
© Nils Foltynowicz
Dortmunder Fußballmannschaft vom Borsigplatz sorgt für afrikanisches Flair in der Kreisliga
Fußball-Kreisliga
Eine Dortmunder Fußballmannschaft poliert das Image ihres Klubs auf – mit Reggae-Musik, einer familiären Atmosphäre und kiloweise Hähnchenfleisch. „Air Force One“ sorgt für die gute Stimmung.
Air Force One ist gelandet, die Party kann beginnen. Fußball zu Reggae-Musik, nur lachende Menschen, tobende Kinder, begeisterte Anhänger, kiloweise Hähnchen auf dem Grill. Dieses Schauspiel sonntagmorgens ist der perfekte Wachmacher für einen Tag in einem sich neu erfindenden Verein.
Dieser zweiwöchentliche positive und einzigartige Wahnsinn schüttelt die ÖSG Viktoria, die lange ein eher biederes Image hatte, mächtig durch. Und die herrlich verrückte dritte Mannschaft hat jetzt sogar auch noch Erfolg. Gut, das Spitzenspiel gegen den SC Husen-Kurl III verlor sie jetzt, aber an der einzigartigen Stimmung ändert das 1:3 wenig.
ÖSG Viktoria Dortmund: Stammesnamen bei der dritten Mannschaft
Wäre auch zu schade gewesen. Plan für diese Geschichte war, dass gefühlt fast jeder Spieler dieser Mannschaft den Nachnamen Diallo trägt. Aber das ist fast die sich am gewöhnlichsten erklärende Besonderheit der Dritten der Viktoria.
„Das ist ein Stammesname, den hat bei uns fast jeder“, erklärt Omar Bah. „Auch den Namen Bah gibt es bei uns in Guinea sehr häufig, oder Barry. In Nigeria oder anderen Ländern wird aus Bah auch Ba oder aus Diallo Djalo.“ Das sei doch alles ganz einfach und für Afrikaner auch völlig normal. „Da sind gar keine Brüder oder Verwandte bei. Die heißen alle einfach so.“

Coach Mo trainiert die Mannschaft. © Nils Foltynowicz
Omar, wie er im normalen Leben genannt werden möchte, sitzt vor dem Training – zweimal die Woche treffen sie sich – am Tisch mit einigen in Afrika geborenen Fußballern und Trainer Mamadou Aliou „Mo“ Bah. Immer wieder wechseln sie ins Fula, ihrer Sprache, um zu klären, was sie als nächstens erzählen möchten.
Omar und Mo sind die Gesichter, die aus dem Diallo- oder Bah-Team mehr machen als eine Geschichte über Namensgleichheiten. Denn Omar ist Air Force One. „Wenn ich komme, wird es lustig“, sagt der, ja, was ist er eigentlich?
ÖSG Viktoria Dortmund: Reggae beim Kreisliga-Fußball
„Supporter“, erklärt er und zeigt auf seinen Kumpel: „Jah Sala und ich sind immer dabei und helfen.“ Aber er, der Mensch gewordene Präsidentenjet der ÖSG ist mehr. Er sorgt für Musik. „Wir lieben Reggae.“ Und so werden aus Fußballern instinktiv Tänzer. Treffen die Diallos oder die Kollegen aus Guinea, Nigeria und weiteren Staaten, erinnert Air Force One an einen Brasilianer.
Sein Tor-Ruf ist einmalig, besonders aber lang. Erst ein paar schnelle Sätze auf Fula. Dann: „Gooooooooooool!“ Dann die Partymusik. Und der vor ein paar Jahren fast vom Aussterben bedrohte Verein tanzt.
Er tanzt auch während der Spiele, nach den Spielen, am Grill und während der Kicks der ersten und zweiten Mannschaft. Björn Koch, in der ersten Mannschaft kickendes Vorstandsmitglied, lacht, genießt die ausgelassene Stimmung im Vereinsheim und sagt: „Fußball zu Reggae, das ist so schön entspannend. Du nimmst das Ganze sofort viel lockerer. Toll, dass die Jungs mit Frauen und Kindern tatsächlich bis zum Nachmittag bleiben.“
Dies ist keine Geschichte über Menschen, die im Leben nicht viel zu lachen haben und die im Fußball ihr Ventil haben. „Ach was“, sagt Air Force One, der Kraftfahrer ist. „Ich mag meinen Job. Wir arbeiten alle während der Woche mit Freude. Aber der Sonntag ist dann reserviert für Spaß und Lebensfreude, ohne Arbeit“, erklärt er seine Sicht der Dinge.
ÖSG Viktoria Dortmund: Mannschaft am Borsigplatz zusammengetrommelt
Nein, sie hadern nicht. Selbst wenn Coach Mo erklärt, er habe diese Truppe rund um den Borsigplatz zusammengetrommelt. Und dass der Borsigplatz nicht nur ein glorifiziertes schwarz-gelbes, sondern für manchen Anwohner auch hartes Pflaster ist, wissen die meisten Dortmunder. Aber die Sorgen sind in den Leben dieser Fußballer ganz weit weg.
