Am liebsten würde Stephanie Fritzsche aus ihrer Wohnung in Lünen-Wethmar ausziehen. Denn das Wissen, dass unbekannten Betrügern bekannt ist, wie sie aussieht, wo sie wohnt, dass sie ihre Personalausweis-Daten kennen, von ihren beiden kleinen Jungen und ihrem Mann wissen, lässt sie manchmal nachts nicht schlafen.
Es hatte aber auch zu gut gepasst, als die 33-jährige gelernte Bürokauffrau und Mutter von zwei Jungen (eins und zweieinhalb Jahre alt) Anfang des Jahres eine Job-Anzeige auf dem Online-Portal Stepstone fand. Gesucht wurde eine Aushilfe im Büro einer Dortmunder IT-Beratungs-Firma auf Minijobbasis. „In meinen alten Job wollte ich nicht zurück“, erzählt die Lünerin. „Im Mutterschutz ist mein befristeter Job, den ich zuvor ausgeübt habe, ausgelaufen. Da habe ich nach etwas, das ich neben der Kinderbetreuung machen kann, ohne die Kinder gleich abgeben zu müssen, gesucht.“
Nicht zu lange aus dem Berufsleben aussteigen wollte sie und auch finanzielle Aspekte spielten eine Rolle: Für sie, ihren Mann, der als Maschinenführer im Schichtdienst arbeitet, und die beiden Kindern wurde die 74-Quadratmeter-Wohnung zuletzt etwas klein, sodass sie hoffte, etwas dazuzuverdienen, damit sich die Familie ein geräumigeres Zuhause leisten konnte.
Moderne Form des Enkeltricks
„Aber die Arbeitgeber, eine IT Beratung Kraft GmbH, waren Betrüger“, sagt sie heute, „ich bin auf eine moderne Form des Enkeltricks hereingefallen.“ Dabei ging es in ihrem Fall nicht um Geld, sondern um ihre Identität, die die Schwindler ihr abnehmen wollten. „Die Anzeige war gerade für Mütter, die wieder einsteigen wollen, genau passend“, erinnert sie sich. Der Polizei Dortmund, wo Fritzsche den Vorfall Ende Februar anzeigte, ist diese Art des Betrugs bekannt, wie Polizeikommissarin Özlem Demirtas auf Anfrage mitteilt.
Als Vorgehensweise habe folgender Sachverhalt festgestellt werden können: „Durch die Geschädigten werden im Rahmen der Bewerbung Konten eröffnet. Die Daten werden an die unbekannte Täterschaft weitergeben, welche das Konto der Geschädigten missbräuchlich für die Begehung von Straftaten (Warenbetrug) nutzen. Die Geschädigten fungierten insofern als ‚Finanzagenten‘“, fasst die Kommissarin zusammen.
Ausgeklügeltes System
Dabei, dass das Bewerbungsgespräch online lief, hat sich Stephanie Fritzsche nichts gedacht. Auch nicht dabei, dass ihr für die ursprünglich ausgeschriebene Stelle abgesagt, ihr jedoch eine Alternative angeboten wurde: „Evaluierungsassistenz“ im Homeoffice mit flexiblen Arbeitszeiten. Die Firma führe Prozessanalysen durch, die sich auf den Finanztechnologie- und Kryptovaluta-Sektor konzentrierten, teilte man ihr per WhatsApp mit. Für diese Analysen müssten die Prozesse „lebensecht“ durchgeführt und durchlaufen werden, um saubere Ergebnisse zu erzielen.
Nach einer Analyse zur Probe sollte ihr, bei beidseitiger Zufriedenheit, der Arbeitsvertrag zugeschickt werden. Man stellte ihr sogar Karrieremöglichkeiten in Aussicht. „Für mich passte das alles richtig gut“, erinnert sich Stephanie Fritzsche, „das klang alles sehr professionell und war in perfektem Deutsch verfasst.“ Sie hatte die IT-Beratung Kraft GmbH mit Sitz in der Dortmunder Florianstraße gegoogelt, das Impressum der Firmenhomepage überprüft, hatte sogar im Handelsregister nachgesehen, und alles für sauber empfunden. Auch ihr Mann unterstützte sie in ihrem Vorhaben und übernahm für die Probearbeit die Kinderbetreuung.
Falsche Versprechungen bei Konto-Eröffnung
Dafür sollte sie das Verfahren zur Eröffnung eines Kontos bei der Online-Bank Comdirect überprüfen und anschließend per Fragebogen bewerten. Als Instruktion wurde ihr geschrieben: „Der Auftrag kommt direkt von der Comdirect AG zur Überprüfung ihrer Mitarbeiterzentren. Deshalb dürfen die am Prozess beteiligten nicht erfahren, dass sie einem Prüfungsprozess unterzogen werden, da dies die Ergebnisse beeinflusst und die dort zuständigen Mitarbeiter dann ihre Arbeit nicht so verrichten können und werden, wie es für eine korrekte Auswertung erforderlich ist.“ All das konnte die 33-Jährige nachvollziehen.
