Wutausbrüche kennen auch die Spieler und Trainer hier
Brandreden im Amateursport
20 Jahre ist Trapattonis legendäre Rede her. Wutausbrüche können anspornen, sagen Trainer und Spieler aus der Region, die auch über fliegende Stühle berichten.

Giovanni Trapattoni hielt vor 20 Jahren seine legendäre Wutrede. © picture-alliance/ dpa
Mit seiner Wutrede ist Giovanni Trapattoni am 10. März 1998 – heute genau vor 20 Jahren – in die Fußballgeschichte eingegangen. Durch die berühmteste Pressekonferenz im deutschen Fußball wurden „Flasche leer“, „Was erlauben Strunz?“ und „Ich habe fertig“ geflügelte Worte. Nachahmer des italienischen Bayern-Trainers gab es danach einige – keiner kam aber an das Original dran. Weder Klaus Augenthaler 2007 in Wolfsburg, der sich in 42 Sekunden selbst vier Fragen stellte und diese auch beantwortete. Noch Thomas Doll bei Borussia Dortmund, der sich 2008 in seinem Rundumschlag gegen die Presse „doch den Arsch ablachte“.
Das sagt Issam Haber, Fußball-Trainer des FC Nordkirchen
Issam Jaber, Trainer des Fußball-Bezirksligisten FC Nordkirchen und selbst Bayern-Fan, empfand den Ausbruch damals „total Banane.“ Trapattoni habe dem Verein eher geschadet als geholfen. „Mit dem schlechten Deutsch hat man ihn nicht verstanden. Für die Medien war es lustig, ich fand es einfach nur peinlich.“
Spieler öffentlich zu kritisieren, sei ein No-Go, sagt Jaber. Zwar sei auch er in dieser Saison schon laut geworden – aber immer hinter verschlossenen Türen. Im Herbst verließ er beim 0:3-Rückstand gegen Sölde zur Pause nach zwei Minuten wieder die Kabine. Jaber hatte alles gesagt, was er zu sagen hatte. „Da bin ich laut geworden, aber nicht unter der Gürtellinie. Ich habe der Mannschaft gesagt: Entweder schießen wir jetzt noch drei Tore – oder wir haben ein Problem am Dienstag“, sagt Jaber. Am Dienstag trainiert der FC Nordkirchen.
Auch wenn Jaber in Sölde laut wurde: „Ich bin nicht der Typ, der aus der Haut fährt. Man darf eine schwache Leistung nie persönlich nehmen als Trainer.“ Er versuche, Spieler bei der Ehre zu packen – „aber das kannst du nur zwei bis dreimal machen, sonst machst du dich ja unglaubwürdig. Das darf nicht Standard werden. Wer meint, andauernd durchdrehen zu müssen, wird sich in dem Geschäft nicht lange halten.“
Das sagt Verbandssportlehrer René Hecker:
Im Fußball- und Leichtathletikverband Westfalen nimmt die Mannschaftsführung inzwischen einen großen Baustein an, sagt Verbandssportlehrer René Hecker. Der Fußballlehrer organisiert im FLVW die Aus- und Fortbildung für B-Lizenz-Trainer. „Das Thema müssen die Teilnehmer erarbeiten“, sagt Hecker und berichtet von Rollenspielen, um einzelne Szenen durchzuspielen. Etwa Jugendspieler, die ihren Trainer kritisieren, oder aufdringliche Eltern.
„Wir haben zwar nur drei Wochen Zeit, aber wir gehen auch durch, wie man vor einer Mannschaft steht“, sagt Hecker. Eine Faustregel, wann Brandreden Sinn ergeben und wann nicht, hat er nicht parat. Das Auftreten und Verhalten vor einer Mannschaft „steht in keinem Lehrbuch. Als Ausbilder kann ich niemanden in eine Rolle zwängen. Aber wir machen den Trainern natürlich klar, dass es im Fußball dazugehört, dass es auch einmal lauter werden kann.“
Das sagt Olaf Bispinghoff, Wasserballtrainer des SV Lünen:
Von heftigeren Wutausbrüchen berichtet dafür Olaf Bispinghoff, Wasserballtrainer des Zweitligisten SV Lünen. Als er selbst noch aktiver Spieler war, sei ein Trainer einst mit einem Stuhl auf die Spieler losgegangen, andere hauten gegen Torpfosten und hätten Schnappatmung bekommen. „Ich bin da noch ziemlich ruhig, wenn ich daran denke, was andere Trainer so machen“, sagt Bispinghoff.
Apropos: Bispinghoff, gebürtiger Werner, der inzwischen in Südkirchen wohnt, hat selbst erst vor Aufregung vor drei Wochen in Hamm die Rote Karte gesehen. „Die Mannschaft hat nicht gespielt, wie ich es von ihr gewohnt war“, sagte Bispinghoff – die Schiedsrichterleistung brachte dann das Fass zum Überlaufen. „Wir sind nicht beim Kaffeeklatsch. Es geht um Bundesligapunkte. Da habe ich dann meinen Unmut geäußert. Wie es dann aber eskaliert ist, war zu viel“, gestand sich Bispinghoff später ein.
Es gab eine Anhörung, Bispinghoff wurde für ein Spiel gesperrt. „Das war alles nicht so schön. Ich würde es nicht noch einmal so machen“, sagt er. Viel gebracht habe sein Einsatz ohnehin nicht.
Das sagt Mario Plechaty, Fußballtrainer des Lüner SV:
Gut erinnert sich auch Mario Plechaty, Trainer des Fußball-Westfalenligisten Lüner SV, an den legendären dreieinhalbminütigen Auftritt von Trapattoni. „Ich habe es genau vor Augen. Das kam lustig rüber. Ich fand es nicht schlecht. Er hatte ja recht, aber er hat Spieler bloßgestellt – und das sollte intern bleiben“, sagt Plechaty.
Auch er berichtet von fliegenden Stühlen in seiner aktiven Spielerkarriere. Ende der 1990er-Jahre habe sein Trainer beim FC Wegberg-Beeck, damals in der Oberliga Nordrhein, einen Stuhl an die Wand geschmissen. „Der hat uns richtig wachgerüttelt“, sagt Plechaty. Zu seiner Zeit als Spielertrainer bei Mengende 08/20 sei aber auch Plechaty einmal ausgeflippt. „Das musste auch mal sein.“
Ansonsten hat er das Credo, dass Trainer sich in jeder Situation im Griff haben müssen. „Es ist nicht gut, wenn Trainer Türen kaputtmachen. Wir sind Vorbilder“, sagt Plechaty, "und die besten Trainer, die ich hatte, waren ruhige Typen an der Linie. Von außen reinzuschreien, bringt nichts, weil Spieler es nicht wahrnehmen. Das ist erwiesen.“
Von Cholerikern hält Plechaty nichts, Lautstärke können Trainer jedoch als Stilmittel einsetzen. „Man muss einigen Spielern auf den Punkt genau erklären, wie schlecht sie gerade spielen und dass Fußball Einstellungssache ist. Du merkst als Trainer, wenn der Zeitpunkt da ist. Und einige Spieler brauchen das auch.“
Das sagt Julien Köppeler, Kapitän des PSV Bork:
Julien Köppeler, Kapitän des Fußball-Kreisligisten PSV Bork, kennt laute Kabinenansprachen – nicht nur von seinem Ex-Trainer Ingo Grodowski, der am Dienstag zurückgetreten ist. „Jeder kennt das von uns. Ich weiß gar nicht, was das Highlight ist. Ingo ist mit Leib und Seele dabei. Er möchte jedes Spiel gewinnen“, meint Köppeler und sagt über einen seiner Trainer: „Da ist auch schon mal der Stift von der Taktiktafel durch den Raum geflogen.“
Das sagt Lucas David, Kapitän der SG Selm:
Lucas David, Kapitän der SG Selm, braucht manchmal sogar die Wachrüttler. „Für mich ist das ein zusätzlicher Push und Ansporn. Da können ruhig mal Worte fallen, die nicht so schön sind. Damit sollte jeder umgehen können.“ Und Trainer Deniz Sahin? Der sei ein eher ruhiger Typ.
Das sagt Jörg Wintjes, Trainder des Werner SC III:
Als weniger ruhig gilt Jörg Wintjes. Der Trainer des Fußball-B-Ligisten Werner SC III kann auch schon mal laut werden. „Als ich mal Trainer bei Eintracht Werne war, haben wir hoch verloren. Das war nichts! Und dann haben die Wände gewackelt“, sagt Wintjes. Ansonsten seien ihm Ruhe und Sachlichkeit eigentlich wichtig – besonders in der Nachbereitung eines Spiels. „Wer einen Wutanfall kriegt, dem fehlen die Argumente. Man erreicht dadurch ja nichts.“
Das sagt Stefan Jantoss, Basketballtrainer des BG Lünen:
Wie sieht das im Basketball aus? Leise geht es auch hier nicht zu, verrät Stefan Jantoss, Trainer des Bezirksligisten BG Lünen: „Ich habe diese Saison die Mannschaft auch schon einmal zusammengepfiffen, um den Schlendrian rauszukriegen – als Appell, um wieder wachzuwerden.“ Aber es geht auch anders.
Das sagt Axel Taudien, Handballtrainer des TV Werne:
„Emotionen gehören zum Sport dazu. Und sie sind sportartenunabhängig“, sagt Axel Taudien, Trainer der Werner Bezirksliga-Handballer. „Bei Trapattonis Wutrede hat sich wahrscheinlich einiges angestaut. Aber solche Persönlichkeiten gibt es fast gar nicht mehr. Wenn man sich heute eine Pressekonferenz anschaut – die hören sich alle gleich an!“