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Enrico Maaßen übernimmt die BVB-U23 - schon Niko Kovac war begeistert
Fußball-Regionalliga
Nach Informationen der Ruhr Nachrichten wird Enrico Maaßen neuer Trainer der U23-Mannschaft von Borussia Dortmund. Wer ist dieser Mann und woher kommt er?
Rigo Gooßen hatte plötzlich eine Idee. Der Präsident vom SV Drochtersen/Assel fahndete im Sommer 2014 nach einem Trainer für seine Oberliga-Auswahl. Dem Verein aus dem niedersächsischen Landkreis Stade fehlte ein Frontmann. Gooßen musste sich deshalb etwas überlegen – und kam letztlich auf einen Angestellten aus den eigenen Reihen: Enrico Maaßen.
Der damals 30-Jährige gehörte eigentlich zum Spieleraufgebot. Durch Verletzungen wurde er jedoch immer wieder lahmgelegt. Also schlug ihm Gooßen den Chefposten vor. Dieser Einfall erwies sich als ebenso richtiger wie wichtiger Schritt. Maaßen, der einstige Mittelfeldspieler, präsentierte sich zügig als aufstrebender und talentierter Übungsleiter.
„Seine Ansprache war sehr gut, er hat die Truppe gleich hinter sich versammelt“, erinnert sich Gooßen. An „Enno“, wie dieser Trainer mit der auffallenden Sturmfrisur häufig genannt wird, sei ihm aufgefallen, „dass er jüngere Generationen vereinnahmen kann. Er hat sie bereits als Spieler angeführt. Weil sich unsere fußballerischen Ansichten ähnelten, schlug ich ihm den Trainerposten vor.“
Enrico Maaßen entwickelt schnell „einen engen Draht“ zu seinen Spielern
Als aktiver Sportler hatte es Maaßen bis in die Regionalliga geschafft, stand unter anderem bei Hansa Rostock II, dem SC Verl und Drochtersen/Assel unter Vertrag. „Dass er so schnell nach der eigenen Karriere als Trainer anfangen sollte, hat ihn wohl ein wenig überrascht“, glaubt Gooßen. Viel Bedenkzeit indes sei nicht nötig gewesen. „Enno hat schnell zugesagt.“
Von Tag eins, so erzählt es der Klubboss von Drochtersen/Assel, habe er „die Jungs akribisch und detailliert trainiert und vorbereitet“. Seinerzeit leitete Maaßen nebenbei noch den Fitnessclub „KörperZeit“ im Elbstrand-Resort, einem Appartement-Hotel, das unter anderem D/A-Präsident Gooßen gehört. „Im Nachhinein denke ich“, sagt er lachend, „dass Ennos dortige Arbeitszeit häufig für den Fußball draufging.“
Warum? Er sei doch immer verblüffend gut vorbereitet am Trainingsgelände vorgefahren, betont der im hohen Norden durchaus bekannte Geschäftsmann und Steuerberater. Maßen habe stets klare Ideen und ausgearbeitete Plänen präsentiert, so Gooßen. Darüber hinaus sei es ihm in Windeseile gelungen, „einen engen Draht“ zu seinen Spielern zu knüpfen. „Sie waren bereit, für Enno über ihre Leistungsgrenze zu gehen.“
Enrico Maaßen arbeitet seit 2018 hauptberuflich als Trainer
In Maaßens Premierensaison gelang dann auch sogleich der Aufstieg in die Regionalliga Nord. „Das hatten wir uns zwar gewünscht und unser Team auf verschiedenen Positionen verstärkt“, erklärt Goosen. „Trotzdem war dieser Erfolg natürlich nicht planbar.“ In Gänze spricht der oberste D/A-Verantwortungsträger von einer „sehr guten Zusammenarbeit mit Enno“ und einer „sehr positiven Bilanz“.
Der SV Drochtersen sei „eher dörflich gelegen“, erläutert Gooßen. Für diesen Verein aus dem Kehdinger Land, einem Marsch- und Moorgebiet zwischen Hamburg und Bremen, „ist die Regionalliga immer ein Abenteuer. Mit Enno haben wir uns dort äußerst gut behauptet. Das war nicht unbedingt selbstverständlich.“
Insgesamt betreute Maaßen das D/A-Kollegium drei Regionalliga-Spielzeiten, ehe er die nächste Aufgabe in Angriff nahm. 2018 wechselte er zum SV Rödinghausen, der seit längerem von einem regionalen Küchenhersteller monetär unterstützt wird. Erstmals konnte Maaßen da hauptberuflich als Fußballtrainer arbeiten, den Umzug in den ostwestfälischen Kreis Herford beschrieb er später als „Grundsatzentscheidung für mich und meine Familie“.
