Erste Anzeige nach der Lüner Knöllchen-Affäre

Wirbel um Lüner Bürgermeister

Nach der Veröffentlichung von Dokumenten um das nicht gezahlte Knöllchen des Lüner Bürgermeisters Jürgen Kleine-Frauns ist eine erste Anzeige eingegangen. Allerdings nicht gegen den Bürgermeister. Unterdessen haben wir die Ratsmitglieder gefragt, ob sie von einer Ausnahmeregel wussten. Das Ergebnis überrascht.

LÜNEN

, 23.02.2016, 18:45 Uhr / Lesedauer: 5 min
So sieht der R-Ausweis für die Ratsmitglieder der Stadt Lünen aus. Die Liste der mit dem Ausweis gebührenfreien Parkplätze ist jedoch nicht vollständig.

So sieht der R-Ausweis für die Ratsmitglieder der Stadt Lünen aus. Die Liste der mit dem Ausweis gebührenfreien Parkplätze ist jedoch nicht vollständig.

Die Staatsantwaltschaft hat in der Knöllchen-Affäre die Ermittlungen aufgenommen. Sie gelten jedoch nicht Jürgen Kleine-Frauns, dem Amtsmissbrauch vorgeworfen wurde, sondern demjenigen, der die persönlichen Daten anonym veröffentlicht hat. An Rücktritt denkt der Bürgermeister trotz solcher Forderungen nicht.

Zur Erinnerung: Am Donnerstag vergangene Woche gelangten Dokumente an die Öffentlichkeit, aus denen hervorging, dass Bürgermeister Kleine-Frauns (GFL) ein Knöllchen vom 30. Juli 2015 über 10 Euro partout nicht bezahlen wollte. Nach einer handschriftlichen Notiz an den Leiter der Verkehrsüberwachung („Zahle ich nicht“) wurde der rechtskräftige Bescheid schließlich auch widerrufen.

So rechtfertigt sich der Bürgermeister:

Kleine-Frauns rechtfertigte sich am Montag in einer Stellungnahme erneut so: Er habe mit dem R-Parkausweis noch als Ratsmitglied in der Marienstraße geparkt und sei davon ausgegangen, dass er damit dort auch parken dürfte. Als er trotzdem ein Knöllchen bekam, ging er davon aus, dass die Forderung fallen gelassen werde, auch wenn er nicht in einer für Ratsmitglieder ausgewiesenen Fläche stand.

„Der Bürgermeister hält es für eine Selbstverständlichkeit, dass das Vertrauen der Stadt in das Ratsmitglied da ist – dass er das R-Schild nur nutzt, wenn er im Dienst des Rats unterwegs ist“, erklärte Kleine-Frauns‘ persönlicher Referent Frank Knoll am Montag auf Anfrage.

Eine solche Vertrauensschutz-Regelung sei 2015 bei Ratsmitgliedern in 30 Fällen angewendet worden. Diese Zahl habe ein Kollege aus dem Bürgermeister-Büro hochgerechnet. Sie sei dennoch „relativ verbindlich“.

Ist diese Regelung den Ratsmitgliedern bekannt?

Ein solcher Widerruf gehöre zum Ermessen der Behörde, sagt Hans-Joachim Pohlmann, Fachanwalt für Verwaltungsrecht: „Zum Ermessen gehört natürlich auch die Frage, wie man in vergleichbaren Fällen verfahren ist.“ 

Nachweise über besagte 30 Vergleichsfälle gibt es jedoch nicht: „Das lässt sich nicht genau eruieren, die Behörde weist zurecht auf den Datenschutz hin“, sagt Bürgermeister-Referent Knoll. 

Die Zahl ist deshalb so wichtig, weil der Nachweis legitimieren kann, dass der rechtskräftige Bußgeldbescheid gegen den Bürgermeister tatsächlich widerrufen werden konnte. 

Umfrage unter den Ratsmitgliedern:

Um das zu überprüfen, haben wir schon am Sonntag alle 54 Ratsmitglieder kontaktiert und um Auskunft gebeten. Bis Dienstagabend waren 47 Rückmeldungen da. Die übrigen waren entweder momentan nicht zu erreichen oder verweigerten wie Erika Roß (Grüne) und Martin Püschel (SPD) die Aussage.

Aus den 47 eingegangen Antworten wird klar: Nur ein einziges Ratsmitglied – Andreas Mildner von der GFL – gibt an, 2015 ein einmal ausgestelltes Knöllchen nicht gezahlt zu haben.