Für die Eröffnung eines Bankkontos hatte ihr ihr angeblicher Arbeitgeber eine Email-Adresse und eine Handynummer zur Verfügung gestellt, auf die sie aber keinen Zugriff hatte. Im angeblichen Überprüfungs-Prozess hatte sie dann ihren echten Personalausweis zu registrieren. Das Konto, so versprach man ihr, werde nicht in Wirklichkeit eröffnet. Sie bekam sogar ein (gefälschtes) Schreiben der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin), das ihr die Löschung des Kontos mitteilte. Die entsprechenden Datensätze seien seitens der Bank entfernt worden. Der Brief trug den Briefkopf der BaFin und war an die Kraft GmbH adressiert.
Betrug fliegt auf
Der betrügerische Arbeitgeber zeigte sich zufrieden. „Ich brauche dann noch die Steuernummer, die Krankenversicherungsnummer, Krankenkasse und Bankverbindung für den Arbeitsvertrag und die Auszahlungen“, schrieb der „Teamleiter“ „Thomas Habell“ und sandte ihr per Post einen detaillierten Arbeitsvertrag zu, den sie unterschrieben zurückschicken sollte. Dann hätten die Betrüger alles gehabt.
Doch noch bevor die junge Mutter den Arbeitsvertrag zur Post brachte, landete plötzlich etwas in ihrem Briefkasten, das sie dann doch stutzig machte: Die Bankkarte für das Konto, das angeblich gelöscht worden war. Umgehend bat sie Bank um Bestätigung. Aber da sie sich weder mit Email-Adresse noch Telefonnummer identifizieren konnte gestaltete sich das schwierig. Am nächsten Tag ging sie zur Polizei, um Anzeige zu erstatten. Zeitgleich kommunizierte sie weiter mit ihrem angeblichen Arbeitgeber über WhatsApp, der ihr den nächsten Auftrag versprach.

Der große Schock erfolgte, als bekannt wurde, dass ihre Daten, auch ohne Unterschrift, bereits für die Eröffnung eines Ebay-Kontos verwendet worden waren: Unter anderem einen Schweißertisch und eine Spiegelreflexkamera bot „sie“ dort für jeweils etwa 1000 Euro an. Wer die bestellte, bekam jedoch keine Ware; das Geld war weg. Im April wurde sie wegen des Vorwurfs des Warenbetrugs zur Befragung ins Polizeipräsidium Dortmund bestellt, einige Woche später von der Staatsanwaltschaft vorgeladen. Die strafrechtliche Anklage gegen sie wurde inzwischen fallen gelassen (Dokument liegt vor). Darüber hinaus gibt es aber eine Privatklage eines Geschädigten, der die Spiegelreflexkamera hatte kaufen wollen, gegen sie.
Firmenname nur leicht geändert
Googelt man den Namen „IT Beratung Kraft GmbH“ mit Sitz in Dortmund stieß man noch vor wenigen Tagen, also lange nach dem Vorfall und der Anzeige, auf eine offizielle Firmenhomepage. Außerdem ist die Gesellschaft im Handelsregister aufgeführt. Polizeikommissarin Özlem Demirtas sagt dazu: „Der Name der real existierenden Firma IT Beratung Kraft GmbH samt Firmensitz wurde von der unbekannten Täterschaft unter marginaler Abänderung des Firmennamens, durch das Hinzufügen eines Bindestrichs im Firmennamen, missbräuchlich benutzt.“
Zu der Frage, wie man sich davor schützen könne, Opfer eines solchen Betrugs zu werden, sagt sie: „Es wird grundsätzlich geraten, niemals persönlichen Daten wie Name, Telefonnummer, Anschrift oder Ausweisdaten herauszugeben. Insbesondere im Internet veröffentlichten Annoncen gegenüber sollte man misstrauisch sein und die Daten der angeblichen Firmen, sollten entsprechend den eigenen Möglichkeiten im Internet recherchiert werden (z.B. über das Handelsregister). Dabei sollte man auch auf kleinste Abweichungen des Angebots zu den selbst ermittelten Erkenntnissen achten.“
Wenn man aufgefordert werde, zunächst ein Konto zu eröffnen, eine Anzahlung oder andere Leistungen zu erbringen, datenschutzrelevante Angaben zu machen oder die Kontaktaufnahme und Abwicklung per WhatsApp oder den sozialen Medien erfolgt, sollte dies kritisch hinterfragt werden. „Bei einer seriösen Ausschreibung stehen eine persönliche Kontaktaufnahme und Vorstellung des Arbeitgebers im Fokus“, rät Demirtas.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 14. September 2023.
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