Durst über Rio, schöne Momente und die Zukunft

Paralympics

Zwei Wochen Rio de Janeiro, zwei Wochen Paralympics, zwei Goldmedaillen – Hans-Peter Durst ist seit einer Woche wieder zuhause in Dortmund und hat "noch nicht annähernd realisiert, was da eigentlich in Brasilien passiert ist", wie er im Gespräch mit Petra Nachtigäller verriet.

DORTMUND

, 28.09.2016, 08:23 Uhr / Lesedauer: 3 min
Die schönsten Rio-Momente im Rahmen: RN-Redakteurin Petra Nachtigäller überreichte Hans-Peter Durst beim Redaktionsbesuch eine Collage von Martin Klose.

Die schönsten Rio-Momente im Rahmen: RN-Redakteurin Petra Nachtigäller überreichte Hans-Peter Durst beim Redaktionsbesuch eine Collage von Martin Klose.

Der 58-Jährige packt beim Redaktionsbesuch zwei feinpolierte, ovale Schachteln aus Kokosnuss-Holz aus dem Rucksack, eingebettet darin jeweils eine schwere Goldmedaille, die beim Herausnehmen rasselt.

Wie stolz sind Sie auf diese beiden Goldtaler?

Stolz ist keine Kategorie für mich, ich empfinde ein schönes Gefühl, ein Glücksgefühl und unendlich viel Dankbarkeit für die Momente, die ich in Rio erleben durfte. Und mit gleich zwei Goldmedaillen habe ich vorher nicht rechnen können, mit einer hatte ich geliebäugelt. Irgendwie hat in Rio für mich alles gepasst, das Wetter war wie für mich gemacht, und selbst die gerade Zeitfahrstrecke, eigentlich nicht so mein Ding, war nach dem Sattel-Malheur genau die richtige. Drei, vier Kurven mehr, und ich hätte das Rennen aufgeben müssen.

Mit dem abgebrochenen Sattel im Zeitfahren haben Sie eine der Geschichten dieser Paralympics geschrieben, was war da los?

Damit konnte ich wirklich nicht rechnen, ich hatte mit meinem Mechaniker noch am Abend vorher jedes Schräubchen überprüft, umso überraschender war es, dass es im Rennen nach 500 Metern plötzlich „knack“ machte. Der Sattel hing am seidenen Faden, und ich habe versucht, ihn irgendwie zwischen die Po-Backen zu klemmen und es beim Fahren auszubalancieren. Das war extrem anstrengend, durch die Fehlbelastung tat mein rechtes Bein nachher ziemlich weh. Aber es hat ja am Ende doch gereicht.

Und, was passiert mit dem Sattel jetzt?

Mal sehen, vielleicht versteigere ich ihn für einen guten Zweck, ich habe da die „Tour der Hoffnung“ im Hinterkopf, an der ich in diesem Jahr ja wegen Rio nicht mitfahren konnte.

Wie geht es Ihnen jetzt, haben Sie alles verarbeitet?

Ich schlafe grundsätzlich nicht gut, aber momentan besonders schlecht, denn da läuft ein ständiges Kino im Kopf ab mit den vielfältigsten Eindrücken der letzten Wochen. Und auch der Rummel jetzt in Dortmund ist enorm, aber im Oktober habe ich ja mehr Ruhe.

Warum?

Ich gehe vier bis fünf Wochen stationär in eine Reha-Klinik im Schwarzwald, werde dort medikamentös umgestellt. Das ist eine vorgeschriebene Maßnahme der Berufsgenossenschaft, die ja sozusagen mein Arbeitgeber ist, weil sie meine Unfallrente zahlt. Eigentlich soll diese Maßnahme alle vier Jahre erfolgen, aber wegen meiner beiden Paralympics-Teilnahmen in London 2012 und jetzt sind irgendwie sieben Jahre daraus geworden. Es wird also höchste Zeit.

Was war für Sie der emotionalste Moment in Rio?

Ach, da sind so viele tolle Momente, aber sicher war es die Siegerehrung nach dem Zeitfahren, das ja durch den defekten Sattel eine besondere Brisanz hatte. Ich stand auf dem Podest, und plötzlich tauchte meine Tochter Katharina hinter mir auf. Sie hatte sich in ihrem jugendlichen Leichtsinn durch die Absperrungen gemogelt, obwohl überall Polizisten mit Maschinengewehren standen. Wirklich verrückt. Oder nach meinem Sieg im Straßenrennen, als plötzlich mehrere Dortmunder Freunde des Inklusions-Vereins „Sportkinder“, für den ich als Rad- und Lauf-Trainer arbeite, im Zielbereich warteten. Ich dachte, ich sähe eine Fata Morgana (lacht).

Die Paralympics in Rio standen aus finanziellen Gründen noch kurz vor dem Start auf der Kippe. Welche Eindrücke haben Sie mitgenommen?

Ich habe so tolle Menschen kennengelernt, dass ich auf jeden Fall in zwei Jahren mit meiner Familie noch einmal hinfahre. Wir wurden vom Behindertensportverband vor der Abreise nach Rio auf alle möglichen Horrorszenarien vorbereitet, nichts davon ist eingetreten. Die Volunteers waren supernett und hilfsbereit, die Transferbusse standen bereit, das Verpflegungszelt war 24 Stunden am Tag geöffnet, bot Essen von allen fünf Kontinenten, sogar vegan oder vegetarisch. Und dass mal ein Klodeckel abbricht oder das Duschwasser braun ist, darauf kann man sich einstellen.

Ein Blick nach vorn: Ist Tokio 2020 eine Option für Sie?

(lacht) In Tokio war ich auch noch nicht ... Aber es hängt von vielen Dingen ab: Erstens von der Familie und den Freunden, ob die mit mir noch einmal vier entbehrungsreiche Jahre gehen wollen, dann natürlich von meiner Gesundheit. Und ob das tolle Trainerteam in Köln bei der Stange bleibt. Und letztlich ist es auch eine Frage des Geldes.

Über das man bekanntlich ja nicht spricht, aber verraten Sie uns: Was kostet Sie so ein Paralympics-Abenteuer?

Wenn man die Trainingslager, die Fahrten zu den Wettkämpfen, das Material rund ums Spezial-Dreirad und andere Maßnahmen nimmt, kommen in vier Jahren schon etwa 50 000 Euro zusammen. Das lässt sich für mich natürlich nicht einfach nebenbei stemmen. Ich war und bin für jede Unterstützung dankbar. Aber jetzt schaue ich erst einmal, dass ich Rio verarbeite.