Sportpsychologe erklärt: Wie Sport uns in der Coronakrise helfen kann

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Sportpsychologe erklärt: Wie Sport uns in der Coronakrise helfen kann

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Sportpsychologe René Paasch erklärt, warum Sport in Zeiten der Corona-Pandemie wichtiger ist denn je - und ob Sportmuffel gerade jetzt mit Fitness starten sollten oder nicht.

Dortmund

, 05.05.2020, 18:00 Uhr / Lesedauer: 5 min

Und nicht selten ist die Zeit jetzt da, nur die Ideen, was man mit ihr anfangen kann, sind rar. Der Sportpsychologe René Paasch rät, jetzt die eigene sportliche Betätigung nicht zu vergessen – und falls man bislang ein Sportmuffel war, darf man sich zumindest fragen, ob nun nicht die Gelegenheit gekommen ist, mit mehr Bewegung zu beginnen.

Viele Menschen haben ja jetzt schon das Gefühl, dass ihnen zu Hause die Decke auf den Kopf fällt. Kann man mit Sport daheim was dagegen tun?

Ich glaube, man muss unterscheiden zwischen den Menschen, die vorher schon viel Sport gemacht haben, die also sport-affin sind, und denen, die bislang mit sportlicher Betätigung nicht so viel zu tun hatten. Wer vorher schon sportlich aktiv war, dem tut Sport auch in der jetzigen Situation auf jeden Fall gut.

Denn Sport löst ja viele Reaktionen im Körper aus – nicht nur hormonelle und physiologische. Die Durchblutung der Muskulatur ist besser. Ganz einfach gesprochen, man hat mehr Sauerstoff im Kopf. Und natürlich lenkt Sport auch von der jetzigen schwierigen Situation ab. Diese Ablenkung ist ganz wichtig. Denn die Corona-Krise ist einfach allgegenwärtig. Wir hören und lesen ja nicht nur davon, sondern wir erleben sie selbst. Und wenn ich mehr Zeit habe, habe ich auch mehr Gelegenheit, mir Sorgen zu machen. Dafür braucht es ein Gegengewicht.

Heißt das also, wer sich bisher nicht viel aus Sport gemacht hat, dessen Wohlbefinden wird auch nicht besonders gesteigert, wenn er jetzt damit anfängt?

Grundsätzlich ist es ja richtig, dass Sport dem Körper und dem Menschen erstmal gut tut. Aber man sollte auch ehrlich zu sich selbst sein. Wenn ich ein absoluter Sportmuffel bin, mir überhaupt nichts aus Sport mache, dann ist jetzt eher nicht der richtige Zeitpunkt, um mich selbst dazu zu zwingen. Es geht doch in der jetzigen bedrückenden Lage darum, etwas zu machen, was mir gefällt, darum, positive Impulse zu setzen. Wir haben alle in der Vergangenheit Dinge getan, die wir total gerne gemacht haben. Für vieles davon sind im Alltag aber über die Jahre Zeit und Muße verloren gegangen. An solche Dinge sollten wir uns jetzt wieder erinnern. Und ob wir nun Sport machen oder puzzeln oder malen – das Ziel ist immer gleich: Dem Kopf eine möglichst angenehme Ablenkung verschaffen.

Renè Paasch ist Sportpsychologe.

Renè Paasch ist Sportpsychologe. © Die Sportpsychologen

Bleiben wir mal bei den Menschen, für die Sport eine Selbstverständlichkeit ist und bei denen, die jetzt Lust bekommen haben, die Gelegenheit dafür zu nutzen. Dürfen die auf ein besseres Lebensgefühl, auf einen geistigen Ausgleich hoffen?

Das dürfen sie. Wer Sport macht, hat dabei ein gutes Gefühl. Der Körper genießt danach den Erholungseffekt. Das beruhigt uns. Gerade das, was wir in einer Situation, die Stress in uns auslöst, gut gebrauchen können. Zudem spüren fast alle Menschen den Drang nach Bewegung. Wenn wir Wege finden, dem zu entsprechen, dann entspannt uns das zusätzlich.

Verringert die Bewegung – und sei es auch nur in den eigenen vier Wänden – ein Stück weit das Gefühl der Einschränkung?

Es ändert sich ja nichts an der räumlichen Situation. Aber dennoch stellt sich der Effekt ein, dass wir gedanklich wieder klarer sind, uns freier fühlen und weniger gefangen in der begrenzten Lage. Und es ist ja nun auch nicht so, dass wir auf die eigene Wohnung festgelegt sind. Wir dürfen ja draußen sein, nur eben nicht in einer größeren Gruppe. Und allein das sollte Perspektive genug sein, den Blick auch mal nach draußen zu richten. Und dabei darf ich auch auf ungewohnte Ideen kommen. Wenn ich in einem Mietshaus wohne, was hindert mich daran, einfach die Treppen dreimal rauf und runter zu gehen, um dem Kreislauf etwas Gutes zu tun?

Das heißt, auch Ungewöhnliches ist erlaubt?

