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Herausforderung Spitzensport: Wie eine Castrop-Rauxelerin ihren eigenen Weg geht
Was macht eigentlich...?
Rana Tokmak widmete fast ihr ganzes Leben der Rhythmischen Sportgymnastik. Den Spitzensport hat sie nun hinter sich gelassen. Das Verpassen von Olympia 2016 gibt ihr bis heute Rätsel auf.
Das Jahr 2003 war der Beginn einer großen Sportler-Laufbahn. Rana Tokmak war gerade einmal sieben Jahre alt, als die Rhythmische Sportgymnastik in ihr Leben trat. 16 Jahre später kann die Castrop-Rauxelerin auf zwei Jugend-DM-Titel, eine Vizemeisterschaft sowie einen DM-Titel im Damen-Bereich zurückblicken. Zudem nahm sie mit der deutschen Nationalmannschaft an der Europa- sowie Weltmeisterschaft teil. Sie qualifizierte sich mit der Nationalmannschaft als Kapitänin für Olympia 2016 in Rio de Janeiro, flog dann aber nicht mit.
Spagat zwischen Alltag und Spitzensport
Wer im jungen Alter mit dem Leistungssport beginnt, muss auch Abstriche in der Kindheit machen. Rana Tokmak habe die Strapazen des Spitzensports aber nie als solche wahrgenommen - da sie es nicht anders kannte. Es half ihr dabei, positive Eigenschaften zu entwickeln: „Mein Sportler-Alltag war ein Rennen gegen die Zeit. Schon früh musste ich mich einem strikten Zeitplan aussetzen. Morgens Schule, danach zum Training, im Auto essen und Hausaufgaben machen. Ich bin abends spät nach Hause gekommen und schlafen gegangen. Ich musste früh lernen, wie ich sinnvoll mit meiner Zeit umgehe“, erklärt die heute 23-Jährige ihren Spagat zwischen Alltagsleben und Spitzensport.
Umzug nach Fellbach
Als sie 2013 an den Bundesstützpunkt in Fellbach bei Stuttgart wechselte, war ihr Tagesablauf noch engmaschiger gestrickt - Tokmak wurde in die Nationalmannschaft berufen und trainierte mit der Mannschaft unter anderem für die Olympia-Qualifikation. „Besonders die letzten Jahre bestanden nur noch aus Schule, Essen, Training und Schlaf“, beschreibt sie das Leben im Bundesstützpunkt. Da blieb wenig Platz für Freunde und Familie. Laut Tokmak hatten diese aber immer Verständnis, wenn sie nicht zu einem Geburtstag kommen konnte oder abendliche Filmabende mit den Freundinnen ohne sie stattfinden mussten. Ersatz fand sie in ihrer „Sportfamilie“ in Fellbach. „Für Familie und Freunde hatte ich wenig Zeit. Kompensieren konnte ich das durch das familiäre Verhältnis zu meinen Teamkameradinnen der Nationalmannschaft, mit denen ich täglich zehn Stunden trainierte“, so die Castrop-Rauxelerin.
Rückschläge hielten sie nicht auf
Trotz einer sehr erfolgreichen Laufbahn gab es in der Karriere der Castrop-Rauxelerin auch Tiefpunkte. Bei der Heim-WM 2015 in Stuttgart verpasste das Team mit einem zehnten Platz die direkte Qualifikation für die Olympischen Spiele in Rio um Haaresbreite. Rana Tokmak sagt aber von sich selbst, dass ihre Stärke vor allem darin läge, „sich wieder aufzurappeln“.
Der Zuspruch ihrer Familie und von Freunden setzte neue Kräfte frei, um bei den Test-Events in Rio, die ebenfalls eine Qualifikation für Olympia versprachen, mit der Nationalmannschaft neu anzugreifen. Mit Erfolg: Die Events wurden mit einer Goldmedaille beendet, sodass Olympia 2016 nichts mehr im Wege stand. Den zweiten und wohl größten Rückschlag musste sie hinnehmen, als sie nicht für den Olympia-Kader nominiert wurde. Tokmak fühlte sich um ihre Aufopferung für den Sport und auch ihren Einsatz als Kapitänin in der Nationalmannschaft betrogen: „Aus für mich nicht nachvollziehbaren Gründen, nominierte der DTB mich nicht mehr in den Kader, obwohl ich einen großen Beitrag dazu geleistet hatte. Das war mit Abstand die größte Enttäuschung.“
Das Leben nach dem Sport
Anschließend beendete sie ihre aktive Laufbahn. Der Ärger über die Nicht-Berücksichtigung verflog zwar nicht sofort, jedoch öffnete er Rana Tokmak die Augen. Ihr wurde klar, dass das Leben mehr als nur den Sport bietet. „Mir wurde bewusst, dass ich viele andere Ambitionen im Leben habe. Ob das jetzt die Familie, Freunde und berufliche Ziele waren oder einfach nur ein Eis in der Castroper Altstadt“, beschreibt sie ihren heutigen Lebenswandel. „Nach dem Sport konnte ich erstmals meine Freiheit richtig auskosten“, ergänzt die 23-Jährige.
Dem Sport hat Rana Tokmak aber nicht vollständig den Rücken gekehrt. Seit 2012 arbeitet sie mit dem Landessportbund NRW zusammen. 2015 wurde sie dort Botschafterin. In ihrer Tätigkeit versucht sie sowohl junge als auch alte Menschen für den Vereinssport in Deutschland zu gewinnen. Denn in den vergangenen Jahren ist die Zahl von Vereinsmitgliedern und Ehrenamtlichen deutlich zurückgegangen. Darüber hinaus engagiert sie sich an ihrer alten Schule, dem Ernst-Barlach-Gymnasium, für das Projekt „Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage“. Zusammen mit Schülerinnen und Schülern setzt sie das Projekt dort um.
Ausland ist eine Option
Auch ihre berufliche Karriere hat die ehemalige Spitzensportlerin schon vorangetrieben. Rana Tokmak wartet seit vier Jahren auf einen Medizinstudienplatz. Sie kritisiert die zu hohen Anforderungen an den Studiengang in Deutschland. Unterkriegen lässt sie sich, ähnlich wie im Sport, auch hier nicht. Sie hat bereits mehrere Mediziner-Tests absolviert, eine Ausbildung zur medizinischen Fachangestellten abgeschlossen und hat ein Pflegepraktikum im St. Rochus Hospital in Castrop-Rauxel begonnen.
Sollten auch diese Maßnahmen nicht greifen, um ihren Traum vom Medizinstudium zu erfüllen, hat sie aber schon einen Plan B. „Falls es dennoch hier in Deutschland nicht funktionieren sollte, werde ich im nächsten Jahr mein Glück im Ausland versuchen“, gibt sich die Castrop-Rauxelerin entschlossen.