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Depressionen in Lünen: Sorgen und Nöte bleiben - trotz Corona-Lockerungen
Depressionen
Die Zahl der psychischen Erkrankungen nahm während der Corona-Pandemie stark zu. Lockerungen bewirken aber nicht nur Gutes, wie eine Betroffene aus einer Selbsthilfegruppe in Lünen berichtet.
Die Sportwelt zeigte sich geschockt. Weltklasse-Tennisspielerin Naomi Osaka aus Japan hatte zu Beginn der vergangenen Woche ihr Zweitrunden-Match bei den French Open - eines der vier wichtigsten Tennisturniere der Welt - abgesagt. In einem Statement machte sie dabei erstmals ihre Depressions-Erkrankung aus dem Jahr 2018 öffentlich. Zu sehr habe ihr der Trubel vor und während des Turniers in Paris zugesetzt. Überforderung kennen auch viele Menschen in Lünen.
Corona wirkt wie ein Brandbeschleuniger für psychisch Kranke
Im letzten Jahr haben die Fälle psychischer Erkrankung zugenommen. Ein Auslöser dafür ist die Corona-Pandemie. „Die Pandemie wirkt wie eine Art Brandbeschleuniger. Dadurch zeigte sich bei vielen Betroffenen die Krankheit. Studien zeigen in diesem Zeitraum eine Verdoppelung der mentalen Belastung“, sagt der Lüner Psychotherapeut Dr. Christian Lüdke. Doch wenn nicht grade ein Weltstar über mentale Gesundheit spricht, herrscht bei diesem Thema oft Schweigen.

Dr. Christian Lüdke aus Lünen sieht die Corona-Krise nicht als Grund, sondern als Auslöser für eine psychische Erkrankung. © privat
Nur selten trauen sich Menschen, Einblicke in ihre Seele und ihre Gedanken zu geben. Heike König (Name von der Redaktion geändert) hat sich im Juni 2020 getraut, unserer Redaktion ihre Geschichte zu erzählen. Den Tod ihrer Mutter und ihrer besten Freundin sah sie als Auslöser für die Depression. Müde und lustlos sei sie gewesen. 2016 erhielt sie ihren Therapieplatz. Teilweise wanden sich Familienmitglieder und Freunde von ihr ab.
Halt fand Heike König bei der Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfegruppen des Kreises Unna (KISS) im Gesundheitshaus Lünen am Roggenmarkt. Dann kam die Corona-Pandemie. Gruppentreffen waren nicht mehr möglich. Fast alle sozialen Kontakte fielen weg. Einsamkeit war die Folge. Heike König hoffte auf ein baldiges Ende der Pandemie und ein halbwegs normales Leben mit der Krankheit.
„Durch Lockerungen hört die Depression nicht automatisch auf“
Ein Jahr liegt dieses Gespräch nun zurück. Das Coronavirus ist immer noch da. Doch die Infektionszahlen und Inzidenzen sinken seit Wochen. Immer mehr Lockerungen treten ein. Das gesellschaftliche Leben kehrt langsam zurück. Besser geht es Heike König dadurch nur bedingt. „Ich sehe es zwiegespalten, wenn ich merke, wie viele Menschen jetzt wieder unterwegs sind“, sagt die Mittvierzigerin. Panikattacken sind die Folge. Lüdke sagt bestätigend: „Durch Lockerungen hört die Depression nicht automatisch auf. Die Sorgen und Nöte der Menschen bleiben.“
Wegen der Panik wird Heike König die neu gewonnenen Freiheiten durch die vollständige Corona-Schutzimpfung kaum wahrnehmen. „Ich habe seit einem Jahr nur Einkäufe erledigt und war beispielsweise nicht mehr shoppen“, sagt sie und ergänzt: „Damit warte ich auch noch eine Weile.“ Trotzdem sei durch die Impfung viel organisatorischer Aufwand und damit Stress abgefallen.
Diesen habe ebenfalls die Ausgangssperre verursacht, als die Inzidenzen im Kreis Unna noch über 100 Neuinfektionen in sieben Tagen pro 100.000 Einwohnern lagen. „Ich habe nachts häufig Alpträume. Dann muss ich nach draußen“, sagt Heike König. Während der Ausgangssperre ging das mit einer Ausnahmegenehmigung. Mehrmals zeigte sie die Bescheinigung bei Kontrollen vor und durfte ihren Weg problemlos fortsetzen.
Noch kein Öffnungstermin für Gesundheitshaus Lünen
Noch führt ihr Weg aber nicht zum Gesundheitshaus in Lünen am Roggenmarkt. Zum Schutz vor einer Corona-Infektion hält der Kreis Unna die Gesundheitshäuser in Lünen, Unna und Schwerte geschlossen. Ein persönliches Treffen mit der Selbsthilfegruppe ist für Heike König damit weiterhin ausgeschlossen. Und ein Öffnungstermin sei noch nicht in Sicht. Kontakt halte man telefonisch oder online, heißt es vom Gesundheitshaus Lünen.
Da die Teilnahme an den Selbsthilfegruppen freiwillig sei, könne man auch nicht sagen, wie viele Menschen dieses Angebot tatsächlich in Anspruch nehmen. Einen genauen Überblick über die psychisch Erkrankten habe man nicht. Es lässt sich nur schwer nachhalten, wie viele Menschen psychisch erkrankt sind. Psychotherapeut Lüdke geht jedenfalls davon aus, dass sich die Zahl der Patientinnen und Patienten noch einige Zeit auf einem hohen Niveau befinden wird. Um in seinem Bild zu bleiben: Wird dem Feuer der Brandbeschleuniger entzogen, ist die Glut immer noch heiß.
In der Gruppe von Heike König sei die digitale Zusammenkunft gut angenommen worden. „Ersetzen kann das die sozialen Kontakte aber nicht“, meint Heike König. Kaum ersetzen lassen sich ebenfalls die direkten Gespräche bei der Therapeutin. Auch hier gilt es, die Kommunikation auf online aufrecht zu erhalten. Heike König sieht sich auf dem Weg der Besserung. Den Zeitraum der Pandemie zählt sie nicht zu den größten Tiefpunkten ihrer Erkrankung. Wohl auch deshalb wird ihre Depression wegen der Lockerungen nicht einfach verschwinden.
Geboren in der Stadt der tausend Feuer. Ruhrpott-Kind. Mag königsblauen Fußball. Und Tennis. Schreibt seit 2017 über Musik, Sport, Wirtschaft und Lokales. Sucht nach spannenden Geschichten. Interessiert sich für die Menschen und für das, was sie bewegt – egal in welchem Ort.