir die Verhandlungstermine jetzt haben.“ Es seien viele kritische Punkte bereits angesprochen worden und sie habe die rechtliche Einordnung als konstruktiv empfunden. Es seien noch Fragen offen. „Wir bleiben optimistisch, dass wir nun Rechtssicherheit bekommen, dass das Kraftwerk zu Recht von der Bezirksregierung genehmigt wurde.“ Am Freitag (20.1) wird das Verfahren fortgesetzt.
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