Homosexuelle Fußballerin mit WM-Boykott „Das hat nichts mehr mit Menschlichkeit zutun“

Homosexuelle Fußballerin im Boykott-Zwiespalt
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Viele Jahre prägte sie den Frauenfußball in Dortmund, feierte Triumphe mit dem SV Berghofen und kickte sogar in der 2. Liga mit dem SVB: Die Rede ist von Juliane Bauch, ehemalige Torhüterin des SV Berghofen. Mittlerweile hütet die fußballverrückte Keeperin beim FC Iserlohn in der Westfalenliga das Tor. Die 29-Jährige lebt seit Jahren in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft. Daraus macht Bauch kein Geheimnis, steht offen zu ihrer Partnerin. Die Debatte um die Weltmeisterschaft in Katar mit all ihren Themen verfolgt Bauch mit gemischten Gefühlen. Mit einem momentanen Boykott des Turniers, aber dennoch auch mit einem gewissen Grundinteresse an der deutschen Mannschaft und deren Abschneiden. Ein Austausch über Menschlichkeit, Gleichbehandlung, Boykottmöglichkeiten und Versäumnisse der Entscheidungsträger.

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Juliane Bauch ist Fußballliebhaberin. Seit vielen Jahren schon. Die Großereignisse wie Welt- oder Europameisterschaften hat sie bislang immer besonders gerne verfolgt. Vor allem die Spiele der deutschen Nationalmannschaft - und erst recht, wenn es dort so richtig zur Sache ging. Dieses Jahr - bei der WM in Katar - wird das anders sein. Zumindest vorerst. Bislang hat Bauch noch bei keinem WM-Spiel der seit Sonntag laufenden WM den Fernseher eingeschaltet. Auch die deutschen Partien werde sie mindestens in der Vorrunde, vielleicht aber auch komplett, boykottieren.

Bauch ist enttäuscht, sauer, verärgert, aufgeladen. Aus vielen Gründen. „Die Entwicklung des Fußballs geht in eine drastische Richtung. Und damit meine ich nicht einmal die Gelder und Gehälter. Dass sich die Fifa momentan so zurückhält und nicht mit dem Zeitgeist geht, finde ich ganz schwierig. Das hat nichts mehr mit Menschlichkeit zutun, wenn in Katar Leute gefoltert werden und die Fifa das ignoriert“, weist Bauch auf verschiedene Kritikpunkte rund um das Thema Katar hin. Katar steht seit Jahren in der Kritik, gegen verschiedene Menschenrechte zu verstoßen. Tausende Menschen sollen beim Bau der neuen WM-Stadien ums Leben gekommen sein, zudem zeigte sich der katarische WM-Botschafter Khalid Salman zuletzt offen homophob und frauenverachtend, bezeichnete Homosexualität als „geistigen Schaden“. Dennoch hat die Fifa die WM-Vergabe in das arabische Land nicht zurückgenommen - und ist zuletzt immer wieder selbst ins Kreuzfeuer der Kritik geraten.

All dies hat Bauch dazu verleitet, von ihrer Leidenschaft, vom großen WM-Turnier Abstand zu gewinnen. Als sie die Zitate von Khalid Salman gehört habe, sei sie „durchgedreht“. „Das hat mich so sauer und aggressiv gemacht. Ich bin ja ohnehin ein impulsiver Mensch. Ich konnte nicht verstehen, wie der Botschafter so ungebildet und verfangen in seinem System sein kann.“ Auch die zuletzt entfachte Debatte um die „One-Love-Kapitänsbinde“, die unter anderem DFB-Keeper Manuel Neuer als Zeichen der Toleranz tragen wollte, habe Juliane Bauch zur Kenntnis genommen. Bekanntlich hat die Fifa Sanktionen angedroht, sollten Fußballer diese Binde tragen. Der DFB machte einen Rückzieher - zum Ärger von Bauch.

„Ich fand es schon schwach, dass die ursprüngliche Regenbogen-Binde durch die One-Love-Binde ersetzt wurde. Das ist doch das Zeichen für unsere Szene, für die gleichgeschlechtliche Liebe und für Toleranz“, sagt Bauch. Dass es nun eine komplette Abkehr von der Binde gebe, könne Bauch aus DFB-Sicht nicht nachvollziehen. Ohnehin habe Bauch das Gefühl gehabt, dass für den DFB die Kapitänsbinde ausgereicht habe, um die entsprechenden Werte zu demonstrieren. „Ich hätte mir da im Vorfeld einfach eine noch klarere Positionierung gewünscht“, sagt sie.

Dennoch habe Juliane Bauch - und das wirkt überraschend - Verständnis für die deutschen Spieler vor Ort, die nun nicht die Binde tragen würden. „Das sind Fußballer, für die ist die Teilnahme an der WM das größte. Das ist eine Mannschaft, die einen Traum hat“, sagt Bauch, sicherlich auch mit ihrem Fußballerherzen, das in diesem Moment ganz laut schlägt. Sie äußert aber einen Wunsch an die Spieler: „Ich würde mir wünschen, dass die Deutschen bei ihren Toren gar nicht jubeln und einfach ihre Show stumm abziehen. Wenn sie wirklich Weltmeister werden sollten, dann könnten sie ja eine Regenbogenflagge unter ihrem Trikot hervorholen und damit jubeln“, sagt Bauch.

Apropos Finale, K.o.-Runde: Wie weit geht der Boykott für Bauch? Das ganze Turnier über? Die Fußballerin ist hin- und hergerissen. „Für mich ist momentan ganz klar, dass ich die WM nicht gucken kann, sie steht nicht für meine Normen und Werte. Ich mache das aus Prinzip und hoffe auch, dass durch weniger Zuschauer ein Wachrütteln der Fifa stattfindet. Ich glaube aber nicht, dass die Fifa das interessiert“, sagt sie. Die deutschen Spiele wolle sie maximal im Endergebnis verfolgen. Doch wenn das deutsche Team überzeugen sollte und beispielsweise das Viertelfinale erreicht, dann fällt der Torhütern ein Verzicht mehr und mehr schwer.

„Das mache ich auch vom Umfeld abhängig. Ich habe auch viele homosexuelle Freunde, die momentan die WM auch nicht gucken. Wenn mich alle überreden wollen in meinem Umfeld, dann möchte ich nicht der Spielverderber sein“, sagt Bauch, wobei sie damit auch nicht so sehr im Reinen wäre. Es ist ein Zwiespalt, der die Torhüterin plagt und die Faszination für den Fußball ein großes Stückchen kleiner werden lässt.

Mit Blick auf die Zukunft hofft Juliane Bauch, dass gleichgeschlechtliche Liebe weltweit akzeptiert und respektiert wird. In Deutschland sehe sie da schon gute Entwicklungen. „Auch dass wir die Gender-Debatte haben, finde ich wichtig“, so Bauch. Was sie sich persönlich noch wünschen würde, wäre ein sensibler Gebrauch von Sprache. Wörter wie „lesbisch“ oder „schwul“ lehnt Bauch ab. „Ich möchte in einer Welt leben, in der all diese Themen zur Normalität werden.“ Und in der Menschlichkeit regiert, die nämlich liege Bauch in dieser gesamten Debatte am meisten am Herzen.

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