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Eines der größten Talente kämpft sich zurück auf den Court
Tennis
Sie galt als eines der größten Talente ihres Jahrgangs. Dann schlug das Schicksal zu. Jetzt kämpft sich Lina Kötterheinrich zurück auf den Court.
Im August 2016 zog die damals 16-jährige Nachwuchsspielerin Lina Kötterheinrich (TC Deuten) ins Jugend-Gästehaus des Westfälischen Tennisverbandes (WTV). Der Plan: ein kontinuierlicher Aufbau einer Leistungssportkarriere mit Profiambitionen. Doch daraus wurde nichts. Das Schicksal schlug knallhart zu.
Eine der Besten in Westfalen
Als Lina Kötterheinrich nach Kamen zog, gehörte sie zu den besten Nachwuchsspielerinnen im Westfälischen Tennisverband und brauchte sich auch vor der nationalen Konkurrenz nicht zu verstecken. Der tägliche Weg aus Ladbergen zum mehrstündigen Training im Leistungszentrum war aber zu aufwendig. Er kostete Zeit, Geld und Nerven. Der Familienmensch Lina Kötterheinrich wagte deshalb den Schritt in das Jugend-Gästehaus. Durch eine Kooperation mit dem Kamener Stadtgymnasium können Kaderathleten unter anderem am Vormittag trainieren, auch Freistellungen für Turniere und Lehrgänge sind deutlich flexibler möglich als auf anderen Schulen.

2016 zählte Lina Kötterheinrich zu den großen Hoffnungen im westfälischen Jugendtennis. © Joachim Lücke
Knapp zwei Jahre ging alles gut. Kötterheinrich entwickelte sich spielerisch hervorragend. Die schulischen Leistungen waren trotz der tennisbedingten Fehlzeiten ausgezeichnet, auch das private Umfeld im Gästehaus passte. Alles schien in die richtige Richtung zu laufen.
Schwindelanfälle und Zusammenbruch
Doch im April 2018 wurde ihr immer öfter schwindelig. Hinzu kamen starke Kopfschmerzen, Erbrechen und Orientierungslosigkeit. Eines Tages brach Lina Kötterheinrich im Kamener Stadtgymnasium bewusstlos zusammen. Eine wahre Odyssee begann. Untersuchung reihte sich an Untersuchung, von einem Arzt zum anderen. Immer wieder neue Medikationen, darunter hoch dosiertes Kortison, das auch äußerlich deutliche Spuren hinterließ. An Tennis war zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr zu denken. Kötterheinrich war froh, wenn sie den Schulalltag einigermaßen über die Bühne brachte.

2018 holte Lina Kötterheinrich (2.v.l.) zusammen mit Lisa Löchter, Pauline Hirt und Deborah Muratovic (v.l.) den Titel des Westfälischen U18-Meisters nach Deuten. © Privat
Als die Diagnose feststand, war klar, dass Tennis in Zukunft keine Hauptrolle mehr spielen würde. Eine schwere Form einer chronischen Migräne und ambitionierter Leistungssport lassen sich nicht vereinbaren. Doch nicht nur Tennis rückte in den Hintergrund. Auch die Schule konnte sie wochenlang nicht mehr besuchen. Das Abitur stand auf der Kippe.
Als Lina Kötterheinrich wieder einigermaßen am Schulalltag teilnehmen konnte, kam der nächste Schicksalsschlag. Die unheilbare Krebs-Erkrankung der Großmutter, bei der sie einen großen Teil ihrer glücklichen Kindheit verbracht hat, versetzte ihr den nächsten Schlag. Im Februar 2019 zog sie aus dem Gästehaus aus und kam bei einer Schulfreundin unter, damit sie weiter am Abitur in Kamen arbeiten konnte.
Der Großmutter ging es immer schlechter und auch bei Lina Kötterheinrich wuchs neben der Migräne auch noch die psychische Belastung. „Man kommt sich vor wie in einem Horrorfilm, der einfach kein Ende findet. Das war ganz schlimm“, sagt die 20-Jährige heute.
Mehrere Aufenthalte in einer Schmerzklinik in Kiel haben ihr geholfen. Die Oma versprach ihr, dass sie Linas Abitur noch erleben werde. Sie hielt ihr Versprechen. Und schenkte ihrer Enkeltochter das Ballkleid, das Lina ihr im Hospiz stolz präsentierte. Viele Tränen flossen. Aber es war ein versöhnlicher Abschied. Der Wunsch von Enkeltochter und Oma ging vor dem Tod in Erfüllung.
Freiwilliges soziales Jahr und Lehramtsstudium
Nach einem FSJ-Einsatz in einer Grundschule nahm Lina Kötterheinrich im April 2020 ihr Lehramtsstudium auf. Die Prophylaxe-Medikation wirkte. 40 Botox-Spitzen alle drei Monate, aber die Tage mit starker Migräne konnten reduziert werden. Auch Tennis war wieder möglich. Mit Vater Thomas und guten Jugendspielern kämpfte sich die hochtalentierte junge Frau auch auf dem Tennisplatz langsam wieder zurück.
„Die Liebe zum Tennis ist immer geblieben. Ich wollte unbedingt wieder auf gutem Niveau spielen“, sagt Lina Kötterheinrich. Was für Hobbyspieler schon ambitioniert klingt, drückt eine ehemalige Leistungssportlerin anders aus: „Ich kann derzeit leider nur drei Mal in der Woche trainieren“.
Marathonmatch in Paderborn
Als das erste Mannschaftsspiel in Paderborn mit den Damen II des TC Deuten anstand, war Lina nervös. Das erste Spiel seit Jahren. „Tennis muss man auch im Kopf erst wieder lernen“, weiß sie. Sie kämpfte mehr als 3,5 Stunden in der Verbandsliga an Position zwei, ihr Kopf hämmerte bei über 30 Grad im Schatten. Doch sie wollte diesen Sieg unbedingt. Nicht nur auf dem Platz.
„Ich wollte gegen die Krankheit gewinnen. Ich wollte nicht, dass sie mich in die Knie zwingt“, sagt Kötterheinrich. Und weder die Krankheit noch die Gegnerin konnten Lina besiegen. Nach einer 5:2-Führung im dritten Satz stand es plötzlich 5:6. Oberschenkelkrämpfe, Wadenkrämpfe, Kopfschmerzen. Sie rettete sich in den Tie-Break. Und gewann.
Nach dem Spiel musste sie versorgt werden, war nicht mehr in der Lage, alleine die Tennissachen auszuziehen. Aber sie war glücklich wie lange nicht mehr. „Ich habe Tennis so sehr vermisst. Während eines Matches hat man keine anderen Gedanken als Tennis. Und meine Mädels standen wie eine Wand hinter mir. Ich hatte das Gefühl, dass ich nie weg war“, freut sie sich auch noch Tage nach dem Spiel. Mutter Tanja, Vater Thomas und Hund Rudi platzten ebenfalls vor Stolz. Linas Welt war wieder in Ordnung.