Im Sommer 2019 schlug er plötzlich in einer Mittelstadt in Nordrhein-Westfalen auf: Christian P.. Seinen Namen haben wir verändert – das gilt allerdings nicht für P. und seine Masche. Sein Lügengebilde und seine betrügerischen Absichten, mit denen er den Vereinen in der Region geschadet hat, sind nämlich alles andere als fremd.
„Er kam suspekt rüber“, sagt der Jugendleiter eines Vereins in NRW, der mit P. in Kontakt stand. Dieser distanzierte erste Eindruck ist allerdings alles andere als Normalität.
Auf die meisten Vereinsverantwortlichen machte P. zunächst einen guten Eindruck – mindestens. So schaffte er es wenigstens vier Jahre lang, sich in einer anderen Region Deutschlands zu halten – mit den gleichen Absichten, die ihn hier innerhalb einiger Monate enttarnten.
Von 2015 bis 2019 war P. in Norddeutschland aktiv. Rund ein Dutzend Vereine lernte er in dieser Zeit kennen. Spätestens nach einigen Monaten verließ er die Klubs wieder – selten freiwillig, oft deutlich früher.
In mindestens drei Landkreisen war er in dieser Zeit aktiv. Vor allem zum späten Zeitpunkt seiner Tätigkeiten dort wuchs die räumliche Distanz zwischen zwei Stationen. Die Dunkelziffer an Trainerposten könnte noch höher liegen.
Masche funktioniert unverändert
Weil der Informationsaustausch der Vereine zwar innerhalb der Kreise, aber nicht zwischen den Kreisen funktioniere, wie ein Vereinsverantwortlicher aus der Region berichtet, habe es P. dort geschafft, deutlich mehr Vereine um Geld zu bringen.
Seine Masche brauchte er dabei kaum zu verändern. P. organisierte nach unauffälligen ersten Wochen Trainingslager, Fahrten zu internationalen Turnieren, Busreisen zu Auswärtsspielen und Trainingskleidung in üppiger Menge. Das Geld dafür sammelte er privat ein – und von der versprochenen Gegenleistung sahen die Jugendlichen nach Angaben der Vereine meistens nichts.
Um den dubiosen Trainer Christian P. war es zuletzt längere Zeit ruhig geworden. Im Herbst 2022 tauchte er wieder auf. In einem neuen Einzugsgebiet in Westfalen bewarb er sich wieder bei zahllosen Vereinen. Die wussten aber, mit wem sie es zu tun hatten. P. überzog sie mit Whatsapp-Terror und drohte mit Klagen. Das zeigt unsere aktuelle Recherche. Sie belegt aber auch: Gegen Christian P. gibt es ein Kinderpornografie-Urteil. Wir fassen auch nochmal die ganze Geschichte des Christian P. zusammen.
Beinahe alle Vereine aus der Region in Norddeutschland berichten über solche Vorgänge. Bei einem Klub hatte P. Geld für ein Trainingslager eingesammelt. Die Rechnung der Jugendherberge ging trotzdem an den Verein, das von P. gesammelte Geld sollte plötzlich nur noch die Kosten der Verpflegung decken.
Zudem habe er eine Bestellung an Trainingsmaterialien auf Kosten des Vereins aufgegeben, die dieser nach eigenen Angaben so nicht in Auftrag gegeben hätte. Der Sportartikelhändler wendete sich mit seinen offenen Forderungen an den Verein.

Ein anderer Verein zog nach nur 14 Tagen Zusammenarbeit die Reißleine, nachdem er von anderen Verantwortlichen aus der Region über P.s Machenschaften informiert wurde. „Mit Nachdruck“ habe P. anschließend auf die Hälfte der vereinbarten 180 Euro monatlicher Aufwandsentschädigung bestanden, berichtet der Abteilungsleiter des Klubs.
Besonders schlimm traf es einen anderen Verein. Hier trat P. im Herbst 2018 seinen Posten als Jugendtrainer an. Schnell habe er eine Abschlussfahrt geplant und das Geld dafür privat von den Eltern der Spieler eingesammelt, berichtet ein Vorstandsmitglied des Klubs.
2000 Euro Schaden
Nur rund die Hälfte davon habe P. an einen lokalen Veranstalter für solche Fahrten überwiesen. Circa 2000 der insgesamt 4500 Euro habe der Verein aus eigener Tasche bezahlen müssen, so der Vereinsvertreter. Noch heute trägt P. auf seinem Profilbild in der App, mit der er neue Beschäftigungsmöglichkeiten sucht, ein Oberteil des Klubs.
Waren die finanziellen Unregelmäßigkeiten einmal aufgetreten, trennten sich die Vereine und P. meistens schnell. Die Kontaktaufnahme gestaltete sich in der Folge oft schwierig. Mindestens zwei Vereine berichten, P. hätte ihnen eine Wohnadresse mitgeteilt, unter der er nicht anzutreffen gewesen sei.
