Enkel Theo gibt Gaby Beumer Kraft im Kampf gegen ihre Krankheit.

© Nils Dietrich

Long Covid: Nach ihrer Corona-Infektion geht der Kampf von Gaby Beumer weiter

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Auch wenn sie die akute Infektion überstanden haben, ist der Leidensweg vieler Corona-Patienten noch lange nicht zu Ende – sie leiden unter Long Covid. Gaby Beumer aus Legden gehört zu ihnen.

Legden

, 17.09.2021, 18:00 Uhr / Lesedauer: 3 min

Im Esszimmer von Gaby Beumer hängt ein Bild an der Wand, das sofort ins Auge fällt. Sie und ihr Mann Egon, Arm in Arm, vor einem Bergsee-Panorama. Einige Male waren sie schon am Königssee, zuletzt 2019, als dieses Foto entstanden ist. Eine schöne Erinnerung. Doch ob Gaby Beumer hier jemals wieder wird wandern können, ist ungewiss.

Heute bereitet es ihr bereits Probleme, eine Treppe zu steigen. Außerhalb ihrer Wohnung ist sie auf einen Rollator angewiesen, an längere Strecken ist nicht zu denken. Schlaflosigkeit, Konzentrationsstörungen, die Feinmotorik der Hobby-Bastlerin ist dahin. Schmecken und riechen kann die 56-Jährige auch heute nicht: „Wenn mein Enkel mit voller Windel neben mir sitzen würde, ich würde es nicht merken.“

Ein Kampf um Leben und Tod

Gaby Beumer hat Long Covid. Ihre Geschichte, das weiß sie noch ganz genau, beginnt am 21. März. Fast ein halbes Jahr ist es her, dieser Tag, der ihr Leben verändern sollte. Mit Rückenproblemen kommt sie ins Krankenhaus in Ahaus. Diagnose: Bandscheibenvorfall. Später wird sie nach Stadtlohn verlegt, wegen der Spezialisierung auf die Behandlung von Rückenleiden.

Irgendwo da muss es passiert sein. Wenige Tage nach der Verlegung wurde sie nachts wach, hatte Fieber, weder Geschmacks- noch Geruchssinn. Typische Anzeichen einer Infektion mit dem Corona-Virus. Ein Test schafft schnell traurige Gewissheit. Sie weiß bis heute nicht, wie sie sich angesteckt hat. Schnell wird Gaby Beumer wieder nach Ahaus verlegt, auf die dortige Corona-Station.

Zu den häufigsten in Studien beobachteten Symptomen von Long Covid gehören Müdigkeit und Erschöpfung, Kopfschmerzen, Atembeschwerden, Geruchs- und Geschmacksstörungen, kognitive Beeinträchtigungen (sogenannter Gehirnnebel), depressive Verstimmungen, Schlaf- und Angststörungen. Es liegen nach Angaben des Robert-Koch-Instituts keine gesicherten Angaben über die Verbreitung von Long Covid vor. Eine deutsche Studie kam zu dem Ergebnis, dass bestimmte Symptome bei einem von zehn Patienten mit mildem Krankheitsverlauf fortbestehen bleiben.

„Es ging zügig bergab“, erinnert sich Gaby Beumer heute. Die Ärzte mussten die Sauerstoffzufuhr immer weiter erhöhen, der Zustand der Patientin verschlechterte sich rapide. Schließlich musste sie ins künstliche Koma versetzt werden. „Ich hatte noch die Gelegenheit, mich telefonisch zu verabschieden“, erzählt sie. Nur die jüngste Tochter erreichte sie nicht, die war in der Schule.

