Amos Pieper ist in Nordkirchen angekommen. Etwa eine Stunde fährt man von Nordkirchen aus zu den Heimspielen nach Bielefeld. In welchem Vereinsumfeld spielt Pieper da? © Nina Dittgen
Reportage
Mythos Arminia Bielefeld - und Amos Pieper mittendrin
Seit seinem Wechsel zu Arminia Bielefeld ist Amos Pieper (22) gereift. Wie ist die Atmosphäre auf der Alm? Wie läuft ein Spieltag bei der Arminia im Block ab? Wir waren am Sonntag dabei.
Piiieeepaaaaa! Der Mann auf der Bielefelder Stehplatztribüne hebt die rechte Faust in die Luft, als er Amos Piepers Namen grölt. Er trägt eine schwarze Wollmütze auf dem Kopf und einen blau-weißen Arminia-Schal um den Hals, der irgendwo in seinem schwarze Regencape endet. In der linken Hand hält er seinen Bierbecher. Aufmerksam beobachtet er das Torschusstraining. Amos Pieper, der Nordkirchener Junge bei der Arminia, hatte auf dem nassen Rasen von halblinks flach unten ins Eck getroffen. Auch die anderen Namen der Torschützen beim Einschießen ruft der Mann laut. Treffen sie nicht, quittiert er es mit einem langen „Ooooouuuuuh!“.
Unten in Block 3 ist man ganz nah dran, wenn ein Tor fällt. © Sebastian Reith
Der Mann steht am Sonntag in Block 3 in der Bielefelder Schüco-Arena fast direkt hinter dem Zaun, der die Fans vom Innenraum trennt, in Reihe 4. Dann kommt Fabian Klos an die Reihe. Der Mann mit der Mütze brüllt nicht Klos‘ Namen. Stattdessen: „Fuuuußbaaallgooott!“ Klos spielt seit 2011 in Bielefeld. Der Torjäger genießt Kultstatus wegen seiner Treue und Tore.
Normalerweise sollte die Stehplatztribüne jetzt, um 13.15 Uhr, eine Viertelstunde vor dem eigentlichen Anpfiff, bereits rappelvoll sein - der Anpfiff verzögert sich wegen des Dauerregens aber.
Vor den Aufgängen an der Südtribüne warten viele Zuschauer im Trockenen auf den Anpfiff. © Sebastian Reith
Und entsprechend viel Zeit lassen sich die Zuschauer und trinken, regengeschützt unter der Tribüne, noch das eine oder andere Bier. „Die können das Spiel doch nicht absagen“, sagt der Mann mit der Mütze entsetzt, „und wenn, dann hätte man das gestern schon machen sollen.“ Jedes Mal, wenn der Ball auf dem Rasen aufprallt oder ein Spieler den Ball stoppt, schießt etwas Wasser hoch.
Glück, Fähigkeiten, Leidenschaft
Aus den Stadion-Lautsprechern dröhnt währenddessen Musik von Fort Minor: „This is ten percent luck, Twenty percent skill, Fifteen percent concentrated power of will, Five percent pleasure, Fifty percent pain, And a hundred percent reason to remember the name.“
© Sebastian Reith
Man könnte meinen, dass das Lied wie gemacht ist für Amos Pieper. Mit einer Mischung aus Glück, den richtigen Klub gefunden zu haben, seinen Fähigkeiten, die er sich in der Jugend von Borussia Dortmund hart erarbeiten musste, Willenskraft, Leidenschaft und Schmerz ist Amos Pieper genau das gelungen, was er sich bei seinem Wechsel vor einem Jahr erhofft hatte. Er ist Stammspieler und er hat sich entwickelt.
„Amos Pieper ist einer der besten Verteidiger der zweiten Liga“, sagte der Fan dann, als Pieper beim Torschuss wieder an der Reihe ist. Längst soll sich der 22-Jährige in nur einem Jahr beim Zweitligisten Arminia Bielefeld in die Notizbücher der Bundesliga-Scouts gespielt haben, schrieb eine Bielefelder Tageszeitung kürzlich, allerdings ohne Angaben von Interessenten oder einer Quelle. Dass Pieper wechselt, gilt derzeit als unwahrscheinlich. Er hat die Bundesliga und Spielpraxis vor Augen und ist zudem mit einem langfristigen Vertrag bis 2022 ausgerüstet.
In Bielefeld hat sich Amos Pieper zum Zweitligaspieler entwickelt
Bielefeld war offenbar genau der richtige Nährboden für den wachsenden Pieper - ein unscheinbar wirkender Klub aus einem ländlich geprägten Raum, wo unter der Tribüne noch Gewinnspiele an blau-weißen Glückrädern stattfinden. Wo die Gartengrundstücke der Melanchthonstraße in der Nachbarschaft nur gut 15 Meter von der Tribünenaußenmauer entfernt sind. Wo man aus dem Büro der Geschäftsstelle zwischen der modernen Osttribüne und der großen Bielefelder Stehplatztribüne (Südtribüne) einen guten Überblick über das Spielfeld hätte. Wo Vereinsmitglieder an der „12. Mann Tankstelle“ Benzin und Autowäschen noch vergünstigt bekommen.
