Gianluca Rizzo (v.) erzählt über seine Familie in Italien. © Bielefeld
Ein Brief eines BVB-Profis
BVB-II-Profi Rizzo: Es gibt sehr viele Infizierte und sehr viele Tote
Gianluca Rizzo ist zwar in Krefeld geboren, seine Eltern aber sind Italiener. In einem Brief beschreibt er seine eigene und auch die dramatische Lage seiner Familie in Italien.
von Gianluca Rizzo
Dortmund
, 25.04.2020 / Lesedauer: 5 minGianluca Rizzo kam in Januar 2018 vom FC Ingolstadt II zum BVB II. Der 23 Jahre alte Angreifer hat seitdem in 82 Spielen 11 Tore für Dortmunds U23 erzielt. Sein Vertrag läuft in diesem Sommer aus. Uns hat er einen Brief geschrieben, wie es ihm gerade geht und was seine Familie in Italien macht. Ein interessanter Einblick in sein Leben.
Hallo zusammen,
mein Tagesablauf ist eigentlich immer recht ähnlich. Ich versuche, einigermaßen früh aufzustehen, so gegen 8.45 Uhr, mache mir dann meistens einen Shake zum Frühstück und beginne mit dem Training. Wir kriegen jede Woche – entweder am Sonntagabend oder Montagmorgen - von unserem Athletiktrainer Alexander Ulbricht einen Plan, darüber hinaus habe ich noch einen Personal Trainer, der mir bestimmte Übungen stellt.
Das sind einige Laufeinheiten, Dehnungs- und Stabilitätsübungen. Ich versuche, alles relativ schnell durchzuziehen, bin meistens bis circa 15.30 Uhr damit beschäftigt. Häufig gehe ich danach noch ein wenig spazieren, koche mir abends etwas und spiele danach mit den Jungs an der Konsole, schaue fern oder arbeite an meinem IST-Zertifikat. Im Bereich Sportmanagement bilde ich mich nebenbei quasi per Fernstudium an der Düsseldorfer IST-Hochschule fort.
Meine Schwerpunkt liegen aktuell in der Spielanalyse und dem Scouting. Um mal einen kleinen Eindruck zu geben: Zuhause bei mir liegen vier Lehrbücher, die arbeite ich durch – und muss dann Online-Tests absolvieren. Im Bereich der Spielanalyse wird zum Beispiel nach Gegneranalysen gefragt. Ich muss sie vorbereiten, die Analyse-Schwerpunkte setzen und beschreiben, wie der Inhalt bestmöglich einer Mannschaft zu vermitteln wäre.
Wenn ich ehrlich bin, hänge ich da etwas zurück, hätte in den vergangenen Monaten schon mehr machen können. Demzufolge kann ich die fußballfreie Zeit nun produktiv nutzen. Aber natürlich: Mir wäre es viel lieber, wenn es das Coronavirus gar nicht gäbe – und ich ganz normal meiner Arbeit nachgehen dürfte. Mit den Jungs auf dem Platz und einem Ball am Fuß. Als Mannschaft haben wir uns seit mehr als fünf Wochen nicht mehr gesehen. Wohlgemerkt aus gutem Grund.
Denn mit dieser Erkrankung, mit COVID-19 ist definitiv nicht zu spaßen. Leider gibt es immer noch genug Menschen, die es nicht wirklich ernst nehmen. Ich aber meine und versuche auch in Gesprächen mit meinen Mitspielern deutlich zu machen, dass das Coronavirus eine echte Gefahr ist. Weil einige meiner Familienmitglieder in Italien wohnen, war ich schon früh dafür sensibilisiert, habe früh festgestellt, welche Auswirkungen die Pandemie haben kann.
Ich selbst bin in Krefeld geboren, meine Eltern sind Italiener. Seit einigen Jahren leben sie zwar schon in Deutschland. Meine Großeltern, meine Urgroßmutter und meine Cousins aber wohnen noch im Süden Italiens. Für sie und all die anderen Menschen im Land ist die derzeitige Lage äußerst kompliziert. Es gibt sehr viele Infizierte und sehr viele Tote. Die Menschen dort werden stark eingeschränkt, in ihrem Haus sind sie wie eingesperrt.
