Ein Legdener Ehepaar hat sich auf eine ganz spezielle Herausforderung eingelassen. Ganz bewusst. Die Meiers* (alle Namen von der Redaktion geändert) sind „Gasteltern“ eines Kindes, das nicht ihr leibliches ist. „Wir wollen Kindern helfen, die nicht ein so glückliches Zuhause haben“, nennen sie ihr Motiv. In diesem Fall ist Sara das neue Familienmitglied, die zwar jung an Jahren ist, aber einen ganzen Koffer an Lebenserfahrung mitgebracht hat. Die Eltern sind alkoholkrank, die kleine Sara, ein Einzelkind, erlebt die vielen Facetten von Gewalt – körperlicher wie psychischer.
Kurzum: Die Eltern tun sich schwer mit der Betreuung und Erziehung ihrer Tochter. Das Jugendamt wird aktiv und gerichtlich die „Inobhutnahme“ angeordnet. Da kommt „JuMeGa“ (Junge Menschen in Gastfamilien) ins Spiel, ein Projekt der „Evangelischen Jugendhilfe Münsterland“, das Kindern und Jugendlichen mit Belastungen eine neue Umgebung bieten möchte, in der sie Sicherheit und Stabilität erfahren und sich so auf den Weg zu mehr Selbstvertrauen machen können.
Die Familie muss passen
Ziel von JuMeGa ist es, wie Teammitglied Thomas Frank sagt, die „passenden Familien für die Kinder und Jugendlichen zu finden“. Für Sara gelingt das aber erst im zweiten Anlauf. In der ersten Umgebung fühlt sie sich nicht wirklich willkommen. So kommen schließlich Familie Meier und Sara zusammen. Durch eine Anzeige wird das Ehepaar auf die Jugendhilfe-Initiative aufmerksam und meldet sich. Eine längere Kette der Kontaktaufnahme schließt sich an.
Dem ersten Treffen folgen immer länger werdende Aufenthalte bis hin zu Übernachtung und einer vierwöchigen „Probephase“. Alles in Begleitung und Abstimmung mit der fortan für sie zuständigen JuMeGa-Mitarbeiterin Iris Ebbing (54). Die ist von Anfang an davon überzeugt: „Sara hat eine Familie gesucht.“ Und offenbar auch gefunden. Allerdings liegt auch eine intensive Zeit der gegenseitigen Annäherung mit Höhen und Tiefen hinter der ganzen Familie. Ein „Hausbesuch“.
Sara ist ein recht aufgewecktes, munteres Kind, besucht eine weiterführende Schule, liebt Sport und Tanzen und hat zu den Eltern und ihrer Schwester eine recht positive Beziehung aufgebaut. Auch wenn sie so anders ist als erwartet. „Sie wurde uns als schüchternes, scheues Kind angekündigt“, sagt Nicole. Davon ist der „neuen“ Sara nichts mehr anzumerken. Unbefangen und sprachgewandt erzählt sie von ihrem alten Leben. Auch davon, wie traurig sie war, als sie ihre Eltern verlassen musste. Es klingt fast erwachsen, wenn sie sagt: „Ich weiß aber, dass es besser für mich ist.“
Ihr Vater gehört aber inzwischen wieder dazu. Der hat sich für einen Neuanfang entschieden und Arbeit gefunden, sodass (begleitete) Treffen mit der Tochter wieder möglich und auch erwünscht sind. Anliegen von JuMeGa sei es nämlich nicht, Kinder dauerhaft von ihren Familien zu trennen, betont Iris Ebbing.
Intensive Phase der Annäherung
Spürbar ist aber, dass Sara ihre neue Umgebung in Legden nicht als vorübergehende Bleibe ansieht. Sie spricht ganz selbstverständlich von ihren Eltern, von ihrer Schwester. Das heißt aber dennoch, dass sich alle Familienmitglieder an das neue Miteinander, den gemeinsamen Alltag, erst herantasten mussten. Für alle keine leichte Aufgabe, herauszufinden, wie der jeweils andere tickt.
