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Betroffener schildert latenten Alltagsrassismus beim BV Brambauer
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Ein Ex-Spieler des BV Brambauer macht zahlreiche Vorkommnisse der vergangenen Jahre öffentlich, die er in dem Verein erlebt hat.
Das Feiern des Geburtstags von Adolf Hitler, ausländerfeindliche Kommentare bis hin zum Leugnen des Holocausts - all das soll es beim Amateurfußballverein BV Brambauer in den vergangenen Jahren gegeben haben. Ein Ex-Spieler hielt das nicht mehr aus, macht die Vorfälle öffentlich und hat Politik und Fußballverband eingeschaltet, die sich jetzt mit dem Fall beschäftigen. Ein Nazi-Skandal hat den BV Brambauer erschüttert.
Rechtsradikal, ausländerfeindlich, nazi-verherrlichend - dieses Bild zeichnet Ex-Spieler David Astor (52) vom BV Brambauer. In den vergangenen vier Jahren, so beschreibt Astor, sei es immer wieder zu Vorfällen gekommen. Lange hatte er Witze hingenommen, anfangs sogar mitgelacht. Dann wurden ihm die Kommentare zu derb. Immer deutlicher kamen rechte Tendenzen zum Vorschein. Bevor sich der Fußballer Mitte April von der Gruppe verabschiedete, hätten einige Ex-Mitspieler überhaupt keine Versuche mehr unternommen, ihre Neigungen zu verschleiern. Und dann sind da immer wieder die vielen Mitwisser, die vor allem eins machen: nichts.
David Astor kennen in Lünen nicht viele. Das liegt daran, dass er im Lüner Fußball immer mit dem Nachnamen Türksoy auflief und mittlerweile geheiratet hat. Als er zwei Jahre alt war, zog seine Familie aus der Türkei ins Ruhrgebiet. Hier gab es Arbeit. David Türksoy wuchs in Brambauer auf. „Jeder Deutsche kannte einen Türken, jeder Türke einen Deutschen, auch wenn man nicht viel miteinander zu tun hatte - aber alle waren Kumpels“, erinnert er sich an die 70er-Jahre zurück, als der Bergbau den Lüner Stadtteil Brambauer prägte, als die Waltroper Straße mit vielfältigen Geschäften boomte und Leerstand selten war. Die Zeche Minister Achenbach schloss 1992.
David Türksoy erlebt eine unbeschwerte Kindheit
David Türksoy spielte Fußball beim damaligen FC Brambauer 45, der 2007 mit dem BV Brambauer fusionierte, und beim TuS Eving-Lindenhorst. Später machte er sich als Schiedsrichter einen Namen - 1992 pfiff er mal den heutigen Bundesligisten Union Berlin in der damaligen Oberliga. Er sagt, dass er sich immer sehr wohl gefühlt habe in seiner Kindheit und Jugend. Brambauer sei Heimat für ihn gewesen. Abitur am Freiherr-vom-Stein-Gymnasium in Lünen.
Der erste Kulturschock kam, als er 1987 begann, Wirtschaftsingenieurwesen in Berlin zu studieren, wo Kreuzberger Türken und Deutsche getrennt voneinander lebten.
Bei Daimler nahm er dann an einem internationalen Programm teil, machte Karriere in der AEG. Die betrieb in der Türkei ein Transformatorenwerk. Fast 20 Jahre lebte David Türksoy dann in der Türkei, gründete selbst ein Unternehmen. Konkurs. Neuanfang. Zurück nach Brambauer. Zurück zu den Wurzeln seiner Kindheit.
Brambauer hat sich verändert
Doch was David Astor, der 2012 geheiratet hatte, in seiner alten Heimat erlebte, war der zweite Kulturschock in Deutschland für ihn. „Es hatte sich alles verändert“, erzählt er. Das Geschäftsbild auf der Waltroper Straße, der Fußballverein, die Mentalität der Menschen. 2016 war er nach Brambauer zurückgekehrt, mit vielen nostalgischen Erinnerungen. Und so fing er auch an, beim BV Brambauer, in dem sein FC Brambauer 45 aufgegangen war, wieder Fußball zu spielen.
