„Sport nicht kaputtmachen“ Drohende FLVW-Kollektivstrafen bringen Klubs in Zwickmühle

Drohende FLVW-Kollektivstrafen bringen Klubs in Zwickmühle
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Szenen wie diese sieht man fast an jedem Wochenende auf den westfälischen Sportplätzen: Der Schiedsrichter entscheidet gegen eine Mannschaft und plötzlich brechen die Emotionen aus. Zuschauer beschweren sich an der Bande oder laufen auf das Spielfeld, Spieler schubsen und beleidigen sich gegenseitig und greifen den Unparteiischen an. Viel zu oft kommen die Täter unbehelligt davon, weil die betroffenen Vereine sie schützen. Dieser Ansicht ist der Fußball-und Leichtathletikverband-Westfalen und stimmt daher im April über Kollektivstrafen für alle Vereine ab, deren Fans oder Spieler gewalttätig werden. Wer nicht kooperiert oder gar Täter wissentlich deckt, muss in Zukunft möglicherweise mit einem Punktabzug rechnen.

Wie reagieren die Vereine darauf? Einen klaren Standpunkt dazu hat Stephan Polpatz, der Vorsitzende des Bezirksligisten Westfalia Wethmar: „Ich finde diese Idee gut. Wenn man das Gewalt-Problem anders nicht in den Griff bekommt, dann geht es nur so.“ Polplatz weiß, wovon er spricht. Er ist stellvertretender Vorsitzender im Schiedsrichterausschuss des Kreises Unna-Hamm und pfeift selbst auch gelegentlich. „Ohne Unparteiische geht es nun mal nicht“, stellt sich Polplatz auf die Seite der Kollegen und nennt Zahlen, die zu denken geben. Vor zehn Jahren wären im Kreis Unna-Hamm noch 340 Schiedsrichter aktiv, jetzt seien es nur noch knapp über 200. „Die Exzesse gegen Schiris tragen nicht zur Werbung bei“, sagt Polplatz.

„Muss auf die Lippen beißen“

Zustimmung bekommt der Verband für seine Pläne auch von Carsten Walschus. „Wenn ich wissentlich einen Täter decke, dann ist es gerecht, wenn mir dafür auch Punkte abgezogen werden“, sagt der Trainer des B-Kreisligisten Preußen Lünen. Allerdings wünscht er sich, dass beim Thema Gewalt gegen Schiedsrichter stärker an den Ursachen geforscht wird. „Es gehören immer zwei Seiten dazu. Einigen Schiedsrichtern fehlt das nötige Fingerspitzengefühl, um eine Partie ordentlich zu leiten. Da muss ich mir manchmal auf die Lippen beißen“, so Walschus.

Ausdrücklich auf der Seite der Unparteiischen steht Marcus Gerke. „Die Gewalt gegen Schiedsrichter ist nicht mehr auszuhalten“, findet der Vorsitzende des SV Langschede. Mögliche Kollektivstrafen sieht er jedoch kritisch: „Für uns ist das eine echte Zwickmühle, denn wir wollen alle, dass die Gewalt deutlich abnimmt.“ Ein Punktabzug könne wirklich nur die letzte Lösung sein. „Zu diesem Mittel darf man erst dann greifen, wenn alle anderen Schritte nicht mehr zum Erfolg führen.“

Gerke sieht eher andere Ansätze.

Zum Beispiel sollte der Verband bei der Organisation der Ordnungsdienste ansetzen. „Die Vereine müssen dafür Sorge tragen, dass alles in die Wege geleitet wird, den Schiedsrichter zu schützen“, findet Gerke. Klubs, die dieser Pflicht nicht nachkommen, dürfe der Verband ruhig stärker zur Kasse bitten.