Es gibt viel Verständnis der Gast-Eltern, aber eben auch Regeln für den Alltag, die nicht immer auf freudige Zustimmung stoßen. Zumal ganz aktuell auch bei Sara schon Anzeichen von Pubertät erkennbar werden, was besonders Mutter Nicole zu spüren bekommt. Die „klassischen“ Mutter-Tochter-Reibereien gibt es eben auch hier. Wichtig ist Nicole aber, gerade in angespannten Situationen, zu erklären, zu überzeugen.
Einen durchaus intensiven und teilweise auch herausfordernden Weg sind das Ehepaar Meier und ihre Töchter schon gemeinsam gegangen und ein noch längerer liegt vor ihnen. Sara scheint angekommen zu sein, sitzt nicht mehr auf gepackten Koffern. Für die ganze Familie steht jedenfalls fest: „Hier bei uns soll Saras letzte Station sein“. Und Iris Ebbing und das ganze JuMeGa-Team haben ein gutes Gefühl, dass das auch klappen wird.
Steigender Bedarf
Zwar gibt es zahlreiche andere Beispiele für ihre erfolgreiche Arbeit, aber eben auch das: „Natürlich liegen wir auch manchmal falsch.“ Thomas Frank: „JuMeGa ist eine besondere Betreuungsform für junge Menschen, die durch die Maschen der sonstigen Jugendhilfeformen fallen. Die Erfahrungen zeigen, dass ein familiäres Umfeld vielen Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit bietet, Beziehungen einzugehen, sich zu stabilisieren und emotional sowie sozial zu reifen. Das Leben in einer Gastfamilie kann kurzfristig oder auf längere Zeit angelegt sein.“

Wie Thomas Frank, Iris Ebbing und ihre Kollegen Gabi Sassowski und Clemens Brockhoff vom JuMeGa-Team Süd festgestellt haben, steigt der Bedarf einer alternativen Lebensform für belastete Kinder und Jugendliche: „Es wird heute mehr hingeschaut, Verhaltens-Auffälligkeiten, Verletzungen werden in Schule, Kita, beim Arzt früher festgestellt.“ Außerdem seien die gesetzlichen Vorgaben für eine Meldepflicht verschärft worden.
Bevor es aber die richterliche Entscheidung der „Inobhutnahme“ gibt, muss auch ein externer Gutachter eingeschaltet und anschließend zusammen mit dem Jugendamt herausgefunden werden, was das Beste für das Kind, ob eine (Gast-Familie) das Richtige ist. Kinder, die schlimme und schlimmste Erfahrungen mitbringen, traumatisiert sind, sich selbst verletzen oder in Traumwelten flüchten, Total-Verweigerung, Aggression – alle Reaktions-Facetten hat das JuMeGa-Team schon erfahren.
Transparente Vorgeschichte
Gerade deswegen sei es so wichtig, dass man „offen und ehrlich“ gegenüber potenziellen Gastfamilien sei, damit die nicht „überrascht“ seien. Außerdem gehöre die engmaschige und dauerhafte Begleitung und professionelle Beratung durch das JuMeGa-Team, die 24-Stunden-Bereitschaft, zur JuMeGa-„Garantie“.
Gastfamilien müssen übrigens keine Familien im engen Sinne sein, auch Paare oder Einzelpersonen können sich angesprochen fühlen.
Ganz wichtig: Eine pädagogische Qualifikation müssen Gasteltern nicht mitbringen. Es gibt auch kein aufwendiges Bewerbungsverfahren, auch keine Erwartungen an die Gastfamilien-Eltern, an Schulungen teilzunehmen. Gleichwohl gibt es für diese anspruchsvolle Aufgabe ein entsprechendes Entgelt. Am Donnerstag, 7. September, ist für Interessierte um 19 Uhr am Berkelweg 2a in Gescher ein Infoabend geplant. Kontakt: Thomas Frank, Tel. (0151)18224168 oder frank@ev-jugendhilfe.de
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