Mit meiner Oma und meinem Opa habe ich häufig telefonischen Kontakt. Sie warten in Italien gerade einfach nur ab, bis alles vorüber und ausgestanden ist. Als ich zum ersten Mal die furchtbaren Bilder aus den italienischen Krankenhäusern gesehen habe, als ich gesehen habe, wie knapp beispielsweise die Beatmungsgeräte in einigen Orten waren, habe ich mir Sorgen gemacht. Schließlich fehlt noch die große Lösung für dieses große Problem.
Weder in Italien ist sie vorhanden noch sonst irgendwo. Deshalb müssen wir aufpassen – und uns an die Anweisungen der Politik halten. Ich informiere mich mindestens zweimal täglich über das, was so passiert, schaue Nachrichten. Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel etwas öffentlich sagt, gucke ich es mir an. In Deutschland hat das Krisenmanagement bislang ganz gut funktioniert, denke ich. Zugute kommt uns außerdem, dass die medizinische Versorgung besser ist als in Italien.
Und trotzdem: Hier kann die Situation ebenfalls noch extrem werden. In diesem Wissen versuche ich, mich in jeder Hinsicht bestmöglich zu verhalten. Im Supermarkt trage ich einen Mundschutz. Und als die Corona-Krise hier richtig Fahrt aufnahm, entschied ich mich ganz bewusst dafür, nicht zu meinen Eltern nach Krefeld zu fahren, sondern in Dortmund zu bleiben. Ich wollte sie schützen, wusste ja nicht, ob ich mich womöglich infiziert hatte.
Das waren und sind meine persönlichen Entscheidungen. Um mich persönlich mache ich mir dabei weniger Sorgen. Ich bin jung, ich bin fit. Natürlich gibt es auch junge und ähnlich fitte Menschen, die vom Coronavirus recht hart getroffen wurden. Mehr Gedanken mache ich mir allerdings um jene, die zur eigentlichen Risikogruppe zählen. Sie müssen besonders geschützt werden.
Tückisch an diesem Virus ist, dass es neben den gesundheitlichen und sicherlich darum gravierendsten Folgen noch ganz andere hervorbringt, zum Beispiel die wirtschaftlichen, von denen meine Familie ebenfalls unmittelbar betroffen ist. Meine Eltern haben mehrere italienische Restaurants und Cafés in Krefeld und der dortigen Umgebung. Kunden können ihr Essen da jetzt nur noch abholen.
Immerhin, trotz dessen allerdings werden meine Eltern wohl wie viele andere Unternehmer auf Kosten sitzen bleiben. Ich bin froh, dass die Restaurants zumindest teilweise geöffnet haben, die Situation ist aber natürlich trotzdem unangenehm. Wir alle können nur hoffen, dass in nicht allzu weit entfernter Zukunft in jeglicher Hinsicht die Normalität zurückkehrt. Und wir wieder in der Lage sind, unser Leben frei zu leben. Ohne die (aktuell nachvollziehbaren) Einschränkungen.
Wegen der schwer zu prognostizierenden Situation – geht die Spielzeit nun weiter oder nicht? – weiß ich nicht, wie die nächsten Wochen bei mir aussehen werden. In jedem Fall sollte ich ein gewisses Leistungsniveau halten, könnte jetzt nicht einfach mehrere Monate frei machen, selbst wenn die Spielzeit eingefroren würde. Denn irgendwann wird es ja wieder losgehen.
Ob ich beim BVB über den Sommer hinaus weiterspielen werde? Mein Vertrag läuft im Juni aus, es gab bislang keine Gespräche über eine Verlängerung. Dementsprechend denke ich, dass ich den Klub nach zweieinhalb Jahren verlassen und mir einen neuen suchen werde. Sollte ich mein letztes Spiel in schwarzgelb also schon gespielt haben, wäre mein Ende bei Borussia Dortmund ganz sicher unbefriedigend. Auch wenn ich hier keine leichte Zeit hatte, konnte ich eine Menge lernen.
Ich wünsche mir sehr, dass wir alle noch einen schönen, gemeinsamen Saisonabschluss feiern können. Aktuell, so scheint es, ist das nicht möglich – und das finde ich schade. Das mit weitem Abstand Wichtigste aber ist, dass wir alle durch diese große Krise kommen. So gut es eben geht.
Liebe Grüße
Gianluca Rizzo
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