Es waren dramatische Momente auf der Intensivstation, die Gaby Beumer auch heute noch sehr bewegen. „Ich werde doch wieder wach?“, fragte sie die Ärzte. Die aber hatten keine Antwort: „Das entscheidet ihr Körper. Sie sind sehr schwer krank.“

Und dann entschwand sie in eine tiefe Bewusstlosigkeit, nicht wissend, ob sie jemals daraus erwachen würde. Dazu kamen die Albträume: „Habe ich das Recht zu leben oder sind andere es mehr wert als Du?“ Solche Träume habe sie auch heute noch: „Ich denke, ich kriege keine Luft und will einfach nur atmen.“

Nach neun Tagen im Koma war der Kampf entschieden. Gaby Beumer hatte gewonnen: „Die Ärzte haben gesagt, ich sei ein kleines Stehaufmännchen gewesen.“ Nach 14 Tagen konnte sie die Intensivstation verlassen, aber der Kampf mit der Krankheit hat Spuren hinterlassen. Viel mehr: Er dauert noch an.

Long Covid heißt die Krankheit nach der Krankheit, schätzungsweise rund zehn Prozent der von der akuten Infektion Genesenen leiden darunter. Bei ihnen bleiben viele Krankheitssymptome, sie sind kurzatmig, leiden unter Konzentrationsstörungen. Die Ausprägungen sind vielfältig, ob eine vollständige Genesung möglich ist, ist bislang noch unklar.

Auch für Gaby Beumer geht der Kampf weiter. „Noch auf der Intensivstation habe ich gedacht, ich will lieber sterben. Ich will keine Belastung sein“, sagt sie. Nach sechs Wochen verlässt sie das Krankenhaus, sie will nicht mehr, die Ärzte hätte sie lieber sofort zur Kur geschickt. Jetzt muss sie sich bis April nächsten Jahres gedulden, die Nachfrage ist groß. Mehr Corona-Patienten bedeuten auch mehr Long-Covid-Patienten.

Noch ist unklar, wie groß das Problem eigentlich ist

Es wird erst jetzt deutlich, wie groß das Problem ist. Immerhin haben schon mehr als vier Millionen Menschen in Deutschland eine Infektion durchlaufen. Viele merken davon nichts mehr, andere werden womöglich ihr Leben lang damit zu kämpfen haben oder sich langsam zurückkämpfen müssen.

Gaby Beumer weiß, was das bedeutet. In der Wohnung kann sie laufen, Treppensteigen fällt schwer, sonst ist die auf den Rollator angewiesen. Aber die knapp zwei Kilometer in den Ortskern von Legden zurücklegen, ist – Stand heute – utopisch. Autofahren ist ebenfalls nicht möglich.

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„Wenn ich früher gekocht habe und merkte, dass da zwei Paprika fehlen, dann habe ich mich eben ins Auto gesetzt“, erinnert sie sich. „Oder ich möchte einfach duschen gehen, wenn es mir passt.“ Sie verlasse den Hof kaum, weil sie sich für den Rollator schäme.

Corona hat Gaby Beumer mitten aus dem Leben gerissen. Die Familie gibt der Mutter von vier Kindern Halt, zwei wohnen noch zu Hause. Zwei Enkel hat sie schon, bald wird sie zum dritten Mal Oma. Das gibt Lebensmut, dabei hilft ihr auch Enkel Theo, der um die Ecke wohnt. „Es ist schwer zu sehen, dass sie nicht so kann, wie sie will“, sagt Ehemann Egon Beumer.

Geduld und Kampfgeist sind gefragt

Am Ende werden sie alle sehr viel Geduld aufbringen müssen, um die Folgen dieser tückischen Krankheit zu überwinden. „Ich muss mich dem Umstand fügen, dass ich Zeit brauchen werde, bis ich wieder die Alte bin“, meint Gaby Beumer. „Es geht besser, aber das reicht mir einfach nicht.“

Und eine Botschaft hat sie noch für die Menschen, die das mit Corona locker nehmen: „Es muss spätestens jetzt jedem klar sein, dass man sich impfen lassen muss.“ Als sie erkrankte, hatte sie noch nicht die Möglichkeit bekommen, sich eine Spritze abzuholen. Die aber hätte sie mit großer Wahrscheinlichkeit vor ihrem heutigen Schicksal bewahrt.