In der Altherrengruppe, in der er wieder anfing, waren nicht mehr viele Freunde von damals übrig. Trotzdem habe er sich anfangs auch hier wieder wohlgefühlt. „Die wussten erst nicht, wohin sie mich einordnen sollten. Der sieht südländisch aus, redet aber wie wir“, sagt Astor. Er sei etwas kritisch beäugt worden. Es war wie ein Herantasten, was der Deutsch-Türke mitmacht und was nicht, wie er eingestellt ist und wo seine Grenzen sind. „Ich habe am Anfang noch mitgelacht“, sagt er. Und wenn dann Witze über diebische Polen in der Kabine gemacht wurden („Den WM-Pokal gewinnen die nicht, aber sie bringen ihn trotzdem mit“), habe er sogar Humor bewiesen und einen Witz über Türken gerissen. Bis die Geschehnisse Überhand nahmen.
In einer Whatsapp-Gruppe geht es hoch her
Ende 2017 krachte es das erste Mal. Anlass war eine Videonachricht, die ein Mitspieler, ein einstiger Sandkasten-Freund von David Türksoy (Name ist der Redaktion bekannt), in die Whatsapp-Gruppe der Altherren stellte. Diese Messenger-Gruppe mit 50 Nutzern sollte eine wichtige Rolle bei der Verbreitung rechter Tendenzen spielen. Das Video zeigte arabisch-türkische Jungs, die einen Deutschen verprügelt haben sollen. Stimmungsmache gegen Muslime, Ausländer, Leute mit Migrationshintergrund - wie David Astor. „Das war ganz extrem, kein kurzer Film, professionell gefertigt“, sagt Astor.
Er weiß, dass sein Kumpel aus Kindertagen das Video nicht selbst produziert haben kann. „Er hat es bekommen und weitergeleitet“, sagt Astor. Erstmals habe er protestiert. Das Video sei eine Frechheit, merkte er an. Erschrocken war er darüber, wie wenig Rückendeckung er von anderen Nutzern in der Gruppe erhielt. Er verabschiedete sich aus der Sportgemeinschaft - allerdings nur für wenige Wochen.
Auf die Verunglimpfung folgte eine Entschuldigung
Dann sprach man ihn auf einem Hallenturnier wieder an, entschuldigte sich im Namen der Altherren bei ihm. Für David Astor war die Sache eigentlich gegessen. „Der Sport sollte für mich ja ein Rückzugsort sein“, sagt er. Nur wenige Wochen war er dadurch abwesend. Und die zweite Chance ging auch wieder eine Zeit lang gut, doch Astor war nun sensibilisiert. Immer häufiger hörte er, wie Mitspieler über Ausländerprobleme sprachen.
Hier hält Astor im Gespräch inne. „Es geht mit auch nicht um persönliche Verfeindungen, sondern um den Trend“, sagt er. Die politische Einstellung anderer sei ihm immer egal gewesen. Dass ein Brambauer-Mitspieler das Symbol der seit 2000 verbotenen Gruppierung „Blood and Honour“ (Blut und Ehre), ein gestalterisch an die Hakenkreuzflagge angelehntes Logo mit drei statt vier Armen, tätowiert haben soll, sei dessen Privatsache. Das Neonazi-Netzwerk hat nachgewiesene Verbindungen zur Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU).
Vermischung von Kulturen im Ruhrgebiet sei seltener
Aber: „Egal, wo ich hinschaue, ist die Vermischung der Menschen fast aufgehoben.“ Astor lebte 20 Jahre nicht in Deutschland. Ihm fallen die Veränderungen drastischer auf. „Kennen Sie das Bild vom Frosch?“, fragt er. „Wenn Sie einen Frosch in heißes Wasser werfen, springt er heraus. Wenn Sie ihn in kaltes Wasser werfen und dieses langsam erhitzen, bleibt er drin sitzen, bis er verbrüht.“ Das ist zwar ein mittlerweile widerlegter Mythos, soll aber veranschaulichen, dass eine Gesellschaft langsame Veränderungen stillschweigend toleriert. „Das ist übrigens kein Problem, das es nur in Lünen oder Brambauer gibt“, sagt Astor.
Er erklärt, dass seiner Beobachtung nach Fronten zwischen Deutschen und Ausländern zunehmend verhärtet seien - eine Folge von Ausgrenzung. Auch Vereinsgründungen mit türkischem Namen und türkischer Community, religiös gestärkt, heißt er nicht gut. „Es tut weh. Es ist ein gefährlicher Trend, der aus diversen Kreisen kommt“, sagt Astor.