Zusammenarbeit sei „Lehrgeld“ gewesen
Keiner der Vereine, mit denen diese Zeitung gesprochen hat, hat in letzter Konsequenz versucht, sich das durch P. verloren gegangene Geld zurückzuholen.
In der Regel sprangen die Klubs selbst ein und beglichen mit eigenen Mitteln offene Forderungen. Die meisten Betroffenen haben scheinbar lieber schmerzvoll in die eigene, nicht gerade üppig gefüllte Tasche gegriffen und das Thema so aus der Welt geschafft.
Langfristig aufgebrachte Eltern möchte schließlich kein Amateursportverein in seinen Reihen haben. Die Zusammenarbeit mit P. bezeichnet ein Verantwortlicher als „Lehrgeld“. P.s erste Station in Nordrhein-Westfalen etwa wollte seine Ansprüche geltend machen, sah nach Gesprächen mit einem weiteren Ex-Klub aufgrund der scheinbar geringen Erfolgsaussichten aber davon ab.
Verein nimmt sich Rechtsanwalt
Nicht alle Vereine haben es P. allerdings so leicht gemacht. Ein Klub versuchte mithilfe eines Rechtsanwalts, eine Rückerstattung des Geldes zu erreichen. Der Verein – hier ging es um das Trainingslager in der Jugendherberge und die bestellten Trainingsmaterialien – erreichte nach eigener Auskunft zumindest eine Verpflichtungserklärung, den offenen Betrag auf das Trainergehalt anrechnen zu können.
Durch eine alternative Methode erreichte ein Verein in einer norddeutschen Großstadt eine teilweise Rückerstattung. Für den Klub, der nach eigenen Angaben in einem sozialen Brennpunkt liegt, plante P. die Teilnahme an internationalen Turnieren und Busreisen zu Auswärtsspielen – in der F-Jugend.
Eltern lauern Christian P. auf
Dieser Klub sei die „falsche Adresse“ für P.s Unterfangen gewesen, berichtet ein Jugendtrainer des Vereins. Die Eltern der betroffenen Mannschaft seien P. in Eigenregie aufgelauert und hätten so wohl drei Viertel des Geldes zurückerhalten, berichtet er. 25 Euro pro Monat habe P. für sein Engagement erhalten, berichtet der Jugendleiter des Vereins.
Strafrechtliche Konsequenzen erreichte keiner der Vereine. Das dürfte auch daran liegen, dass die meisten Stationen P.s erst nach Ende der Zusammenarbeit vom Ausmaß seiner Täuschungen erfahren haben.
Führungszeugnis voll mit Einträgen
Sein Führungszeugnis, das dieser Redaktion vorliegt, ist dennoch nicht frei von Einträgen. Von Anfang 2016 bis Mitte 2018 lassen sich dort vier Einträge finden: Unterschlagung, Betrug, unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, vorsätzliches Fahren ohne Haftpflichtversicherungsvertrag. P. erhielt ein fünfmonatiges Fahrverbot.
Zwei Amtsgerichte verurteilten ihn addiert zu 200 Tagessätzen, die eine Geldstrafe von 2150 Euro ergeben. Ein Zusammenhang zu einer seiner Trainertätigkeiten kann nicht gesichert hergestellt werden. Offenbar sind aber auch potenzielle Arbeitgeber P. gegenüber vorsichtig geworden.
Arbeitgeber äußert sich nicht
Ein Klub trennte sich von ihm, als ein Funktionär des Vereins P. über einen Bekannten einen neuen Job besorgen wollte, dieser den Verein nach seinem eigenen Hintergrundcheck aber auf die Ungereimtheiten aufmerksam machte.
In Nordrhein-Westfalen kursierte einem ehemaligen Co-Trainer P.s zufolge das Gerücht, P. hätte bei seinem tatsächlichen Arbeitgeber „in die Kasse gegriffen“. Das Unternehmen beantwortete die Fragen dieser Redaktion nicht.
Nicht immer geht es um Geld
Viele Vereine dagegen schon. Nicht bei all seinen Stationen hat P. finanzielle Schäden hinterlassen. Zustände von Verwunderung über Irritationen bis hin zu Verärgerung jedoch allemal.
Ein Engagement bei einer Herrenmannschaft verlief zu Beginn ohne Auffälligkeiten. Der Absage einer Trainingseinheit folgte eine weitere. Er habe einen Unfall gehabt und liege im Krankenhaus, teilte P. den Verantwortlichen des Vereins mit – scheinbar eine Lüge. In einem Gespräch mit dem Mannschaftsrat und dem Vorstand habe sich P. entschuldigt, berichtet der Abteilungsleiter des Klubs.
Christian P. tritt plötzlich zurück
„Die Mannschaft hat keinen Draht zu ihm gefunden“, so der Abteilungsleiter. Im besagten Gespräch ging es auch um die sportliche Ausrichtung des Teams. Die Vorstellungen des Vereins und P.s lagen weit auseinander. Dennoch stimmte P. der Vereinslinie zu.