„Für Arminia am Rad drehen“ - in Bielefeld gibt es noch Glücksrad-Aktionen. © Sebastian Reith
Die 12. Mann Tankstelle ist Kult in Bielefeld. © Sebastian Reith
Bielefeld, das wird an diesem verregneten 23. Spieltag der 2. Bundesliga aber wieder einmal deutlich, hat eine lange Tradition. 189 Fanclubs pilgern zu Spieltagen ins Stadion. Hausgroße Graffitis unter der Bielefelder Südtribüne zeugen von der Liebe für den Verein. Ultra-Aufkleber an Zäunen, Jeanskuttenträger mit aufgestickten DSC-Schlachtrufen, aber auch ein moderner Fanshop unter der Haupttribüne, in dem Amos Piepers Trikot auf Nachfrage nicht sofort vorrätig ist, aber beflockt werden kann.
Die Aufgänge unter der Südtribüne sind mit Graffitis gestaltet. © Sebastian Reith
Beifall für „Nazis raus!“
Klare Haltung auch bei Rassismus und Fremdenfeindlichkeit: Als der Stadionsprecher vor dem Spiel durchgibt, dass jemand, der Affenlaute von sich gibt, nie wieder ein Spiel in der Schüco-Arena verfolgen wird, gibt es großen Beifall. Bei der Schweigeminute für die Opfer von Hanau ist es still - keine Zwischenrufe, keine Pfiffe. Die Ostwestfalen können sich benehmen.
Ein Kuttenträger von Arminia Bielefeld steht am Bierstand. © Sebastian Reith
Die Fans kamen auch zu Drittligazeiten, als es Arminia finanziell besonders schlecht ging. Der Zuschauerschnitt in dieser Saison (rund 21.000) war zuletzt zu Erstligazeiten so gut - das war 2008/09 und ist damit über zehn Jahre her. Viele sehnen sich nach den guten, alten Zeiten - vor der Fast-Insolvenz und als Bielefeld in den 80ern mal Platz acht in der Bundesliga belegte und Borussia Mönchengladbach mal mit 5:0 aus dem Stadion fegte.
Aufkleber am Blockaufgang von Arminia Bielefeld. © Sebastian Reith
Noch vor Jahren saß Arminia auf einem Berg von Schulden
30 Millionen Euro soll der Schuldenberg erst vor wenigen Jahren betragen haben. Noch 2018 brauchte Arminia dringend frisches Geld. Am Ende rettete den DSC eine Kooperation mit zahlreichen Unternehmen der Region, das sogenannte „Bündnis Ostwestfalen“, mit dem ein Schuldenschnitt und Stadionverkauf einhergingen.
Der Reichtum ist bei der Arminia trotzdem seitdem nicht ausgebrochen. Der Etat von geschätzt 11 Millionen Euro ist gesehen an dem des Hamburger SV (29 Millionen) wie ein Bobbycar neben einem Sportwagen. Seriosität ist wichtig, Schritt für Schritt gehen - auch da sind sich der Verein und sein Innenverteidiger aus der Schlossgemeinde irgendwie ähnlich.
Vor dem Spiel füllt sich das Stadion langsamer als sonst. Grund ist der Regen, der immer wieder böig auf die Zuschauerränge weht. Die Fans warten lieber vor dem Stadion auf den Anpfiff. © Sebastian Reith
„Er musste sich ja behaupten, als Brian Behrendt ausgefallen ist. Und er macht es sehr gut“, sagte ein anderer junger Zuschauer im gleichen Block ganz sachlich. Er rechne nicht damit, dass sich Pieper wieder verdrängen lässt - auch nicht, wenn Behrendt von seinem Kreuzbandriss erholt ist.
„Amos Pieper würde auch Bundesliga spielen können“, sagte der Fan dann mit ostwestfälischer Überzeugung und stimmt wenig später die Stadionhymne an: „Es geht voran und darum sind wir alle hier. Ob man gewinnt , ob man verliert, scheißegal, was auch passiert - wir sind da und halten immer fest zu dir.“ Irgendwie passend zu der ganzen Situation. Es geht voran.
In der Stadt ist es still, doch die Atmosphäre ist da
Gut zwei Stunden vorher ist von der Atmosphäre eines Zweitliga-Spitzenreiters, der vor dem achten Bundesliga-Aufstieg der Vereinsgeschichte steht, noch nicht so viel zu spüren, was auch dem Wetter geschuldet ist. Auf der Stapenhorststraße, der kurvigen Verbindungsstraße zwischen Innenstadt und Universität stehen zwei Fans vor der Kult-Kneipe „Zwiebel“. Eine Mutter mit Kind im DSC-Pullover geht vorbei.
Je näher Richtung Stadion, desto mehr sieht es nach Fußball aus. Vor der Gaststätte „Heimat+Hafen“ mit der aufwendig gestalteten Außenfassade mit Segelschiff und Seeungeheuer, tummeln sich schon ein paar mehr Fans.