Enrico Maaßen wurde schon von Niko Kovac gelobt
Der in Mecklenburg-Vorpommern aufgewachsene Mann setzte seine Erfolgsserie unbeirrt fort. Auf das bundesweite Radar gelangte er vor allem im Oktober 2018, als er mit seinem Team in der 2. Runde des DFB-Pokals auf Bayern München traf. Zuvor hatte Rödinghausen Dynamo Dresden aus dem Wettbewerb geschossen (3:2), dann kam der deutsche Rekordmeister.
Weil das Stadion im sogenannten Wiehendorf nicht den Anforderungen des Deutschen Fußball-Bundes entsprach, musste Trainer Maaßen mit seiner Mannschaft nach Osnabrück umziehen. Der originäre Heimvorteil war dahin, trotzdem lieferten die Seinen ein Duell, das Eindruck hinterließ.

Enrico Maaßen und der damalige FC Bayern-Trainer Niko Kovac nach dem Pokalspiel. © picture alliance/dpa
Es war ein ungemütlicher, nasskalter Abend an der Bremer Brücke, Wind und Regen peitschten herab. Während einige Journalisten nach der Halbzeitpause bibbernd im Presseraum blieben und sich die Profis aus München auf der Ersatzbank in dicke Decken hüllten, stand Maaßen unentwegt an der Seitenlinie, dirigierend, motivierend. Der Vortrag seiner Mannschaft schien ihn regelrecht zu erwärmen.
Gleich drei Großchancen erspielte sich Rödinghausen, verlor nur knapp mit 1:2. Auf der anschließenden Pressekonferenz verteidigte der zu dieser Zeit noch amtierende FCB-Coach Niko Kovac erst seine Akteure. Dann lobte er den unterklassigen Gegner und Kollege Maaßen. Dass der an diesem Abend seine Premiere auf ganz großer Bühne feierte, war ihm nicht anzumerken.
Maaßen ist bei Rödinghausen kein Louis van Gaal
„Danke für die Blumen, Niko“, erwiderte er kurz lächelnd und präsentierte seine Analyse anschließend gewohnt eloquent. Maaßen redete doppelt so lang wie der prominente Sitznachbar. Dem SV Rödinghausen im Ganzen und seinem Trainer im Speziellen gehörte dieser Tag.
„Alles verlief wie im Film“, rekapituliert Daniel Flottmann, der Kapitän des SVR. „Enno hat die gesamte Zeit einfach nur Vorfreude ausgestrahlt. Er hat uns nicht unnötig heiß gemacht, ist ganz ruhig geblieben.“ Maaßen sei ein Trainer, der „ein gutes Gefühl für den Moment hat“, so Flottmann. „Er wusste immer, wie er uns anpacken musste.“
Wenn Rödinghausen mal zur Pause zurücklag, habe er „nicht draufgehauen“, berichtet der Innenverteidiger. „Wenn wir aber führten, hat er uns gern darauf hingewiesen, dem Gegner erst gar keine Chance mehr zu lassen.“
Rödinghausens Geschäftsführer Alexander Müller bescheinigt Maaßen denn auch „ausgeprägte Empathie“ und „gute Menschenführung“. Er sei nicht unbedingt ein Kumpeltyp, „ist aber auch nie wie Louis van Gaal aufgetreten. Enno hat eher einen Mittelweg gefunden.“ Zwischen laissez-faire und top-down.
Lob aus Rödinghausen: „Ein moderner, taktisch variabler Coach“
„Wer Bock auf die Aufgabe hatte, der wurde mitgenommen“, ergänzt Flottmann. Jeder Spieler sei auf Verbesserungspotenzial hingewiesen worden. „Selbst ich in meinem fortgeschrittenen Alter habe von Enno noch einiges lernen können.“ Vor allem im Angriffsverhalten wurde der Defensivspieler von Maaßen gefördert. „Er war der erste Trainer, der mir verschiedene Offensivzyklen beigebracht hat.“ Taktische Feinheiten seien das gewesen, der richtige Pass ins Mittelfeld oder die korrekte, für die Spieleröffnung bestmögliche Positionierung in letzter Abwehrreihe.
Diese Elemente forderte Maaßen von Zeit zu Zeit immer mehr ein. „Als er zu uns kam, hatten wir viele Gegentore kassiert. In den ersten Monaten haben wir deshalb eher defensiv gespielt, häufig im 3-4-3 mit sehr klarem Pressing- und Konterfußball. Nach der Winterpause haben wir uns dann dem Ballbesitzfußball gewidmet“, erklärt Flottmann. Fortan sollte es gepflegt von hinten heraus nach vorne gehen. „Dieses wilde Spiel, was wir zuvor praktiziert haben, ist irgendwann verschwunden.“
Maaßen sei ein „moderner, taktisch variabler Coach“, befindet Geschäftsführer Müller. „Wir konnten auf den Gegner oder den Spielstand reagieren, hatten mehrere Systeme eingeübt.“ Flottmann spricht von einer „deutlichen fußballerischen Entwicklung“ innerhalb der knapp zweijährigen Zusammenarbeit. Final spielte der SVR oftmals dominanten, souveränen Fußball, entweder mit Dreier- oder Viererabwehrreihe. Und großem Erfolg.