Am nächsten Morgen legte er sein Amt überraschend doch nieder. „Ich kann nur empfehlen, Herrn P. nicht zu beschäftigen. Wir sind froh, dass wir mittlerweile wieder in Ruhe planen können“, sagt der Abteilungsleiter.
Christian P. täuscht offenbar den Tod seiner Mutter vor
Völlig skrupellos agierte P. beim Großstadtverein mit Lage in einem sozialen Brennpunkt. Immer wieder habe er dort vorübergehend hingeschmissen, berichten die Verantwortlichen. Während seiner dortigen Tätigkeit sei eigenen Angaben zufolge die Mutter von P. verstorben.
Wie der Klub im Nachhinein erfuhr, waren sie nicht der erste Verein, dem diese Begründung für ein plötzliches Fehlen präsentiert wurde. Manche Verantwortliche sammelten sogar Geld für eine Trauerkarte.
Immer wieder Autopannen
In Nordrhein-Westfalen angekommen, erweckte P. seine Mutter wieder zum Leben. Seine erste geplante Trainingseinheit beim Handballverein sagte er ab, weil er aufgrund eines Notfalls kurzfristig zu seiner Mutter habe fahren müssen. Schon zum ersten Gespräch musste ihn der Vereinsvorsitzende abholen, weil sein Auto am Vortag eine Panne ereilt habe.
Das Auto-Thema zieht sich durch viele Stationen. Ein Verein sah P. nie mit einem eigenen Wagen. Entweder fuhr er mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder mit PKW einer auffällig weit entfernten Fahrzeugvermietung zum Platz. Den gleichen Klub schwindelte P. auch in Sachen Führungszeugnis an. Bei immer anderen Funktionären habe er dieses abgegeben.
„Er war immer alleine“
Nur, weil dieser Verein es irgendwann tatsächlich erhielt und dort die korrekte Adresse P.s vermerkt war, schaffte es der zweite Vorsitzende, nach der Trennung die Schlüssel für die Platzanlage zurückzuholen. „Es ist alles erstunken und gelogen. Ein krankhafter Lügner“, sagt das Vorstandsmitglied. Das soll auch für P.s damalige Beschäftigung bei einem lokalen Busunternehmen gegolten haben.
Einen anderen Verein irritierte alleine die weite Fahrstrecke von rund 25 Kilometern pro Fahrt zum Platz, die P. auf sich nahm. Die Spiele seien zudem noch weiter entfernt gewesen. Die scheinbar erfundene Familiengeschichte mit Ehefrau und zwei Kindern verbreitete P. übrigens auch schon in Norddeutschland.
„Er verbrachte viel Zeit im Verein, war aber immer alleine“, berichtet ein Verantwortlicher. Mehr als verwundert waren die Amtsträger allerdings nicht – bis sich die Einzelteile nach der Trennung oft zu einem kohärenten Gesamtbild zusammenfügten.
Bei einem weiteren, leistungsorientierten Jugendfußballverein organisierte P. sogar die Probetrainings zur Auswahl der Leistungsmannschaft mit, bevor er seinen Trainerposten überhaupt übernommen hatte. Dem Jugendleiter fiel das positiv auf. Zum eigentlichen Training erschien P. dann aufgrund kurzfristiger beruflicher Verpflichtungen nicht.
Auch die zweite Einheit verpasste er. Nach einer zeitgleichen Warnung eines normalerweise rivalisierenden Vereins folgte die Trennung. Nur kurz nach dem ursprünglich geplanten Amtsantritt bewarb sich P. bereits bei Vereinen in NRW.
Teil 1: Die Schamlosigkeit kennt keine Grenzen – wie Christian P. Jugendliche betrogen haben soll
Ein offenbar erfundenes Trainingslager kostet einen Amateurfußballverein wegen Christian P. viel Geld. Das Lügenkonstrukt umfasst sein gesamtes Leben. Ein Verein deckte es auf.
Teil 3: Die Masche Christian P.: Wie sich ein Lügner mit persönlichen Problemen in Vereine schleicht
Trotz massiver Betrugsvorwürfe fand Christian P. in zwei Regionen Deutschlands stets Vereine, die ihn beschäftigten – aber warum? Massive private Probleme könnten eine Rolle spielen.
Teil 4: Verbände erklären, wie sich Vereine vor Betrügern schützen können
Der Fall Christian P. zeigt, wie leicht sich das Ehrenamt für böswillige Zwecke missbrauchen lässt. Wie Vereine sich schützen können, erklären die betroffenen Landesverbände.
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Teil 2: Was gegen sexualisierte Gewalt im Amateurfußball getan wird – und was nicht
Teil 1: Juniorentrainer aus Westfalen unter Pädophilie-Verdacht - die Vereine schweigen
Die Schamlosigkeit kennt keine Grenzen: Wie Christian P. Jugendliche betrogen haben soll
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