In der Doku „Master of the Universe“ spricht der ehemalige Investmentbanker Rainer Voss auch darüber, wie Banken Städten Swap-Geschäfte verkauft haben. Wir haben mit ihm gesprochen.

Lünen

, 21.09.2018, 13:37 Uhr / Lesedauer: 3 min

Von einer Schweinerei sprach Rainer Voss in der Dokumentation „Master of the Universe“, als es um die Geschäfte ging, die manche Banken mit Kommunen abgeschlossen haben. Die Städte und ihre Kämmerer entlässt er dabei aber nicht aus der Verantwortung.

Herr Voss, der normale Bürger versteht ja von Swap-Geschäften so gut wie gar nichts ...

Der versteht davon genau so wenig wie der Kämmerer, das ist ja das Problem.

Herr Voss, …

Bevor es losgeht, ein paar Vorbemerkungen vielleicht, weil ja schon viel darüber geschrieben worden ist. Ich lese in dem Zusammenhang immer wieder den Begriff „Zinswette“. Eine Wette ist ein symmetrisches Ereignis. Man wirft eine Münze, es ist Kopf oder Zahl. Ein Derivat ist keine Wette. Es ist eine Kette von Versicherungsverträgen. Es ist nicht so, dass der Kunde verliert und die Bank gewinnt. Es ist schlicht und einfach der Verkauf eines Versicherungsvertrages.

Okay. Aber ist es nicht doch eine Wette, wenn es um die Entwicklung von Zinsen geht?

Nein, ich sag mal so: Jemand, der als Trader diese Position offenlassen würde, den würde ich sofort rausschmeißen.

Was meinen sie mit „die Position offenlassen“?

Die nicht zu versichern. Ein Beispiel, wie das System funktioniert: Ich bin bei der Bank und rufe bei Ihnen an. Ich frage, ob Sie glauben, dass der Dollar in drei Tagen um 30 Prozent fällt. Sie sagen: Nein. Und ich sage: Dann haben wir ein Geschäft. Ich zahle Ihnen 100.000 Euro, wenn das nicht passiert. Sie glauben ja auch nicht, dass das passiert und sagen: „Super, das mache ich“. Was Sie nicht wissen, ist, dass ich 150.000 Euro bekomme, wenn das nicht passiert. So funktioniert das. Die Bank kauft eine Versicherung billiger ein, als sie sie an Sie weiterverkauft.

Dann haben am Ende beide Parteien Vorteile und alles ist gut?

Theoretisch. Wichtig ist: Wohin die Zinsen gehen, ist denen egal.

In den Lüner Fällen hat es sich wohl um Swaps mit Schweizer Franken gehandelt, um Zinswährungsswaps. Welche Art dieser Geschäfte wurden in der Zeit am häufigsten getätigt?

Ich weiß nicht, was in Lünen gemacht wurde, aber ein Klassiker zu der Zeit war ein Swap, Schweizer Franken gegen Yen, der sogenannte „spread ladder swap“. Es ging um eine Veränderung der Zinskurve. In einer normalen Zinsstruktur-Kurve sind die Zinsen am Anfang niedrig und später hoch. Manchmal ist das auch umgekehrt, das kündigt meistens eine Rezession an. Es gibt jede mögliche Art von Zinskurven. Die Wette ist im Prinzip …

Wette?

(lacht) Jetzt hab ich das schon selbst gesagt. Also: der Gegenstand des Vertrages ist eine Veränderung der Zinskurve im Yen gegen Schweizer Franken, die extrem unwahrscheinlich ist. Widerspricht jeder wirtschaftlichen Logik. Aber: Diese ganzen Preise und Werte sind aufgrund von mathematischen Wahrscheinlichkeiten errechnet. Da stehen riesige Modelle hinter. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Modell der Bank Recht hat, ist also relativ groß, egal, wie unwahrscheinlich Ihnen der Eintritt dieses Ereignisses erscheint. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Bauchgefühl recht hat, ist relativ gering. Es gibt also eine Asymmetrie des Wissens.

Zwischen?

Der Gemeinde und der beratenden Bank.

Also haben die Gemeinden eher auf ihr Bauchgefühl gehört?

Ja, sie haben die Tomaten – platt gesagt – zu teuer gekauft.

Ist die Gemeinde dann nicht – auch platt gesagt – verarscht worden?

Zum verarschen gehören immer zwei. Verstehen Sie: Das mindeste, was man macht, ist dann nochmal woanders anzufragen, was dieses Geschäft dort kosten würde. Aber man muss natürlich eine gewisse Psychodynamik mit einbeziehen im Verhältnis zwischen WestLB und den Kämmerern. Da spielen ganz viele Dinge eine Rolle.

Vielleicht auch ein Vertrauensverhältnis.

Natürlich, das ist in jedem Einzelfall anders. Wichtig ist, zu verstehen: Die Gemeinde hätte zu jedem Zeitpunkt die Möglichkeit, das Gegengeschäft zu machen. (pausiert kurz). Ein anderes Beispiel, wie man sich verantwortungsvoll verhält. Ich hatte jahrelang einen großen Kunden. Die haben gesagt: „Komm‘ niemals mit etwas zu uns, was mit unseren Systemen nicht nachvollziehbar ist“. Ja? Eine Gemeinde hat mit Schweizer Franken und Yen nichts am Hut. Warum machen die das? Von verarschen zu reden … Ich vertrete die Meinung, da sind alle unschuldig in Schuld verstrickt.

Sie sagen in der Doku, dass diese Produkte für manche Kunden auch Sinn machen.

Klar. Wenn die Lufthansa von Royal Dutch Shell zum Beispiel einen Kerosin-Kontrakt kauft, dann ist das völlig in Ordnung. Royal Dutch Shell hat Kerosin, die Lufthansa braucht das. Wenn Sie, was auch geht, von mir einen Kerosin-Kontrakt kaufen, ist das Spekulation.

Weil ich kein Kerosin brauche und Sie keins haben?

Ja. Und die Stadt Lünen hatte nichts mit Schweizer Franken und Yen zu tun.

Gibt es im Grunde für die Stadt Lünen also keine Situation, in der so ein Geschäft Sinn ergibt?

Da müssen wir jetzt nicht Haarspalterei betreiben: Nein, gibt es nicht. Wobei ich ja nicht weiß, ob es sich tatsächlich um diese Art Swaps handelte.

Die Stadt und die EAA haben ja Stillschweigen vereinbart. Ist das dem Bürger gegenüber vermittelbar? Es sind ja seine Steuergelder.

Es gibt ja eigentlich bei jedem Vergleich so eine Verschwiegenheitsklausel. Ich kenne mich mit kommunalem Haftungsrecht nicht aus. Aber man könnte vermuten, dass sich Leute vor einer Untreueklage schützen wollen. Egal, ob die jetzt berechtigt wäre oder nicht. Da gibt es immer einen Bekloppten, der das skandalisiert. Aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen.