Alarm wegen zunehmender Gewalt im Amateurfußball
Brandbrief von Münsters Fußballchef
Norbert Reisener vom Fußballkreis Münster bedauert in seinem „Brandbrief“ eine Verrohung der Sitten in seinem Sport. Er spricht von einer Kartenflut und kündigt Konsequenzen an. Aber nicht nur im Kreis Münster bereitet die Entwicklung den Verantwortlichen Sorgen.

Norbert Reisener hat die Fußballer in einem offenen Brief zu Mäßigung aufgerufen. „Schon jetzt müssen unsere Referees Rote Karten zücken, die normalerweise für eine ganze Serie ausreichen“, schreibt er.
Münsters Fußballchef Norbert Reisener (71) hat in einem offenen Brief zu mehr Fairness und weniger Gewalt im Amateursport aufgerufen. In seinem „Brandbrief“ am Montagabend, den der Kreisvorsitzende aus Münster an alle 71 Vereine des Fußballkreises schickte, schilderte er seine Beobachtungen von einer Zunahme an Vorfällen. Die SG Selm sowie die drei Nordkirchener Vereine FC Nordkirchen, SC Capelle und SV Südkirchen sind Mitglieder des Kreises.
„Mit großer Sorge sowie voller Angst und Schrecken“ verfolge Reisener die Berichterstattungen, weil sich „Unglaubliches“ auf den Fußballplätzen abspiele. Der FairPlay-Gedanke werde zunehmend „nicht nur missachtet, sondern im wahrsten Sinne des Wortes mit Fäusten und Füßen getreten“, schrieb Reisener. „Schon jetzt müssen unsere Referees Rote Karten zücken, die normalerweise für eine ganze Serie ausreichen. Gleichermaßen sind Spielabbrüche und Streitsituationen festzustellen, die nach den Spielen auf und neben den Fußballplätzen eskalieren“, sagte er.
Polizei musste ausrücken
Das Verhalten vieler Spieler und Funktionäre sei nicht mehr hinnehmbar, so Reisener weiter und appellierte an den Sportsgeist: „Fairness ist ein unverzichtbarer Bestandteil unseres schönen Fußballsports.“ Andernfalls kündigte er im Namen des Kreisvorstandes „ernsthaftere Maßnahmen“ an, ohne diese konkret zu nennen.
Am Dienstag erklärte Reisener im Gespräch, warum er sich entschlossen hat, den Brief zu verfassen. „Das Thema brannte mir schon länger unter den Nägeln. Das Fass zum Überlaufen hat ein Spiel in der B-Liga am Wochenende gebracht. Da haben wir uns als Vorstand entschlossen, dass wir da nicht mehr länger tatenlos zusehen wollen“, so Reisener. Er meinte die Begegnung zwischen Schapdetten und Mecklenbeck III, nach der die Polizei anrücken musste.
Strafen reichen nicht aus
Ihm schloss sich sein Stellvertreter auf Kreisebene, Norbert Krevert, am Dienstag an. „Es ist ein Zustand, den wir nicht dulden werden“, sagte Krevert. Konkrete Zahlen zu gestiegenen Roten Karten veröffentlichte der Kreis nicht. Krevert gab aber an, dass die Zahlen gegenüber dem Vorjahreszeitraum gestiegen seien. „Wir haben 15 Verfahren bei der Kreisspruchkammer liegen. Das ist ein trauriger Rekord“, sagte Krevert. Er glaube auch nicht, „dass es ausreicht, harte Sperrstrafen zu verhängen.“ Der Kreis wolle die Vereine anhalten, mit ihren Spielern zu sprechen, „ob das die Form der Freizeitbeschäftigung ist. Es ist nur ein kleiner Prozentsatz, der danebengreift.“ Das sagte auch der Kreisvorsitzende Reisener: „99 Prozent der Spieler sind Sportsleute. Aber jeder Einzelfall ist einer zu viel.“
Nicht nur im Kreis Münster schlagen die Verantwortlichen Alarm. Auch im Kreis Unna-Hamm beobachtet man ansteigende Fallzahlen. „Derzeit ist es sehr auffällig“, sagte Kreischef Horst Weischenberg am Dienstag. Sein Sportgerichtsvorsitzender Eberhard Petri hatte am 15. Oktober den 25. Fall in dieser Saison auf dem Tisch – eine Marke, die er in der Vorsaison erst zwei Wochen später, im Jahr davor sogar vier Wochen später erreichte.
Disziplinlosigkeit nimmt zu
Aussagekräftig ist die Zahl deswegen, weil nur die schweren Vergehen vor der Spruchkammer verhandelt werden. Beleidigungs- und Bedrohungsdelikte gegen Schiedsrichter hätten zugenommen, teilte Petri mit. Neben vier Spielabbrüchen und drei Tätlichkeiten gegen Unparteiische schilderte er auch einen sehr drastischen Fall, in dem ein Schiedsrichter in seiner Kabine eingesperrt und bedroht worden ist.
Bei Aktenzeichen 15 steht auch schon Bernhard Langener von der Kreisspruchkammer Ahaus/Coesfeld. „Wir stellen eine Anhäufung fest und besonders die Disziplinlosigkeiten nehmen zu. Das ist offenbar ein Trend. Gegen den Trend laufen die Zahlen im Fußballkreis Recklinghausen: Es ist ruhig. „Wir haben so wenige Rote Karten wie lange nicht mehr“, sagte Kreisvorsitzende Hans-Otto Matthey. Am vergangenen Wochenende gab es erstmals in dieser Saison einen Spielabbruch.
Kommentar von Sportredakteur Sebastian Reith:
Es ist nicht alltäglich, dass ein Kreisvorstand so in die Offensive geht. Der offene Brief zeigt: Das Thema ist dem Team um Norbert Reisener wichtig. Und die Verantwortlichen sahen Bedarf, schnell zu handeln – ein richtiger Ansatz. Denn wie sich zeigt, beobachten auch Funktionäre in Münsters Nachbarkreisen, dass Gewalt – seelisch und körperlich – zunimmt. Und damit das nicht salonfähig wird und eine rote Linie verschoben wird, ist Strenge wichtig. Norbert Krevert hat es angekündigt: Der Kreis als Dachverband für Münsters Klubs will den Dialog suchen, zunächst mit den Vereinen. Der Kreis alleine kann die schwarzen Schafe nicht finden. Er braucht die Hilfe der Vereine. Dann sprechen wir von Courage. Und hier schließt sich der Kreis: Auch sie profitieren letztlich durch einen guten Ruf.