Außerdem haben 38 der 47 Befragten von einer Vertrauensschutz-Regelung, wie Kleine-Frauns sie skizziert, nach eigener Aussage noch nie etwas gehört. Unter den neun, denen diese Regelung bekannt war, sind acht GFL-Mitglieder sowie ein Grünen-Ratsmitglied.

Von den 30 Fällen, die der Mitarbeiter hochgerechnet hatte, kann diese Umfrage nur einen einzigen bestätigen. Das wirft Fragen auf: Entfallen die restlichen Fälle auf diejenigen, die nicht auf unsere Anfrage antworten konnten oder wollten? Hat es diese 30 Fälle tatsächlich gegeben?

In einem sind sich die Ratsmitglieder jedoch einig: Alle geben an, den R-Ausweis nur dann zu nutzen, wenn sie gerade für ihre Fraktion unterwegs waren. 

Rücktrittsforderungen werden laut:

Wieso die Ordnungsbehörde den Bescheid erst – trotz Kleine-Frauns‘ Beschwerden – aufrecht erhält und ihn dann fallen lässt, als er schließlich Bürgermeister ist, bleibt weiter unklar. Knoll zitiert aus der Behörde: „Wenn das berechtigte Interesse der Betroffenen höher einzustufen ist als das Delikt selber, dann hat man diesen Ermessensspielraum. Das ist eine Einzelfallentscheidung.“

Nachdem Jürgen Gefromm, stellvertretender CDU-Fraktionsvorsitzender, schon am Freitag den Rücktritt gefordert hatte, schlossen sich am Sonntagabend die Jusos an – „wenn sich der Amtsmissbrauch bestätigt“. Sie werfen Kleine-Frauns außerdem vor, eine „Sonderbehandlung für sich in Anspruch“ zu nehmen und seine Macht als Verwaltungschef missbraucht zu haben, „um sich einen persönlichen Vorteil zu schaffen“. Der Bürgermeister trage sich jedoch „angesichts dieser Vorwürfe nicht mit Rücktrittsgedanken“, entgegnete Knoll.

Bürgermeister zahlt - aber nicht fürs Bußgeld:

Kleine-Frauns selbst kündigte am Montag in einer schriftlichen Stellungnahme an, die knapp 50 Euro, auf die sich das Bußgeld mittlerweile belaufen hätte, aufzurunden und dem Verein „Kinderfreundliches Lünen“ zu spenden. Ihm sei es ums Prinzip gegangen, nicht ums Geld.

Sein Ziel jetzt: „Eine verbindliche und für alle Ratsmitglieder gültige Regelung zu schaffen“, schreibt er. Nicht hinnehmen möchte er zudem die Herausgabe seiner persönlichen Daten: „Das ist ein strafrechtlich relevanter Vorfall, der geahndet wird. Die Staatsanwaltschaft ist eingeschaltet und ermittelt.“

So lautet die Anzeige der Stadt: 

Laut Staatsanwaltschaft ist am Dienstagnachmittag eine entsprechende Anzeige eingegangen. Die Stadt Lünen habe demnach Anzeige gegen Unbekannt erstattet wegen

  • Verletzung eines Dienstgeheimnisses
  • und einer besonderen Geheimhaltungspflicht, wegen
  • unbefugter Weitergabe von Informationen,
  • falscher Verdächtigung,
  • und Verstoßes gegen das Datenschutzgesetz NRW.

Wie Henner Kruse, Sprecher der Dortmunder Staatsanwaltschaft, erläuterte, werde die Staatsanwaltschaft die Anzeige jetzt prüfen und dann entscheiden, ob überhaupt ermittelt werde.

Eine Anzeige gegen Bürgermeister Kleine-Frauns lag der Staatsanwaltschaft bis Dienstag nicht vor. Ratsmitglieder hatten wegen der handschriftlichen Notiz an die Verkehrsüberwachung „Amtsmissbrauch“ vermutet.  

Hat Kleine-Frauns zum Stillschweigen aufgerufen?

Hat Bürgermeister Jürgen Kleine-Frauns die Mitarbeiter im Rathaus in der Knöllchen-Affäre zum Stillschweigen verpflichtet? Die Dokumente, die Ende vergangener Woche an die Öffentlichkeit gelangten, legen das nahe. Und zeigen auch: Kleine-Frauns befürchtete offenbar schon im Dezember, dass die Geschichte an die Öffentlichkeit gelangt.

