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Nicht nur Kreuzchen: Lüner erzählt, wie man als blinder Mensch wählen kann
Bundestagswahl
70 Löcher und abgeknickte Ecken: So sieht die Wahlschablone aus, mit der blinde oder sehbehinderte Menschen ihre Stimme abgeben können. Ganz einfach ist das Prozedere allerdings nicht.
Den Stimmzettel zur Bundestagswahl kann Frank Vehlow (52) nicht lesen. Dennoch möchte der stark sehbehinderte Lüner am Sonntag (26.9.) bei der Bundestagwahl seine Stimme abgeben. Bisher hat er immer per Briefwahl gewählt. Erstmals will Frank Vehlow jetzt sein Kreuzchen in einem Wahllokal machen. Wie soll das gehen, wenn man fast blind ist?
Dafür gibt es besondere Wahlschablonen, ein Pilotprojekt des Bundesinnenministeriums in NRW. Dass diese Schablonen in allen Lüner Wahllokalen ausliegen, dafür hat der Behindertenbeirat gesorgt. Dort engagiert sich Frank Vehlow als zweiter, stellvertretender Vorsitzender. Außerdem ist er ehrenamtlich als Bezirksgruppenvorsitzender des Blinden- und Sehbehindertenvereins Kreis Unna aktiv.
Fast 80 Zentimeter lang ist die Wahlschablone aus Pappe. Schwarzumrandete Löcher befinden sich genau da, wo die Stimme abgegeben werden kann. Dazu muss die Schablone aufgeklappt und der Wahlschein hineingelegt werden. Jetzt kommt die abgeknickte Ecke ins Spiel. Sie muss mit dem Wahlschein bündig sein. Nur dann stimmt er mit den Löchern überein.
Virus lähmt Augenmuskeln
Nummern in Großdruck und Punktschrift helfen den blinden und sehbehinderten Wählerinnen und Wählern, bei Kandidaten und Parteien ihrer Wahl ein Kreuz zu machen. Für Frank Vehlow sind sie keine Option. Der Lüner hat nur noch ein Prozent Sehkraft. Er kann noch Schemen wie durch Nebel wahrnehmen. Als Kind fing er sich bei einem Nordsee-Urlaub einen Magen- und Darmvirus ein.
Vermutlich löste der eine Lähmung der Augenmuskeln aus. Frank Vehlows Augen sind seitdem starr. Als er 30 war, kam grüner Star dazu, der durch erhöhten Innendruck den Sehnerv beschädigte. Anfangs halfen Tropfen, später musste der ausgebildete Kaufmann mit dualem Betriebswirtschaftsstudium mehrfach operiert werden. Ohne Erfolg. Seine Sehkraft nahm immer mehr ab, Vehlow ist inzwischen fast blind und erwerbsunfähig.
Telefonischer Ansagedienst
Damit Wähler wie er erkennen können, hinter welcher Nummer auf der Schablone sich welche Kandidaten und Parteien befinden, hilft der Griff zum Telefon. Der telefonische Ansagedienst der Arbeitsgemeinschaft der Blinden- und Sehbehindertenvereine in Nordrhein-Westfalen (BSVNRW) liest unter der Rufnummer 0800 000 9671 0 den Inhalt des Stimmzettels kostenlos vor. Das hat einen Haken: Die Ansage dauert länger als eine halbe Stunde, sollte man sich sämtliche Bewerber und Bewerberinnen für den Wahlkreis samt Parteien vorlesen lassen.
Ein Tipp von Frank Vehlow: Das schon mal zuhause testen. Ganz einfach ist das Prozedere nämlich nicht. Abgefragt wird, in welchem Wahlkreis man wählt. Lünen gehört zum Wahlkreis 145 Hamm-Unna II. Auch diese Info kann man sich telefonisch besorgen. „Eine gewisse Vorbereitung braucht das schon“, so Vehlow. Es gibt auch eine Audio-CD dazu.
Dass er diesmal die Schablone statt der Briefwahl nutzen möchte, hat einen Grund. Bis zum letzten Tag möchte sich Vehlow offenhalten können, wem er seine Stimme gibt. Die Chance bietet ihm die Wahlschablone.
Engagiert für Menschen mit Seheinschränkung
Mit seinem Blindenstock wird der Lüner am 26. September in sein Wahllokal gehen. Auch wenn dort Schablonen ausliegen, bringt er seine eigene mit. Die haben die 123 Mitglieder des Blinden und Sehbehindertenvereins Kreis Unna bereits zugeschickt bekommen.
Damit aber auch Nicht-Mitglieder geheim wählen können, hat der Behindertenbeirat weitere Schablonen der Stadt Lünen überreicht.
Frank Vehlow ist es wichtig, dass blinde und sehbehinderte Menschen nicht im Abseits stehen. 2017 hat er sich zum Berater Blickpunkt Auge ausbilden lassen. Seit fünf Jahren bringt er sich mit seinem Fachwissen auch im Behindertenbeirat ein, um den Alltag von blinden und sehbehinderten Lünern zu erleichtern.
Lünen ist eine Stadt mit unterschiedlichen Facetten. Nah dran zu sein an den lokalen Themen, ist eine spannende Aufgabe. Obwohl ich schon lange in Lünen arbeite, gibt es immer noch viel zu entdecken.
