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Sexualität ist kein reines Profi-Problem
Fussball
Mit einer Solidaritäts-Aktion will das Fußball-Magazin „11Freunde“ homosexuellen Profifußballern das Coming-out erleichtern. Doch mit dem Problem kämpfen längst nicht nur die Profis.
Sie haben nicht lange gezögert. Als das Magazin „11Freunde“ eine Solidaritätserklärung für homosexuelle Profifußballer aufsetzte und über 800 Spieler und Spielerinnen aus den Profiligen unterschrieben, reihten sich auch der SV Schermbeck und der TuS Haltern ein und teilten die Botschaft in den sozialen Medien. Denn die Angst vorm Coming-out endet nicht an der Schwelle zum Profisport.
Nicht umsonst haben Sleiman Salha, Trainer der Schermbecker Oberliga-Mannschaft, und sein Halterner Kollege Timo Ostdorf in ihren Karrieren beide noch nie schwule Spieler oder Trainer getroffen. Dabei stehen beide voll hinter der 11Freunde-Aktion.
Sleiman Salha vermisst Selbstverständlichkeit
Im privaten Umfeld kenne ich homosexuelle Menschen, und da ist das gar kein großes Thema mehr“, erzählt etwa Sleiman Salha. Anfangs sei das noch anders gewesen: „Doch das lebt sich ein und wird dann zu dem, was es eigentlich sein sollte: selbstverständlich.“
Genau deshalb würde Salha auch bei einem Coming-out eines seiner Spieler zunächst mit Problemen rechnen: „Neue Dinge sind am Anfang immer ein Gesprächsthema und kompliziert. Das ändert sich, sobald sie gesellschaftlich häufiger und zur Normalität werden Aber so weit sind wir leider noch nicht.“
Timo Ostdorf war spontan dabei
Auch Timo Ostdorf steht voll und ganz hinter der Solidaritätsaktion: „Ich habe früher untertage gearbeitet. Da hat es auch keine Rolle gespielt, welche Religion man hatte oder woher man kam. Genauso sehe ich das mit der sexuellen Orientierung. Es ist einfach schade, dass Homosexualität nicht als normal akzeptiert wird. Normalerweise müsste ich mich als Hetero doch auch outen, oder?“
So spontan Ostdorf bei der Aktion mitmachte, so sehr kann er aber auch jeden homosexuellen Fußballer verstehen, der vorm Coming-out zurückschreckt: „Die Hemmschwelle ist noch immer sehr, sehr hoch. Gerade bei den Profis ist es noch schwerer. Wenn da 60.000 im Stadion sind, kommen nach dem fünften Pils mit Sicherheit blöde Sprüche. Das sieht man ja auch beim Thema Rassismus. Die heutige Gesellschaft gibt es einfach noch nicht her.“
“Verteidigen euch vor den Idioten da draußen“
Umso wichtiger sei die jetzige Aktion, und für den Fall, dass einer seiner Spieler sich einmal oute, steht für den TuS-Trainer fest: „Für mich persönlich wäre das überhaupt kein Problem. Im Gegenteil: Ich würde dem Betreffenden helfen und ihn schützen, wenn doch blöde Kommentare kommen. Genau wie es Max Kruse gesagt hat, der solche Kollegen vor den Idioten da draußen schützen will, die sich noch immer von Homosexualität gestört und bedroht fühlen.“
Sowohl Timo Ostdorf als auch Sleiman Salha sagen aber auch dies: Die Männer haben es schwerer.
Sarah Grünheid sieht große Unterschiede
Eine Aussage, die auch Sarah Grünheid bestätigen kann. Die 30-Jährige, die ihre Karriere einst bei SuS Hervest-Dorsten begann und inzwischen beim Zweitligisten Arminia Bielefeld spielt, glaubt, man könne den Männer- und Frauenfußball in dieser Hinsicht kaum miteinander vergleichen: „Im Frauenfußball ist Homosexualität fast normal. Vielleicht nicht im kleinen Dorsten und im Jugendbereich. Aber spätestens, als ich mit 15 zum ersten Mal im Frauenbereich spielte, gehörte das einfach dazu und war etwas ganz Normales, Akzeptiertes.“
Grünheid ist seit 2018 mit ihrer Mitspielerin Tanja Grünheid verheiratet und seit 2020 Mutter von Zwillingen und macht daraus auch in ihrem Wikipedia-Eintrag kein Geheimnis. Eine Freiheit, die sie zu schätzen weiß: „Das liegt natürlich daran, dass wir im Frauenfußball eine ganz andere Öffentlichkeit haben. Wenn ich vor 80.000 Leuten spiele, ist die Hemmschwelle natürlich viel höher.“
Nicht umsonst habe ein Thomas Hitzlsperger sich erst nach seiner aktiven Karriere geoutet. „Aber vielleicht werden es durch die jetzige Initiative ja mehr, die sich trauen“, sagt Sarah Grünheid. Die Chance dazu sieht sie durchaus: „Man sieht ja auch am Beispiel Dietmar Hopp, dass Solidarität etwas bewirken kann. Vielleicht verfälscht die Corona-Situation ohne Fans in den Stadien das Bild ein wenig. Aber ich glaube schon, dass Aktionen wie die der Spieler beim Duell Bayern - Hoffenheim etwas bewirkt haben.“
Ähnliches wünscht sich Grünheid nun auch beim Thema Homophobie. Die Aktion, das sieht sie wie Timo Ostdorf und Sleiman Salha, sei „ein Zeichen, das man setzen muss“.
Die Erklärung „Ihr könnt auf uns zählen! gegen Homophobie im Fußball“ im Wortlaut:
„Auch im Jahr 2021 gibt es keinen einzigen offen homosexuellen Fußballer in den deutschen Profiligen der Männer. Die Angst, nach einem Coming-out angefeindet und ausgegrenzt zu werden und die Karriere als Profifußballer zu gefährden, ist offenbar immer noch so groß, dass schwule Fußballer glauben, ihre Sexualität verstecken zu müssen. Niemand soll zu einem Coming-out gedrängt werden. Das ist die freie Entscheidung jedes Einzelnen. Aber wir wollen, dass sich jeder, der sich dafür entscheidet, unserer vollen Unterstützung und Solidarität sicher sein kann. Weil es zu den elementaren Freiheitsrechten jedes Menschen gehört, sich zu seiner sexuellen Orientierung bekennen zu können. Und weil nur der seinen Beruf mit Freude ausüben kann, der nicht einen wichtigen Teil seiner Persönlichkeit vor anderen verstecken muss. Und deshalb sagen wir allen, die mit dieser Entscheidung ringen: Wir werden euch unterstützen und ermutigen und, falls notwendig, auch gegen Anfeindungen verteidigen. Denn ihr tut das Richtige, und wir sind auf eurer Seite.“Sport ist für den Wulfener nicht nur ein wichtiger Bestandteil seines Arbeitslebens. Seit 1993 schreibt er als Mitarbeiter der Dorstener Zeitung über das Sportgeschehen in der Lippestadt, seit 1999 ist er als Redakteur für den Lokalsport in der Lippestadt verantwortlich. Dabei fasziniert ihn besonders die Vielfalt der Dorstener Sportszene, die von Fußball bis Tanzen und von Basketball bis Kitesurfen reicht.