Carsten Walschus, Trainer des B-Kreisligisten Preußen Lünen
Carsten Walschus, Trainer des B-Kreisligisten Preußen Lünen, spricht sich gegen Kollektivstrafen aus. © Goldstein

Das Damoklesschwert eines drohenden Punktabzuges hingegen würde Vereine eventuell dazu verleiten, sich vorschnell zu inkorrekten Aussagen über Personen hinreißen zu lassen. „Da kann viel Falsches rauskommen“, gibt Gerke zu bedenken: „Was ist zum Beispiel, wenn ich wirklich nichts mitbekommen habe, mich aber unter Druck sehe, einen möglichen Täter zu melden?“ Ganz nach dem In-dubio-pro-reo-Grundsatz (Im Zweifel für den Angeklagten) müsse im Zweifel von der Unschuld einer Person ausgegangen werden.

Auch Marc-Oliver Kraus, Sportlicher Leiter des A-Kreisligisten FC TuRa Bergkamen, sieht die drohenden Kollektivstrafen kritisch und mit einigen Fragezeichen. „Ich finde es immer positiv, wenn Vereine und der Verband kooperieren. Aber wir sollten den Sport nicht kaputtmachen.“ Kraus stellt sich die Frage, an welchen Kriterien der Verband festmachen wolle, ob ein Punktabzug gerechtfertigt sei oder eben nicht: „Es kann ja durchaus sein, dass ich den Täter wirklich nicht kenne.“

Daher hat er an den Verband eine unmissverständliche Forderung: „Der FLVW sollte klare Linien dafür herausgeben, wie er bestrafen will.“

De Sacco kennt Beweisprobleme

Ähnliche Bedenken hat David Handrup, Vorsitzender des Landesligisten FC Nordkirchen: „Selbstverständlich setzen wir uns alle gegen Gewalt ein. Aber manchmal ist der Täter wirklich nicht zu ermitteln.“ Auch Dietmar De Sacco, Geschäftsführer des Kreisligisten PSV Bork, sieht Probleme bei der Umsetzung: „Wie will der Verband einem Verein beweisen, dass er einen Täter kennt?“ Das sei nur in wirklich ganz offensichtlichen Fällen möglich, findet De Sacco, der mit Beweisproblemen als Sportrichter fast täglich zu tun hat.

Sein Juristenkollege Udo Speer, Vorsitzender des Westfalenligisten SC Holzwickede, springt ihm zur Seite: „Man kann Verein nur dann kollektiv bestrafen, wenn man ihnen auch ein Verschulden nachweisen kann. Das dürfte in vielen Fällen schwierig werden.“

Einig sind sich die Vertreter in der Hinsicht, dass die Kollektivstrafen nur dann auf Akzeptanz stoßen werden, wenn der Verband sich darauf beschränke, mangelnde Kooperationsbereitschaft zu sanktionieren. So sieht Sascha Hilmer, Geschäftsführer von Eintracht Werne, die Pläne zwar positiv, betont aber, dass der FLVW nur offensichtlich kooperationsunwillige Vereine bestrafen dürfe. Keinesfalls sei es angebracht, Klubs pauschal für Täter zur Verantwortung zu ziehen: „Viele Vereine haben gar nicht die notwendige Infrastruktur, um jeden Täter ausfindig zu machen.“

David Handrup, Vorsitzender des Landesligisten FC Nordkirchen
David Handrup, Vorsitzender des Landesligisten FC Nordkirchen, sieht die FLW-Pläne zwiegespalten: „Manchmal ist der Täter wirklich nicht zu ermitteln.“ © Jura Weitzel

Alle Verantwortlichen eint der Wunsch nach einer gemeinsamen Vertrauensbasis zwischen Vereinen und Verband. Mohamed Amer, Vorsitzender des SV Stockum, der die Pläne ebenfalls begrüßt, fügt daher noch einen weiteren wichtigen Aspekt hinzu. Er erhofft sich für die Zukunft ein konstruktives Miteinander: „Wenn ein Klub beteuert, einen Täter nicht zu kennen, dann muss man die Vereinsverantwortlichen auch in Schutz nehmen und ihnen glauben.“

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