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Ehemalige Konkurrentinnen: Sechsfache Deutsche Meisterin Hartmann nimmt Ukrainerin Krevsun auf
Leichtathletik
Jahrelang kämpften sie auf der Laufbahn gegeneinander um Medaillen. Doch als der Krieg in der Ukraine ausbrach, musste Jana Hartmann nicht lange überlegen. Sie lud ihre frühere Konkurrentin ins sichere Dortmund ein.
Eines stellt Jana Hartmann gleich am Anfang des Gesprächs klar: „Es geht hier nicht um mich. Es ist doch selbstverständlich, dass wir angesichts der Schrecken des Krieges helfen.“ Gerade sitzt die 40-Jährige, die als Leistungssportlerin sechsfache Deutsche Meisterin über 800 Meter war und die deutschen Farben auch auf der internationalen Bühne vertrat, mit ihrem Gast Yuliya Krevsun in einem Café in der Dortmunder Innenstadt. Die beiden Frauen waren früh aufgestanden, wollten das Anmeldungs-Prozedere beim Sozialamt in Dortmund hinter sich bringen und landeten in einer Fünf Stunden-Warteschlange. „Das war dann doch zu viel“, sagt Jana Hartmann und lacht. Dan eben am nächsten Tag.

Yuliya Krevsun (2.v.l.) war Siebte der Olympischen Spiele 2008 in Peking. © picture alliance / dpa
Dies ist die Geschichte einer die Grenzen sprengenden Kameradschaft, die zeigt, dass Sport so viel mehr ist als der Kampf um schnelle Zeiten, Medaillen, Ruhm und Ehre. Er verbindet die Völker, die Menschen. Jana Hartmann hatte zu aktiven Zeiten eine Marotte, sie sammelte die Trikots ihrer Kontrahentinnen. Nur von Yuliya Krevsun, die für die Ukraine Olympia-Siebte 2008 in Peking wurde, da hatte sie keines. „Wir sind all die Jahre locker in Verbindung geblieben, auch vor acht Jahren, da war in der Ukraine schon einmal Krieg“, erzählt Hartmann.
„Pack Deinen Sohn ein und komm“
Als Russland am 24. Februar 2022 die Ukraine überfiel, musste die Dortmunderin nicht lange überlegen: „Ich hab sie angefunkt und gesagt: Pack Deinen Sohn ein und komm nach Deutschland, komm zu uns“. Krevsun, die in der Nähe der Hauptstadt Kiew wohnt und deren Mann Serhiy nicht ausreisen durfte, überlegte zunächst, packte dann aber ein paar Sachen zusammen und machte sich mit ihrer Schwester, Sohn Danil (16) und zwei Reisetaschen auf dem langen Weg gen Westen. Drei Tage waren sie unterwegs, setzten die Schwester in Warschau ab und bogen nach 52-stündiger Fahrt und 2000 Kilometern in Dortmund von der Autobahn ab.
Jana Hartmann, die mit ihrem Mann Marcus Hoselmann die Sport- und Gesundheitsagentur upletics gründete und damit ihrem Metier treu blieb, räumte daheim das Spielzimmer ihrer Tochter Lotta aus, baute Betten auf und schuf für ihre Gäste ein klein wenig Heimat fern der Heimat. „Es ist unser Familienprojekt, jetzt sind wir ein paar mehr am Frühstückstisch“, sagt die energiegeladene Dortmunderin, deren Tag aktuell gern 48 Stunden haben dürfte. Schließlich arbeitet sie noch in Teilzeit als Bundespolizistin am Dortmunder Flughafen.
Ihr Chef hat Jana Hartmann sofort zwei freie Tage gewährt, die ausgefüllt waren mit dem Abarbeiten einer langen Checkliste mit Behördengängen, Anträgen etc.pp. Die sprachliche Barriere - Yuliya Krevsun spricht nur wenig englisch - überwindet das Handy. „Google translate ist gerade unser bester Freund“ , lacht die Dortmunderin und berichtet von „großer Dankbarkeit“ ihrer ukrainischen Gäste. Täglich telefoniert Krevsun, die als Athletiktrainerin beim Fußballklub Shakhtar Donetsk gearbeitet hatte, mit ihrem Mann, der vor Ort Freiwilligendienst leistet, bekommt aus erster Hand Berichte und Bilder des Grauens. Die Sorge ist groß.
Probetraining bei Borussia Dortmund
Sohn Danil ist Nachwuchskicker bei Shakhtar. „Für Yuliya war es besonders wichtig, dass ihr Sohn hier schnellstmöglich in einen bekannten Rhythmus kommt“, sagt Hartmann, die ihre Kontakte zu DFB-Nachwuchscoach Hannes Wolf spielen ließ. Kurz darauf durfte der 16-Jährige bei der U17 des BVB vorspielen - und bekam jetzt die Nachricht der Schwarzgelben: Er darf bleiben. Ein Zeichen der Hoffnung, der Normalität in Zeiten, in denen nichts mehr normal ist, in der die Welt ins Wanken gerät. Und genau hier verbindet Sport - und kennt keine Grenzen.
Die Liebe zum Sport im Großen wie im Kleinen und die Liebe zum Schreiben führten 1988 direkt in die Sportredaktion des Medienhauses Lensing. Persönliche journalistische Highlights: die Berichterstattung von den Olympischen Spielen 2000 in Sydney und 2008 in Peking. Immer noch mit Begeisterung am Ball.