„Wir haben immer gerne gekickt“, sagt Mo. „Dann dachte ich, wir machen eine Mannschaft auf.“ Noch ein Omar, einer, der für die ÖSG kickte, war der Kontaktmann. „So kamen die Jungs zu uns“, sagt Björn Koch, der mit einigen jüngeren Mitstreitern den Verein neu aufstellt. Er passt übrigens auch namenstechnisch gar nicht schlecht in die Runde der Diallos und Bahs. Kochs sind in Deutschland ja auch nicht gerade selten.

Die ÖSG Viktoria III hat am Wochenende gegen den SC Husen Kurl III gespielt. © Nils Foltynowicz
Vor Björn Kochs Zeit war es gar nicht unüblich, dass Kinder vom Borsigplatz oder Hoeschpark zur ÖSG gingen. Der Verein im Nordwesten Körnes lag günstiger als die Nordstadtklubs Merkur oder SC Dortmund. Ja, die ÖSG war sogar lange ein echt attraktiver Verein.
Trotz Kunstrasens machten in Sachen Popularität aber in Körne der TuS und später auch der SV das Rennen. Und damit auch das Rennen um die Kinder der Nachbarschaft. Im Dortmunder Norden entstehen ständig neue Klubs, die Verbindungen sind besser. Die richtig guten Talente setzten sich eben in die Stadtbahn und fahren nach Hombruch oder zum TSC Eintracht.
Für diese Hintergründe bleibt an diesem Abend keine Zeit. Sie sind jetzt einfach da und leben im Jetzt. Und sie feiern im Jetzt. Bevor der Trainer etwas erzählt, funkt Air Force One noch einmal dazwischen. „Air Force One ist für alle da.“ Dann dieses Lachen. Es kündigt seinen nächsten Spruch an: „Björn, für euch spiele ich auch Helene Fischer.“
Atemlos sind die Männer aber höchstens durch das schnelle Sprechen. Der Coach sagt: „Hier geht es um Spaß, nur um Spaß. Und mittlerweile habe ich es dabei sogar hinbekommen, den Jungs ein System zu verpassen.“ Nach zwei Jahren im Mittelfeld starten Air Force One und Team im Linienflug an die Tabellenspitze.
ÖSG Viktoria Dortmund: Spielklasse nicht wichtig
„Kein Wunder“, findet Björn Koch: „Die könnten eigentlich alle auch in der ersten Mannschaft in der B-Liga kicken.“ Das aber ist nicht der Plan des Vereins. Von Plänen hält die Dritte auch gar nichts. „Das sind unsere Afrikaner, die schon lange in Deutschland leben und hier zusammen kicken wollen. In der Vierten kicken auch noch unsere Latinos.“
Ganz einfach: Fußball auf dem Platz mit Freunden unter sich. Danach aber vermengt es sich zu einem vielfältigen Gemisch aus Studenten, ein paar ewig treuen Rentnern, Afrikanern, Latinos und deren Familien.
Dieser Text könnte eine Botschaft haben: „Vorbildlich, nachahmenswert!“ Aber das klingt fast schon zu pädagogisch. Natürlich gibt es auch schon mal ein paar Streitigkeiten mit Schiedsrichter und Gegnern. „Wir sollten mal die Musik ausmachen.“ Da haben Schiri und Gegner aber ihre Rechnung ohne Air Force One gemacht. „Ich habe sie gefragt, was sie gerne hören. Dann habe ich es eben gespielt.“
Besser als jede Botschaft beschreibt es vielleicht der Begriff „ansteckend“. Denn diese Jungs reißen alle mit. Björn Koch kann sein eigenes Lied davon singen: „Ich habe beim Fußball noch nie in meinem Leben so viel Hähnchen gegessen. Aber wenn ich dabei die Jungs tanzen und singen sehe und höre, Reggae, der Geruch vom Grill, dann bin auch ich glücklich.“ Ansteckend also!
Das letzte Wort aber soll Air Force One haben: „Schreib bitte, dass alle zu uns kommen sollen, sehen sollen, wie wir sind, wie wir den Fußball lieben.“ Jemand, der sich auch hat anstecken lassen, erfüllt diesen Wunsch gerne und verspricht, bald wiederzukommen.
Vielleicht auch zur Aufstiegsfeier! Kaum auszumalen, was dann abgeht. Dass dann im Kader fast nur Diallos und Bahs stehen, ist dann definitiv nur ein Teil der Randgeschichte. Fest steht: Am Anfang und Ende, darin sind sich alle einig, muss Air Force One stehen.
Dortmunder Jung! Seit 1995 im Dortmunder Sport als Berichterstatter im Einsatz. Wo Bälle rollen oder fliegen, fühlt er sich wohl und entwickelt ein Mitteilungsbedürfnis. Wichtig ist ihm, dass Menschen diese Sportarten betreiben. Und die sind oft spannender als der Spielverlauf.
