Die 40-jährige Ära war um 18 Uhr beendet
Hertie hat geschlossen
Kurz vor 18 Uhr war die Ära Hertie in Lünen beendet. Nach 40 Jahren. Jens Blesing, Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma, schloss die Türen ab. Drinnen standen die Mitarbeiter in kleinen Gruppen zusammen. Lesen Sie hier, wie der letzte Tag abgelaufen ist.
Die letzten Kunden hatten die Zeit bis zum endgültigen Schluss des Kaufhauses noch genutzt. Auch wenn eigentlich am Abend kaum noch Ware vorhanden war.Vor der nun verschlossenen Tür unterhielten sich zwei ältere Ehepaare. „Ist schon irgendwie schade“ lautete das Fazit. An den nun verschlossenen Glastüren des Haupteingangs hängen Info-Blätter. Zum einen von dem Lotto- und Zeitschriftengeschäft, das seit Jahren bei Hertie im Erdgeschoss zu finden war. Aber auch das Team von Essanelle-Friseur, das in einem der oberen Etagen seinen Salon hatte, hat ein neues Domizil gefunden. Ab Ende der Woche sind die Friseurinnen beim Salon „Top Ten“ an der Lange Straße 51 zu finden."Nicht den Mut verlieren" An die Mitarbeiter von Hertie denkt City Ring-Vorsitzender Horst Lewald. "Ich wünsche ihnen, dass sie schnell wieder Arbeit finden, sie sollten geradeaus schauen und nicht den Mut verlieren", so Lewald, der als Saturn-Geschäftsführer auch direkter Hertie-Nachbar auf dem Marktplatz ist.
Er glaubt, dass man auch, wenn man nicht mehr ganz jung ist, im Einzelhandel durchaus Chancen habe. Und bedauert für den City Ring, dass nun kein Vollsortimenter mehr in Lünen ansässig ist. "Ich hoffe, dass die Fläche nicht lange brach liegt, dass in dem Gebäude möglichst schnell was passiert." Jetzt stehe aber die menschliche Seite im Vordergrund: "Jeder Mitarbeiter ist gefordert, Gas zu geben."Verkaufsgetümmel Ein mit goldenen Sternen geschmückter Weihnachtsbaum steht mitten im Verkaufsgetümmel. Die Rolltreppe in den ersten Stock ist längst abgestellt und im Erdgeschoss mutet die Atmosphäre fast ein bisschen wie früher beim Schlussverkauf an. Noch einmal durchgehen haben sich zwei ältere Damen vorgenommen, Kundinnen seit der ersten Hertie-Stunde. „Wenn das hier zu ist, das macht sich auch für die anderen Geschäfte, beispielsweise an der Bäckerstraße, bemerkbar“, sind sich die Lünerinnen sicher. Und wo sie nun Haushaltssachen oder selbst Nähnadeln und Stopfgarn kaufen sollen, wissen sie nicht: „Jetzt bekommt man in Lünen nicht mal mehr eine Tasse.“ „Schade“, meint auch Olaf Owczarek, der mit Frau und Kindern gekommen ist. „Wenn wir jetzt was brauchen, müssen wir nach Dortmund.“ Und was soll aus dem Gebäude werden? „Abreißen wird wohl zu teuer, ich schätze, dass da lauter Billigläden rein kommen“, vermutet der Lüner.Suche am Wühltisch
Nebenan sucht eine ältere Kundin am Wühltisch nach Strümpfen. Sie hat kein Auto, ist nur mit dem Fahrrad unterwegs: „Nach Dortmund mit dem Zug zu fahren, wird teuer.“ Noch eine Hose hat Heike Lahl am letzten Verkaufstag bekommen. Sie bedauert es auch, dass Hertie schließt: „Es ist ein riesig großes Haus, entweder reißt man es ab oder teilt es auf.“ Für den Betriebsratsvorsitzenden Werner Söchting steht fest: "Das Gefühl ist schlecht, genauso wie die Stimmung bei den Kollegen schlecht ist."Werner Söchting hat bei Hertie vor 40 Jahren begonnen und muss nun das Haus endgültig abschließen. „Immerhin ist es ein Vorteil, dass wir uns noch ein paar Tage sehen, aber genauso bedrückend, wenn man weiß, dass wenn man morgen arbeiten geht, das Haus geschlossen ist.“ Noch keine Kündigung Man sei sich im Klaren darüber, dass der Unternehmer die 19 Häuser, die seit Februar geschlossen werden, nicht mehr will. „Dadurch ist unser Abstand zum Unternehmen auch gewaltig groß. Da hilft man uns nicht weiter, vor allem, wenn ich diese Eiertänze sehe.“ Denn bislang steht immer noch nicht fest, wann endgültig der letzte Arbeitstag ist und wann die Mitarbeiter die Kündigung bekommen.Weiter Kontakt halten
