Demenz ist ein „Abschied ohne Trennung“ Pflegende Angehörige fühlen sich hilflos

Vortrag: Mehr Verständnis für pflegende Angehörige von Demenzkranken
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Ein geliebter Mensch verändert sich. Dann kommt die Diagnose Demenz und viele nahe Angehörige müssen damit fertig werden und gleichzeitig wollen sie die Pflege übernehmen. „Das sind zwei Probleme, zum einen ist man pflegender Angehöriger. Zum anderen weiß man, dass die Erkrankung nicht heilbar ist und einen sehr langen Zeitraum einnehmen wird“, sagt Dr. Stephan Kostrzewa, Diplom-Sozialwissenschaftler und examinierter Altenpfleger. Der viel gefragte Referent kommt am 3. Mai um 17 Uhr ins St.-Georg-Gemeindezentrum, um haupt- und ehrenamtlich in der Pflege und Betreuung Beschäftige über die Frage „Pflegende Angehörige - Gegner oder Kooperationspartner“ zu informieren.

Es kommt durchaus vor, dass es zwischen dem Team von Pflegeeinrichtungen und Angehörigen von Demenzkranken zu Missverständnissen kommt, dass gegenseitige Vorurteile Probleme schaffen. „Niemand wird auf den Umgang mit Demenz in der eigenen Familie vorbereitet“, so Kostrzewa, der auch selbst zwei Selbsthilfegruppen für pflegende Angehörige von Demenzkranken begleitet und dort „die Not aus erster Hand“ mitbekommt.

Dr. Stephan Kostrzewa ist ein viel gefragter Referent. Am 3. Mai kommt er nach Lünen, um über die Lage von pflegenden Angehörigen von Demenzkranken zu sprechen.
Dr. Stephan Kostrzewa ist ein viel gefragter Referent. Am 3. Mai kommt er nach Lünen, um über die Lage von pflegenden Angehörigen von Demenzkranken zu sprechen. © Kostrzewa

Einige pflegende Angehörige nennen ihr Gefühl im Umgang mit dem Demenzkranken „chronischen Kummer“, andere empfinden ihn als „Abschied ohne Trennung“. „Wenn Angehörige pflegen, sagen sie oft, dass beispielsweise ihre Mutter noch aussieht wie ihre Mutter, sie aber eigentlich einen wildfremden Menschen pflegen, weil sich die Mutter durch die Demenz so verändert.“ Betroffene selbst schätzen den eigenen Gesundheitszustand anders ein, halten sich selbst für viel vitaler als sie sind. „Wenn sie Hilfe annehmen würden, dann müssten sie zugeben, dass sie krank sind und Hilfe brauchen. Das birgt schon viel Konfliktpotential zwischen den Kranken und den Angehörigen.“

Dazu kommt, dass es anfangs noch keine Diagnose gibt. „Die Betroffenen merken schon, dass etwas mit ihnen nicht stimmt. Aber wer geht damit in unserer Hochleistungsgesellschaft schon zum Arzt?“ Oft sind es dann doch die Angehörigen, die merken, dass etwas nicht stimmt, und die dann massiven Druck aufbauen, doch zum Arzt zu gehen. „Dann muss man noch den richtigen Arzt finden, der die entsprechenden Tests durchführt oder sogar eine Memoryklinik, wo die Tests stattfinden können.“ Bis die Diagnose gestellt wird, verbringen Kranke und Angehörige oft eine „ganz lange Zeit wie im Nebel zuhause“.

Fühlen sich isoliert

Oft versprechen pflegende Angehörige den Kranken, sie nicht in ein Heim zu geben. Durchschnittlich werden Betroffene sechs, sieben Jahre zu Hause gepflegt, bis es dann doch nicht mehr geht. Die eigentliche Ursache, die dazu führt, dass Angehörige für das Team von Pflegeeinrichtungen als „schwierig“ gelten, liegt zum größten Teil in diesem häuslichen Bereich. Häufig sind es übrigens Frauen - Lebensgefährtinnen, Ehepartnerinnen, Töchter - die die Pflege daheim übernehmen, sich auch oft isoliert fühlen. Nur in 30 Prozent der häuslichen Pflege wird ein Pflegedienst eingeschaltet. Wenn dann die Kräfte nachlassen oder auch ganze Familienkonstellationen zerbrechen, bleibt als letzter Ausweg doch nur eine stationäre Einrichtung.

„Und dann begegnet eine gescheiterte, frustrierte Tochter einem Team, das ihr sagt, jetzt haben Sie doch endlich wieder Zeit für sich“, so Kostrzewas Erfahrung. Der Einzug ins Heim sei meist ein eher technischer Vorgang, bei dem Unmengen von Formularen ausgefüllt werden. Die Frage, wie es den Angehörigen damit geht, wird nicht gestellt. Im stationären Bereich ist außerdem kein Cent für Angehörigenarbeit vorgesehen. Dabei sind die Angehörigen die eigentlichen Kunden, die letztlich auch die Entscheidung treffen, in welches Heim der Demenzkranke ziehen soll. „Und doch sollen die Angehörige dann gleich alle Konzepte abnicken, wobei es so ist, dass viele Konzepte im Demenzbereich den Angehörigen nur schwer vermittelbar sind“, so Kostrzewa.

Annette Goebel, Koordinatorin für Altenarbeit, lädt mit dem Netzwerk Demenz und dem Regionalbüro Alter, Pflege und Demenz zu dem Vortrag ein.
Annette Goebel, Koordinatorin für Altenarbeit, lädt mit dem Netzwerk Demenz und dem Regionalbüro Alter, Pflege und Demenz zu dem Vortrag ein. © Beate Rottgardt

Dass Angehörige den fachlich-sachlichen Erklärungen des Pflegepersonals nicht zugänglich sind, sei verständlich. Denn sie befinden sich noch in einer Trauerphase, weil ihr Wunsch, den Kranken zu pflegen, sich nicht erfüllt hat. „Für die Pflegekraft ist der Angehörige dann beratungsresistent. Dabei wäre es sinnvoll, dass es entsprechend ausgebildete Angehörigenberater in Pflegeeinrichtungen gibt. Auch damit lernen Angehörige, das Ganze aus der Sichtweise eines Demenzkranken zu sehen. Dann wären sie sicher zugänglicher und würden eher die erprobten Konzepte unterstützen.“ Allerdings erleben die Pflegeteams in den Einrichtungen nur fünf bis zehn Prozent der Angehörigen als schwierig.

Bei Paaren, die lange zusammen sind, ist die Situation auch schwierig, wenn der Kranke die komplette gemeinsame Vergangenheit vergessen hat, so die gemeinsame Basis wegbricht, und der Kranke dann auch noch eine Wesensveränderung zeigt. „Jeder weiß heute, dass Demenz nicht heilbar ist, damit gerät für pflegende Angehörige das Leben oft aus den Fugen.“ Manche Angehörige sehen in körperlicher Gewalt eine Lösung für sich, andere in emotionaler Rache. „Die meisten Angehörigen machen das jedoch ganz klasse und kooperieren gut mit den Teams vor Ort“, beobachtet Kostrzewa.

Anmeldungen bis 21. April

Die Teilnahme an dem Fachtag am 3. Mai ist kostenlos. Anmeldungen sind aber notwendig (keine Sammelanmeldungen) und können bis 21. April per Mail erfolgen an nicole.liese.14@luenen.de