Absolut. Und vielleicht ist jetzt auch der Moment gekommen, wieder mehr Kleinigkeiten, mehr Details zu sehen. Dinge, die uns im Alltag umgeben, die wir aber gar nicht mehr sehen. Das ist ja in normalen Zeit auch gut so, sonst würden wir uns überfordern, was unsere Wahrnehmung angeht. Aber vielleicht können wir das jetzt mal wieder runterbrechen, uns etwas stärker mit uns selbst befassen. Uns fragen, ob wir wirklich der Mensch sind, der wir sein wollen. Im Alltag ist es doch oft so, dass wir viel unterwegs sind, viel leisten müssen und dabei uns selbst schnell vergessen. Das können wir jetzt ändern, auch wenn die Umstände so schwierig sind.

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Was macht eine Situation wie die, die wir jetzt erleben, eigentlich mit den Menschen? Macht sie uns besonders träge? Oder bewirkt sie eher das Gegenteil?

Wir durchlaufen mehrere Phasen. Jetzt am Anfang da denken wir über solche Dinge kaum nach. Aber je länger die Zeit dauert, in der wir zu Hause sein müssen, umso mehr fordert der Körper die Bewegung. Das heißt, man wird immer wieder Signale von innen bekommen, die fordern aufzustehen, was zu tun. Und ich glaube, dass das im Laufe der Zeit mehr wird. Man wird in dieser Zeit sicher nicht vom Nicht-Sportler zum Leistungssportler, aber die Impulse, jetzt doch mal die Jacke anzuziehen und an die frische Luft zu gehen, werden auf Dauer immer stärker werden. Wir haben ja in uns angelegte Strukturen, die Bewegung fordern. Das haben wir als Kind ganz natürlich gelernt, uns zu bewegen und irgendwann wieder verlernt. Das heißt aber nicht, dass nicht in ganz vielen von uns der Wunsch immer da ist aktiv zu sein.

Da heißt, jetzt ist vielleicht auch eine ganz gute Gelegenheit, zu all dem, was uns an Medien und Entertainment umgibt etwas auf Distanz zu gehen?

Fernsehen, digitale Welt, das alles hat wenig mit uns selbst zu tun. Das sind Dinge, von denen wir im Alltag nicht selten fremdbestimmt werden. Aber in der Phase, in der wir gerade sind, ist der Wunsch stärker, das mal beiseitezulassen und einfach mal zu schauen, was möglich ist. Jetzt kann ich mir die die Frage stellen, ob das, was ich bisher gemacht habe, zu meiner inneren Zufriedenheit beiträgt und ob ich so auch langfristig gesund bleiben kann. Ich merke das so oft in Gesprächen, dass die Menschen sich sehr wenig mit sich selbst beschäftigen. Das ist natürlich anstrengend. Da fallen uns dann Dinge auf, die nicht so gut sind. Viele Menschen lenken sich stattdessen lieber ab. Und wir sind ja mittlerweile auch eine Welt, in der wir sehr viel abgelenkt werden. Wir binden Leute ans System und nehmen ihnen damit die Zeit, sich mit sich selbst zu beschäftigen.

Das ist aber schon paradox, dass es eine extrem reglementierte Situation wie die aktuelle braucht, um vielleicht die Fremdbestimmtheit meines Alltags aufzubrechen.

Das ganz aufzubrechen wird zwar kaum gelingen. Dafür sind wir über viele Jahre so geprägt worden, haben alle unseren Beitrag dazu geleistet, dass wir so sind wie wir sind. Aber die Erkenntnis reift, dass Solidarität im Zusammenleben wächst und nicht, wenn ich mich in der digitalen Welt bewege. Und ich glaube da steckt jetzt etwas drin für uns alle, nämlich zu erkennen, dass es am Ende des Tages nicht darum geht, viel Geld zu haben und dicke Autos zu fahren, sondern solidarisch zu sein und sich menschlich zu verhalten. Das sind Dinge, die aus meiner Sicht etwas verloren gegangen sind – nicht weil die Menschen das bewusst tun, sondern irgendwann da so reinschlittern.

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Schauen wir nochmal auf den Sport. Kann das auch Familiensache sein?

Natürlich. Eltern haben ja auch in diesem Punkt eine Vorbildfunktion – jetzt vielleicht noch mehr als sonst. Auch diese Vorbildfunktion haben wir im Alltag immer stärker ausgelagert. Ich bekomme so oft mit, was Eltern alles von der Kita erwarten. Und die Schule hat nicht mehr nur einen Bildungsauftrag sondern gleich auch noch einen Erziehungsauftrag. Da kommt jetzt, da Kita und Schule einstweilen geschlossen sind, der elterliche Teil wieder viel deutlicher ins Spiel, das, was Mama und Papa ihren Kindern vorleben. Und wenn das bedeutet, fünf Stunden pro Tag am Handy zu verbringen, dann werden die Kinder ähnliches tun. All das, was die Kinder heute sind, ist das Produkt der Eltern. Die Eltern sind absolut prägend. Das gilt auch für den Sport.

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