Söchting: „Wenn effektiv der letzte Tag feststeht, werden wir uns dann sicher zusammen setzen und über alte Zeiten reden.“ Und er ist sicher, dass die Mitarbeiter, die viele Jahre gemeinsam bei Hertie in Lünen tätig waren, auch danach weiter in Kontakt bleiben.Trauerspiel für Mitarbeiter Hildegard Cichon hat 13 Jahre in dem Haus gearbeitet. Am Mittwoch schaute die 85-Jährige noch mal vorbei. „Es ist ein Trauerspiel für die Mitarbeiter“, so die Lünerin. Sie hat ihre ganz eigene Meinung, warum das Lüner Hertie-Haus heute schließen muss. „Man hätte gescheitere Sachen anbieten müssen, seit zwei, drei Jahren war das leider nicht mehr der Fall“, meint Hildegard Cichon. Und weiter: „Wenn ich nichts mehr verkaufe, dann mache ich zu.“ Dafür könne die Belegschaft natürlich nichts, aber von oben hätte man bessere Waren anbieten sollen. „Ich hab keine Bluse, keine schwarze Hose mehr gefunden.“Für Ältere gab es nichts mehr
Sie selbst war von ihren 35 Berufsjahren 13 Jahre bei Hertie in der Miederwarenabteilung tätig, kennt noch manche Kollegin, die von Anfang an dabei ist. „Hier war alles so schön, aber die letzten zwei, drei Jahre ist es umgekippt. Für Ältere gab es gar nichts mehr.“ Gern erinnert sie sich dagegen an den guten Zusammenhalt mit den Kollegen. „Wir kamen gut miteinander aus, haben uns an freien Tagen zum Kaffee getroffen und treffen uns auch heute noch mit ehemaligen Kollegen. Es war eine wunderbare Zeit.“ Einkaufen würde sie gerne lieber weiter in Lünen, aber das werde wohl schwierig.Ein trauriger Tag "Es ist ein trauriger Tag für Lünen. Irgendwie geht ein Stück Stadt verloren“, kommentierte Bürgermeister Hans Wilhelm Stodollick den letzten Verkaufstag der Hertie-Filiale, natürlich auch mit Blick auf die Mitarbeiter. „Vielen von ihnen droht wohl leider die Arbeitslosigkeit“, so Stodollick.Städtebauliche Untersuchung Jetzt will die Stadt alle Kräfte darauf richten, einen langen Leerstand zu vermeiden. „Wir werden eine städtebauliche Untersuchung auf den Weg bringen, die Möglichkeiten zur Revitalisierung des Gebäudes aufzeigt – bis hin zu Abriss und Neubau“, erklärte Stodollick. Die Berliner Immobiliendienstleister Artisreal, der vom Eigentümer mit der Vermarktung der Immobilie beauftragt ist, verhandelt nach wie vor mit mehreren interessierten Investoren. „Leider sind wir noch nicht dort, wo wir sein wollen. Es geht aber schließlich auch um ein großes Investment“, erklärte Christoph Meyer aus der Geschäftsführung von Atisreal. Auch der Abriss des Hertiehauses und der Bau eines Einkaufszentrums gelte als denkbare Option. „Ein solches Zentrum würde aber mehr Fläche benötigen, als bei Hertie zur Verfügung steht. Die Stadt Lünen muss überlegen, welche städtebauliche Möglichkeiten sie sieht“, sagte Meyer.Soziale Komponente Nach Aussage von Wirtschaftsförderer Michael Sponholz hat die Schließung auch eine soziale Komponente.Zum Einen denkt der Lüner Wirtschaftsförderer an die Mitarbeiter, die ihre Stellen verlieren. Aber ein zweiter Aspekt seien beispielsweise ältere Leute, die kein Auto haben, und nun Haushaltswaren in Lünen-Mitte nicht mehr kaufen können. „Was ist denn mit der alten Dame, die nach Lünen zum Arzt fährt und eine Tischdecke kaufen will. Die hat sie bisher bei Hertie bekommen und jetzt nicht mehr“, so Sponholz. Für Autofahrer sei das kein Problem, aber für die anderen Käufer sei es eine „richtig schlechte“ Situation.Immobilie ein "Klotz am Bein"
Zudem habe man mit der Immobilie einen echten „Klotz am Bein“, bei dem die Eigentümersituation völlig unstrukturiert sei. Natürlich rede die Wirtschaftsförderung mit potentiellen Interessenten unter Federführung von Bürgermeister Hans Wilhelm Stodollick. Über die Inhalte könne er aber noch nichts sagen, so der Geschäftsführer der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Lünen. Mittwochabend um 18 Uhr schließt Hertie für immer seine Türen. Ein trauriger Tag für Lünen, vor allem aber für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Warenhauses.40 Jahre das Stadtbild geprägt Immerhin dominierte Hertie seit fast 40 Jahren das Stadtbild, eröffnete im September 1969 mit sage und schreibe 450 Beschäftigten. Am Tag der Schließung sind es noch 37. Die Lüner Filiale gehört zu den insgesamt 19, die im Rahmen des laufenden Insolvenzverfahrens schließen bzw. schon geschlossen sind.