Maaßen verlässt Rödinghausen ein Jahr vor Vertragsende
In der aktuellen Regionalliga-Runde, die höchstwahrscheinlich Corona-bedingt abgebrochen wird, ist die Mannschaft klar auf Platz eins positioniert, hat 66 Tore erzielt (durchschnittlich 2,54 pro Spiel) und nur 19 Treffer kassiert (0,73). Der Punkteschnitt, der dabei erwirtschaftet wurde, liegt bei 2,4. Es ist eine herausragende Bilanz. Für den Verein. Und für Maaßen, den Mustertrainer.
„Wenn man Leistung bringt“, sagt Flottmann, „wird man dafür belohnt. Ich weiß nicht, was Enno in den zwei Jahren hätte besser machen sollen.“ Nur folgerichtig sei es, dass er nach all den Siegen in der Liga, nach dem Westfalenpokaltriumph 2019 und den Überraschungen im DFB-Pokal „jetzt den nächsten Schritt machen will.“ Intern habe er aus seinen Zielen zudem keinen Hehl gemacht.
Als Rödinghausen Mitte Februar vermeldete, sich aus wirtschaftlichen Gründen nicht um die Drittliga-Lizenz zu bewerben, dämmerte es Flottmann und Kollegen darum recht schnell: Die Mission ihres so geschätzten Trainers war an dieser Stelle beendet. Maaßen, seit je ambitioniert und ehrgeizig, will höher hinaus. Darum verließ er Rödinghausen ein Jahr vor Ablauf seines Arbeitspapiers.
„Ich traue ihm so ziemlich alles zu. Ein Trainertyp wie er ist ohnehin viel gefragt“, meint Flottmann. Und Maaßen-Entdecker Goosen sagt: „Fußballfachlich und menschlich bringt er einiges mit, um sehr weit zu kommen.“ Entscheidend werde, „ob es Enno gelingt, mit Druck umzugehen. Bei uns in Drochtersen war es sehr familiär, hier hatte er die hundertprozentige Unterstützung, in Rödinghausen war es wohl ähnlich.“ Goosen fragt sich: „Wie kommt Enno im Haifischbecken klar? Und wie geht er damit um, wenn er bei einem größeren Verein nicht so sehr schalten und walten kann, wie in den ersten Jahren seiner Trainerlaufbahn?“
Maaßen baute sich sein Rödinghausen-Team selbst zusammen
Beim SV Drochtersen und in Rödinghausen war Maaßen unmittelbar ins Transfergeschehen involviert. „Er hat sich seine Truppe in mehreren Transferperioden zusammengestellt“, erklärt SVR-Kapitän Flottmann. „Die menschliche Komponente zählte da manchmal mehr als die fußballerische Qualität. Enno wollte ein funktionierendes Team haben.“ Und baute es sich - in Kooperation mit Geschäftsführer Müller - höchstselbst zusammen.
Nun beginnt für den vielgelobten Trainer eine neue Zeitrechnung. In verschiedener Hinsicht. Denn bei Borussia Dortmunds U23, die er ab der kommenden Saison laut Informationen dieser Redaktion übernehmen wird, warten völlig andere Herausforderungen. Dort gilt es, zuvorderst junge Spieler auszubilden und wettkampffähig zu machen. Auf einen alten, erfahrenen Kern wie in Rödinghausen kann Maaßen dabei nicht zurückgreifen.
Klopp und Favre sind Vorbilder für Maaßen
Außerdem ändert sich das BVB-II-Aufgebot Jahr für Jahr ganz radikal. Der neue Coach wird bei verschiedenen Personalfragen zwar mitreden dürfen, sein Engagement in diesem Bereich allerdings minimieren müssen. Maaßen, der die Fußballlehrer-Ausbildung kürzlich erfolgreich abgeschlossen hat, steht in der Pflicht, sich an diese besonderen U23-Gegebenheiten anzupassen. Das ist die Prämisse, um den Job zu machen.
Als Vorbilder nannte er vor Jahren mal Jürgen Klopp und Lucien Favre. Er war da 30 Jahre jung, Präsident Goosen hatte ihn beim SV Drochtersen gerade auf den Trainerstuhl gehoben. Der Aufstieg, den Maaßen seither mit seinen Teams und höchstpersönlich vollzog, ist bemerkenswert. Seinem (früheren) Idol Favre wird er deshalb wohl alsbald zuarbeiten dürfen – und in der Fußballstadt Dortmund an einem neuen Karrierekapitel arbeiten.
Goosen schaut aus der Ferne zu. „Ich gönne ihm jeden Erfolg“, sagt er. Der „Enno“, der werde seinen Weg schon gehen.
Schreibt seit 2015. Arbeitet seit 2018 für die Ruhr Nachrichten und ist da vor allem in der Sportredaktion und rund um den BVB unterwegs.
