
© Montage Klose, Fotos Stadtarchiv
SA-Mann Emil Fröse: Kopfschuss 1932 an der Bäckerstraße - Märtyrer für Neonazis bis heute
Blutzeuge der NSDAP
Sogenannte „Blutzeugen“ spielen für die Verbreitung der NS-Ideologie noch heute eine Rolle. Einer dieser Märtyrer war in Lünen SA-Truppführer Emil Fröse. 1932 starb er durch einen Kopfschuss.
Am 2. Juni ist es 88 Jahre her, dass Emil Fröse an der Bäckerstraße, mitten in der Lüner Innenstadt, erschossen wurde. Sein Name ist heute nur noch wenigen bekannt, in den Jahren nach seinem Tod aber wurde er zu einer regionalen Berühmtheit.
Denn Emil Fröse war SA-Mann in Lünen, Truppführer sogar, sein Tod wurde von den Nationalsozialisten zum Opfer für die Sache des Volkes verklärt. Fröse wurde zum sogenannten „Blutzeugen“ der Nazi-Propaganda - und so hat sein Name auch heute noch Anziehungskraft.
„Emil Fröse“ und sein Facebook-Kommentar
Einen Beweis dafür liefert ein Facebook-Nutzer, der sich im Sozialen Netzwerk Facebook „Emil Fröse“ nennt. Dieser Redaktion fiel er auf, weil er unter einem Artikel einen Kommentar schrieb. Ein Anderer hatte notiert, man sei ja Gott sei Dank nicht mehr im Dritten Reich. „Emil Fröses“ Reaktion? „Schade“. Der Nutzer zeigt sich auf einem Bild vermummt und mit Mütze eines Kampfsport-Labels, ein „Gefällt mir“ hat er unter anderem bei der NPD gesetzt.
Der echte Emil Fröse und wohl Vorbild dieses Facebook-Nutzers ist Jahrgang 1905 und stammt ursprünglich aus Osnabrück. Er war später Bergmann in Husen-Kurl in Dortmund und engagierte sich in der SA, der Sturmabteilung der Nazis, in Lünen. Die SA, im Grunde eine paramilitärische Kampfabteilung, war vor allem beim Aufstieg der Nationalsozialisten entscheidend, Fröse trug als Truppführer seinen Teil dazu bei.
Allerdings nur bis 1932. An jenem Abend traf er auf den Schlosser Fritz Seibel. „Die Großlüner Volkszeitung“, die schon am Folgetag über den Vorfall berichten wird, nennt Seibel einen „Kommunisten“. Seibel selbst sei wie Fröse an diesem Abend in der Gaststätte Jägerklause an der Bäckerstraße gewesen.
Die Jägerklause, heißt es in dem Artikel, sei damals als„Verkehrslokal der Nationalsozialisten bekannt“ gewesen. Hier geriet Seibel demnach erst mit anderen aneinander, sprach von einem verlorenen Gerichtsprozess und sagte dann: „Jupp, heute unternehme ich was, heute passiert noch was.“ Er habe kommunistische Reden gehalten, heißt es weiter, und schließlich habe der Wirt Feierabend gemacht, um Reibereien zu verhindern.
Kaum hatte man die Tür geschlossen, fiel ein Schuss
Die Nationalsozialisten verließen das Lokal, Fröse auch, Seibel nicht. Der Wirt musste ihn herauskomplimentieren. „Kaum hatte man die Tür geschlossen, als hinter derselben auf der zur Straße führenden Treppe ein Schuss fiel“, schreibt der Redakteur des „Großlüner Volksblattes“ vom 4. Juni ‘32. Fröse war in den Kopf getroffen worden und nicht mehr zu retten, er war 27 Jahre alt und hinterließ eine Frau und ein Kind. Seibel versuchte, noch mehr Blut zu vergießen, aber seine Waffe versagte und er wurde schließlich von herbeieilenden Polizisten festgenommen.
Die Auseinandersetzung fiel in eine Zeit der politischen Unruhen, wie ein Aufsatz von Stadtarchivar Fredy Niklowitz im Buch Lünen 1918-1966 zeigt: „Der Kampf gegen die Kommunisten erreichte 1932 seinen Höhepunkt. Es verging kaum noch ein Tag und eine Kundgebung, bei der nicht schwere Kämpfe stattfanden.“
3000 Menschen bei der Beerdigung
In dieser Phase also starb Emil Fröse, dessen Kopfschuss in der Folge von den Nazis zum Märtyrertod gemacht wurde. Schon bei der Beerdigung ein paar Tage später waren laut Lüner Zeitung 3.000 Menschen anwesend: „Ein Leichenzug, wie er in diesem Ausmaß in Lünen noch nicht gesehen wurde“, schreibt die Zeitung. Auch der stellvertretende Gauleiter von Westfalen-Süd, Emil Stürtz, war dabei, ein SA-Führer überbrachte letzte Grüße von Adolf Hitler.
Blutzeugen, also „Märtyrer“ wie Emil Fröse, seien für die NSDAP von großer Bedeutung gewesen, sagt Dr. Marcus Weidner, Historiker beim LWL-Institut für wissenschaftliche Regionalgeschichte in Münster. In verschiedenen Regionen seien bestimmte Personen herausgegriffen worden, von denen man glaubte, dass sie „paradigmatisch“, also beispielhaft, für die Bewegung stünden.
Bei den Geschichten, die die Nationalsozialisten über die Todesursachen erzählten, müsse man aber vorsichtig sein. Ein Mann in Soest sei, das wisse man heute, betrunken von einem Laster gefallen und gestorben. Die Nazis schrieben die Geschichte zu einem Blutzeugen-Tod um. „Wenn die Biografie passte, wurde es ein Märtyrer.“
Für Fröse wurde eine Gedenkstätte an der Ecke Bäcker-Straße/Lange-Straße eingerichtet, ein SA-Heim an der Cappenberger Straße wurde nach ihm benannt, schließlich auch die Bäckerstraße und eine Straße in Dortmund. Er taucht auch im Buch „Halbmast, ein Heldenbuch der SA und SS“ auf, das der „Verlag Braune Bücher“ 1932 schon herausgegeben hatte. Sein Tod wird dort allerdings anders beschrieben, in dieser Version wird Seibel von „heldenhaften“ SA-Männern überwältigt.
„Blutzeugen“ werden von Neonazis immer noch instrumentalisiert
Neonazis heutzutage nutzten diese vermeintlichen Märtyrer immer noch. „Das spielt in der Szene eine Rolle, weil die Blutzeugen das Nationalsozialistische regional verankern“, sagt Weidner.
Die Spur des Kommunisten Fritz Seibel verliert sich bald. Er wurde vorm Sondergericht II in Dortmund zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt. Ein mildes Urteil, wenn man bedenkt, dass dort in den Folgejahren Menschen selbst für Nichtigkeiten wie kleine Diebstähle zum Tod durch Fallbeil verurteilt wurden. Die Emil-Fröse-Straße ist nach dem Untergang des Dritten Reiches wieder in Bäckerstraße umbenannt worden.
Gebürtiger und auch immer noch dort lebender Dortmunder. Der der Stadt Lünen aus der „Außensicht“ viel abgewinnen kann – und doch immer wieder erstaunt ist, wie manches hier so läuft. Lieblingsthemen: Politik, Wirtschaft, Soziales.
