Die Schrift für ihre Mail an den Verkehrsminister Volker Wissing hat Anette Reimann ungewöhnlich groß eingestellt. Wegen ihrer Augen. Nach einer OP im April kann sie immer noch nicht gut sehen. Das ist auch der Grund, warum sie zurzeit kein Auto fahren kann und mit dem öffentlichen Nahverkehr zu ihrem Arbeitsplatz pendeln muss. Und der Grund, warum sie an Wissing schrieb mit der Bitte, das 49-Euro-Ticket nachzubessern.
„Wenn man die Bürger für den ÖPNV begeistern möchte, dann sollte man es den Bürgern auch etwas leichter machen“, schreibt die Lünerin nach Berlin. Sie selbst würde sich ja gerne begeistern lassen. Eigentlich war ihr das seit Mai geltende Angebot, für 49 Euro im Monat deutschlandweit Bus und Bahn nutzen zu können, wie gerufen gekommen. Sie hatte es aber nicht kaufen können. Denn wer das Ticket in Papierform kaufen möchte, so wie Anette Reimann - eine Möglichkeit, die zumindest bis Ende 2023 besteht -, muss das bis zum 10. des jeweiligen Vormonats machen. Im Fall der Lünerin, die im Mai den ÖPNV nutzen wollte, also bis zum 10. April. Da war sie aber noch in der Klinik wegen der Augen-OP. „Warum gibt es das Ticket nicht mehr jederzeit in Papierform?“, fragt sie den Minister. Das sei beim 9-Euro-Ticket doch auch möglich gewesen. Das ist nicht ihr einziger Kritikpunkt.

„Warum muss es ein Abo sein? Wer ein Abo möchte, bitte gerne. Wer es digital möchte, bitte gerne.“ Es ist nicht so, dass Anette Reimann kein Smartphone hätte, aber sie hat grundsätzliche Bedenken, Verträge online zu schließen: Sicherheitsbedenken. Und sie hat einen bösen Verdacht, mit dem sie den Minister konfrontiert. „Geht es hier wieder einmal nur um das Abgreifen von Bürger-Daten?“ Der Minister selbst habe sie auf diese Idee gebracht. Der hatte erklärt, dass das Deutschlandticket, wie das 49-Euro-Ticket offiziell heißt, „Informationen darüber liefern solle, wie viele Menschen wann von wo wohin fahren“.
Minister Wissing antwortet
Fünf Tage, nachdem Anette Reimann ihre Mail in Großbuchstaben abgeschickt hatte, fand sie in Ihrem E-Mail-Postfach eine Antwort von „volker.wissing@bundestag.de“. Dass es nicht der Verkehrsminister selbst war, der schrieb, sondern sein Mitarbeiter, störte die Lünerin weniger. Was sie dort zu lesen bekam, schon mehr.
Die gesammelten Daten seien nicht-personenbezogen, versichert der Absender aus dem Büro Wissing. „Die Alternative wären aufwendige und teure analoge Verkehrszählungen. Damit stellen wir Investitionsentscheidungen auf eine solide Datengrundlage und entsprechen den Anforderungen an einen verantwortlichen Umgang mit Steuermitteln.“ Der Bezug im Abonnement sei wichtig, „um gegenüber den Verkehrsdienstleistern eine höhere Planbarkeit ob der Ausfinanzierung ihrer Leistungen zu gewährleisten.“
Keine Chipkarte in UN
Zwar bedeute digital papierlos, so der Wissing-Mitarbeiter. Aber schließlich gebe es neben der Speicherung der Daten auf dem Handy auch eine Plastikkarte. Ein Irrtum, wie Anette Reimann zwei Tage später zurückschrieb. „Bisher war das Chipkartensystem kein Vertriebsweg, der durch die VKU bedient worden ist. Eine kurzfristige Einführung der Chipkarte war und ist wegen technischen Herausforderungen, aber auch wegen der schlechten Verfügbarkeiten einer ausreichenden Anzahl benötigter Chipkarten, nicht möglich“, bestätigt Inga Fransson, Sprecherin der Verkehrsgesellschaft Kreis Unna.
Anette Reimann ist enttäuscht: „Für mich klingt das so: Politiker treffen Entscheidungen, die nicht immer im Sinne der Bürger sind.“ Und sie seien nicht bereit, diese Entscheidungen zu überdenken und gegebenenfalls zu ändern“. Sie selbst wird, solange sich nicht Auto fahren kann, weiterhin die in der Summe deutlich teureren Tickets für den Bus lösen.
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