© Sebastian Reith
Als der Stadionsprecher dann die Aufstellung des DSC zehn Minuten vor Spielbeginn bekanntgibt, befindet sich Amos Pieper gerade irgendwo zwischen Kabine und Spielertunnel: „Mit der Rückennummer zwei: Amos...“ - „Pieepeeer!“, vervollständigt die Menge wie gewohnt Piepers Namen. 26.285 Zuschauer sind trotz Regen bei Piepers 28. Zweitliga-Einsatz wieder gekommen, gibt der Stadionsprecher später durch, etwa 4.000 Hannoveraner sind darunter. Und so langsam versteht man, warum Bielefeld als „Anfield Road Ostwestfalens“ tituliert wurde.
Nach elf Spielsekunden hat Amos Pieper seinen ersten Ballkontakt. Der gibt Sicherheit. Was auffällt: Bei dem Höllenlärm muss Pieper vor allem viel gucken. Blick nach rechts, Blick nach links. Wo steht Cedric Brunner rechts von ihm und wo Joakim Nilsson links neben ihm in der Innenverteidigung? Wo stehen die Gegner? Wo ist der Ball?
Pieper sichert ab, bei den eröffnenden Pässen hält er sich zurück
Taktisch überlässt er Joakim Nilsson den Spielaufbau. Pieper läuft, macht ein paar Schritte zurück und ist die letzte Absicherung. Blick nach rechts, Blick nach links. Bei Freistößen oder Eckbällen der Arminia orientiert sich der 1,92 Meter große und kopfballstarke Pieper nach vorne.
Die Südtribüne in Bielefeld ist für viele Zuschauer an Spieltagen die sportliche Heimat. Zwischen der Süd- und Osttribüne steht auch die Geschäftsstelle. © Sebastian Reith
Kopf heben, Rückpass auf Torhüter Ortega - dem kullert der Ball durch die Beine, der zweite Klärungsversuch ist zu kurz und landet direkt beim Gegner, Hannovers dickste Führungschance (47.) geht aber vorbei. Schwein gehabt. Pieper treibt an und klatscht in die Hände. Weitermachen. Blick nach rechts, Blick nach links.
Ruhe am Ball, souverän und gute Werte
Was Pieper auszeichnet, ist die Ruhe, die er mit 22 Jahren schon auf dem Rasen ausstrahlt. Er macht fast keine Fehler, spielt souverän und unaufgeregt. Das Fachmagazin „Kicker“ gibt ihm die Note 2,0 - die beste aller Bielefelder an diesem Tag, mit der er es auch in die Elf des Spieltages schafft. 10,33 Kilometer ist er gelaufen, Passquote 86 Prozent, 60 Prozent gewonnene Zweikämpfe, kein einziges Foul.
Die Rückwand des Almbads ist mit einem großen Graffiti besprüht - und grenzt direkt an die Südtribüne. © Sebastian Reith
Als Reinhold Yabo dann sieben Minuten vor Schluss das Siegtor schießt, hält es auch Pieper nicht mehr hinten. Von der Mittellinie läuft er zur Eckfahne, zwei Jubelsprünge und die Fäuste geballt. Vier Minuten später klärte er mit viel Glück über die Latte - fast ein Eigentor. Als dann der Abpfiff ertönte, lief Amos Pieper in Richtung Keeper Ortega, umarmte ihn herzlich und feierte dann vor der Südtribüne den Sieg.
Bielefelds Amos Pieper feiert den 1:0 Sieg bei Spielende. © dpa
„Es war ein dreckiges Spiel. Wir haben gezeigt, dass wir das auch können“, erzählt Amos Pieper später im Interview in der Mixedzone. Da hatte er die eigentlich weißen Stutzen, die sich von der Schlammschlacht braun verfärbt haben, schon heruntergekrempelt und steckte in blauen Badeschlappen.
Amos Pieper ist hochkonzentriert
„Wir sind ja Profis dafür, um auf alles vorbereitet zu sein. Klar gibt es schönere Bedingungen, was den Platz angeht, aber das ist irgendwann scheißegal. Das haben wir ausgeblendet. Genau so, dass das Spiel 30 Minuten später angepfiffen wurde. Man bleibt im Tunnel und fokussiert“, sagt Pieper, der noch nicht vom Aufstieg sprechen wollte: „Sorry, dafür ist es immer noch zu früh. Von einem anderen Thema könnt ihr gerne sprechen, aber dafür ist es noch zu früh“, sagte Pieper und grinste.
Der Hamburger SV hatte am Samstag das Derby gegen St. Pauli verloren. Sechs Punkte Vorsprung hat Bielefeld jetzt auf den HSV auf dem Relegationsplatz drei. Neun sind es auf Platz vier. Angesprochen auf die Tabelle antwortete Pieper: „Es ist ein gutes Gefühl, dass wir wieder gewonnen haben. Es bringt uns ja nichts, wenn der HSV verliert und wir nicht gewinnen.“ Ein Aufstieg im Sommer könnte Pieper bei den Fans jedenfalls etwas näher an den Titel „Fuuußbaaallgooott“ bringen.
© Sebastian Reith
Ein letzter Blick auf die Südtribüne von außen. © Sebastian Reith
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