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Ex-Pflegerin des Alloheims: „Konnte es nicht mit Gewissen vereinbaren“
Pflegenotstand
Im Dezember berichten wir über die Vorwürfe einer Angehörigen gegen die Seniorenresidenz Osterfeld. Eine ehemalige Mitarbeiterin des Betreibers Alloheim meldet sich und gibt tiefe Einblicke.
Wechselndes Personal, schlechtes Essen und ein respektloser Umgang, diese Dinge sind es, die die Angehörige Daniela Blome unserer Redakteurin Beate Rottgardt über die Seniorenresidenz Osterfeld im Dezember berichtet. Wir konfrontieren den Betreiber Alloheim mit den Vorwürfen. Den Artikel, der aus dieser Recherche entsteht, liest auch Sabine Müller*. Sie hat viele Jahre für Alloheim im Seniorenzentrum Beckinghausen gearbeitet und ist schockiert: „Ich konnte nicht fassen, was das Alloheim da geantwortet hat. Mir ist fast die Hutschnur explodiert.“
Die Pflegerin kennt viele Missstände, die die Angehörige dem Alloheim vorwirft: „Da sind so viele Sachen, die ich bestätigen kann. Da wird mit Menschen Geld verdient, Pflege ist etwas anderes.“ Ein Problem, das Sabine Müller immer wieder am eigenen Leib erlebt: die Personallage. „Es gab Personalwechsel ohne Ende. Viele Zeitarbeiter waren in der Pflege eingesetzt. Examinierte Fachkräfte gab es einfach nicht genug.“ Immer wieder sei es vorgekommen, dass Mitarbeitern der Urlaub verweigert wurde, weil die Engpässe sonst zu groß geworden wären. Wir konfrontieren Alloheim mit den Berichten von Sabine Müller und erhalten nach Wochen Antwort: „Die Unterstellung, dass es in der Einrichtung ‚nur wenig‘ feste Mitarbeiter und dafür ‚viele‘ Zeitarbeiter gäbe, ist falsch. Richtig ist: Der Regelbetrieb in der Einrichtung wird von einem festen Stammpersonal ausgeführt.“
Das Alloheim erklärt aber auch, dass es in seltenen Fälle vorkommen könne, dass Zeitarbeiter eingesetzt werden: „Sofern es notwendig ist, gleichen wir kurzfristige Engpässe, z.B. bei Krankheitsfällen, durch interne Vertretungen zwischen den Wohnbereichen aus oder - falls das nicht ausreicht - greifen auf qualifizierte Zeitarbeitskräfte zurück.“ Druck und Stress sind es am Ende auch, die Sabine Müller dazu bewegen zu kündigen: „Ich konnte es nicht mehr mit meinem Gewissen vereinbaren und habe gekündigt.“
Auch die Verpflegung ist Thema in unserer Berichterstattung im Dezember. Damals erklärt Alloheim auf die Anschuldigungen der Angehörigen, dass es über 1300 Rezepte gäbe, aus denen gewählt werden könne. Sabine Müller: „Ich habe im Leben keine 1300 Rezepte gesehen. Das, was es da gab, sah niemals besonders vitaminreich aus.“ Auch die Portionen seien ein Problem gewesen: „Einer der Bewohner sagte zu dem Essen mal: Meerschweinchenbraten.“ Auch Geschichten über vermeintlich billige Kuchen und Kekse kennt sie: „Das sind die günstigen vom Aldi für knapp einen Euro gewesen.“ Das Alloheim reagiert mit derselben Antwort wie im Dezember: „Unser qualifiziertes Küchenpersonal hat die Möglichkeit, aus über 1.300 Rezepten auszuwählen. So werden im wöchentlichen Wechsel abwechslungsreiche und individuelle Tagesmenüs zusammengestellt.“
Budget für die Verpflegung
Das Alloheim erklärt zu der Verpflegung für das Cafétrinken: „Zudem weisen wir die in Ihrer Frage enthaltene pauschale Unterstellung, dass die Verpflegung „abgezählt“ und „billig“ sei, entschieden zurück. Die hinter Ihrer Aussage stehende Unterstellung, die Kekse seien abgezählt, ist falsch. Offenbar wurden Ihnen von Dritten unwahre Tatsachenbehauptungen zugetragen. Die Menge der Kekse ist nicht abgezählt. Hinzu kommt, dass wie bei allen anderen Mahlzeiten selbstverständlich ein Nachschlag möglich ist. Zudem wird im Wechsel auch selbst gemachter Kuchen, hier ist ebenfalls immer ein Nachschlag möglich, serviert.“
Sabine Müller: „Einer der Köche hat mir mal erzählt, dass die am Tag 3,50 Euro für die Bewohner zur Verfügung haben.“ Das Alloheim weist dies zurück und erklärt: „Die Kosten für die Verpflegung der Bewohner umfassen neben dem reinen Wareneinsatz noch die anteiligen Kosten für das mit der Verpflegung befasste Personal, Wasser, Energie und sonstige Ausstattung. Alloheim betreibt in Lünen und nahezu allen anderen Standorten eigene Küchen, in denen täglich frisch für die Bewohner gekocht wird. Insgesamt steht in Lünen eine Summe von rund 15 Euro pro Bewohner und Tag zur Verfügung.“
Aufnahmestopp und Beschwerden
Immer wieder sei ein Aufnahmestopp eingesetzt worden, berichtet Sabine Müller: „Oft haben sich Angehörige beschwert, die Heimaufsicht war da und hat dann einen Aufnahmestopp ausgehängt.“ Der Druck, diesen Status wieder zu verlieren, sei enorm gewesen: „Es war dann die oberste Priorität aus Düsseldorf (Sitz von Alloheim), dass wir wieder Bewohner aufnehmen sollen.“
Das Alloheim bestätigt: „In der Vergangenheit gab es in unserer Einrichtung „Beckinghausen“ vereinzelt Beschwerden, die wir sehr ernst genommen haben. Alloheim hat daraufhin in enger Abstimmung mit den Behörden umgehend und entschieden gehandelt, um die Einhaltung der hohen Qualitätsstandards sicherzustellen.“ Nachdem im Oktober 2019 ein Aufnahmestopp verhängt worden sei, der im März 2020 wieder ausgesetzt wurde, habe es aber keine Probleme mehr gegeben.“
Sabine Müller würde heute niemandem mehr raten, in die Pflege zu gehen: „Stress hat man immer in der Pflege, aber beim Alloheim merkt man, dass die mit einem Plus da raus wollen. So geht man mit alten Menschen einfach nicht um.“ Heute ist die ausgebildete Pflegerin nicht mehr im Bereich der Altenpflege tätig. Von Betreibern wie dem Alloheim will sie sich strikt fernhalten: Die Tatsache, dass sie hier nur anonym sprechen könne, zeige, wie sehr sie sich durch das Alloheim eingeschüchtert und unter Druck gesetzt fühle.
Jahrgang 2000. Ist freiwillig nach Castrop-Rauxel gezogen und verteidigt ihre Wahlheimat gegen jeden, der Witze über den Stadtnamen macht. Überzeugte Europäerin mit einem Faible für Barockmusik, Politik und spannende Geschichten.