„Ich fordere Sie hiermit auf, mir in einer dienstlichen Stellungnahme mitzuteilen, wen Sie über die Absetzung der Grundforderung und Kosten in Kenntnis gesetzt haben“, schreibt Kleine-Frauns in einer Mail am 2. Dezember 2015 an Friedhelm Wittlieb, den Leiter der Verkehrsüberwachung.

Rund eine Woche, nachdem dieser den Bürgermeister informiert hat, dass der Bußgeldbescheid eingestellt wurde. Das zeigt: Kleine-Frauns vermutete offenbar schon Anfang Dezember, dass die Unterlagen in – aus seiner Sicht – „falsche Hände“ geraten sein könnten – und suchte nach der undichten Stelle in der Verwaltung.

"Keine Anweisung zum Stillschweigen"

In ihren Antworten versichern sowohl Wittlieb als auch zwei Mitarbeiterinnen der Behörde, in dieser Sache niemandem Auskunft gegeben zu haben: „Herr Wittlieb hat uns bezüglich der Verfahrensweise zum Stillschweigen verpflichtet. Diese Anweisung haben wir bis zum heutigen Tage befolgt“, schreiben die Mitarbeiterinnen an den Bürgermeister.

„Der Bürgermeister selbst hat keine Anweisung zum Stillschweigen gegeben“, sagt Frank Knoll, Kleine-Frauns’ persönlicher Referent, „das war der Abteilungseiter“. Das wiederum sei völlig normal – schließlich gelten auch in der Verkehrsüberwachung die Grundsätze des Datenschutzes.

Viele Ausnahmen der Park-Regel
Neben Ratsmitgliedern und Journalisten gibt es weitere Ausnahme-Parkregelungen in Lünen. So dürften nach Aussage von Frank Knoll, persönlicher Referent des Bürgermeisters, Verwaltungsmitarbeiter im Außendienst auf benachbarten Parkplätzen mit einer besonderen Karte parken.
Sachkundige Bürger könnten zudem die Einladung zur Sitzung hinter die Windschutzscheibe legen – und bekämen im Rathaus-Umfeld so kein Knöllchen. Erstattungen von Knöllchen habe es außerdem auch schon für Ehrenamtliche in der Flüchtlingshilfe gegeben, die sich mit dem Knöllchen bei der Stadt gemeldet haben.

 

 

 

 

 

Lesen Sie auf der zweiten Seite die Meinung eines Fachanwalts für Verwaltungsrecht zu der Angelegenheit:

Hans-Joachim Pohlmann, ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht. Marc Fröhling hat mit ihm in einem Kurz-Interview über die Angelegenheit der widerrufenen Bußgeldbescheide und Parkregelungen gesprochen.

Wie kann ein rechtskräftiger Bußgeldbescheid widerrufen werden?

Dafür ist die Behörde zuständig, die ihn erlassen hat. Der Widerruf liegt im „pflichtgemäßen“ Ermessen der Behörde, er erfolgt formlos ohne Richter. Es muss aber Gründe geben. Zum Ermessen gehört natürlich auch die Frage, wie man denn in vergleichbaren Fällen verfahren ist. Wenn man in diesen Fällen eingestellt hat, dann hätte man das auch beim Bürgermeister tun müssen - und der Widerruf wäre nur die logische Konsequenz.

 

Die persönliche Notiz an den Leiter des Ordnungsamtes – viele werfen Kleine-Frauns vor, das sei Amtsmissbrauch. Wie beurteilen Sie das?

Die Notiz würde ich persönlich nicht für Amtsmissbrauch halten. Es ist jedem freigestellt – auch dem Bürgermeister –, sich gegen staatliche Maßnahmen zu wehren, auch wenn sie rechtskräftig abgeschlossen sind. Wenn der Bürgermeister zum Ausdruck gebracht hat, ob durch Notiz oder förmliches privates Schreiben, dass er mit dem Vorgang nicht einverstanden sei, dann ist es Sache der Behörde, darüber zu befinden – das hat sie getan. Allerdings muss es dafür eine öffentliche oder zumindest interne Begründung geben, denn an dem Vorgang hatte sich ja praktisch nichts geändert.

 

Angenommen, die 30 Vorgänge im Jahr 2015, in denen anderen Ratsmitgliedern Vertrauensschutz gewährt wurde, ließen sich belegen…

Dann wäre meines Erachtens die Luft ziemlich raus, selbst wenn es ausgesprochen unglücklich war, dass die Verwaltung das so lange betrieben hat. Gleichwohl: Ein Geschmäckle hat die Sache.