Von einem „Trend“ will Dariusz Jöres, Vorsitzender der Altherrengruppe, nichts wissen und widerspricht dem entschieden. Der Verein sei weltoffen und biete vielen Spielern unterschiedlicher Herkunft eine sportliche Heimat. Einen Dauerzustand mit rechten Tendenzen habe es nie gegeben. Die Vorwürfe seien völlig übertrieben und aus der Luft gegriffen.
Ausländerfeindliche Sprüche gehen weiter
Auch nach seiner Rückkehr in die Mannschaft habe es in den Jahren 2018 und 2019 immer wieder ausländerfeindliche Sprüche beim BV Brambauer gegeben, berichtet Astor. Vorkommnisse bei der Jahreshauptversammlung 2019, als der Alkoholpegel gestiegen war: Ein langjähriger Kapitän der ersten Mannschaft, der mittlerweile bei den Altherren spielt, habe gesagt, dass das Wort „Kanake“ kein Schimpfwort sei.
Ein anderer Spieler habe zu Astors Migrationshintergrund gesagt: „Wenn eine Ratte in einem Pferdestall geboren wird, ist sie trotzdem immer noch eine Ratte - und kein Pferd.“ Und dann sei von einem Spieler der Holocaust in seinem Wahrheitsgehalt und Umfang angezweifelt worden. „Er hat es ihn schlichtweg geleugnet“, sagt Astor, der laut eigener Aussage nicht so souverän reagiert habe und sich zurückzog. Eine Anzeige hat er nicht erstattet. Die Aussagen haben im Gespräch stattgefunden. Beweisbar sind sie nicht.
Werner Smuda, Altherren-Obmann des Vereins, war bei vielen Gesprächen nicht dabei, kann sie daher nicht bestätigen. Anders sieht das bei den Beiträgen aus, die über das Smartphone weitergeleitet und so verbreitet wurden. Die leugnet auch der Verein nicht.
In der Whatsapp-Gruppe, von der einige wohl dachten, dass sie privat ist und die Inhalte nie öffentlich würden, gab es auch in jüngster Vergangenheit weiter Kommentare und rassistische Bilddateien. So zeigt ein jüngstes Foto, das auf die Corona-Krise anspielt, ein ertrinkendes Flüchtlingskind mit dem missbrauchten Slogan „bleibt Zuhause“. Der Rassismus findet versteckt statt, nie habe es offen Hakenkreuze gegeben - wie auch beim als Witz getarnten Geburtstagsgruß an Adolf Hitler.
Bei dem Mann handele es sich um denselben, der auch das rechtsradikale Tattoo trage und den Holocaust am Abend der Jahreshauptversammlung 2019 leugne, Kanzlerin Angela Merkel beleidigt habe sowie Verschwörungstheorien verbreitet habe, dass Auflagen in der Corona-Krise gelockert würden, wenn der Ramadan beginnt.
Enttäuschung über das Schweigen
Enttäuscht zeigte sich Astor immer wieder darüber, wie wenig Zuspruch er bekam, wenn er sich gegen Kommentare in der Gruppe wehrte. Bis auf wiederholte allgemeine Hinweise in der Whatsapp-Gruppe, Kommentare zu unterlassen, sei nie etwas passiert. Schließlich habe er sich an Altherren-Obmann Werner Smuda gewandt, der um mehr Solidarität in der Whatsapp-Gemeinschaft bat. Doch von den vielen Mitgliedern der Whatsapp-Gruppe erntete auch Smudas Beitrag nur gut zehn Zustimmungen.
Viele schwiegen.
Dabei beziffert Astor die Zahl derer, die sich wirklich als rechts geoutet haben, auf fünf bis sechs Personen. Die Zahl der Mitläufer sei ein Vielfaches größer. Er trat erneut aus der Whatsapp-Gruppe aus. Am Dienstag, 21. April 2020, wandte sich Astor an die Öffentlichkeit. Auch den Vereinsvorstand hat er kontaktiert. Außer zu Journalisten habe er aber mittlerweile Kontakt zum Fußballverband gehabt, der den Fall untersuchen will, und zu Politiker Rainer Schmeltzer (SPD), der einst den BV Brambauer führte.
Die Redaktion wird in Kürze eine ausführliche Darstellung des Vereins veröffentlichen.
Sportler durch und durch, der auch für alle Sportarten außerhalb des Fußballs viel übrig hat. Von Hause aus Leichtathlet, mit einer Faszination für Extremsportarten, die er nie ausprobieren würde. Gebürtig aus Schwerte, hat volontiert in Werne, Selm, Münster und Dortmund.
