Als Möbel und Vieh noch in Waggons verschickt wurden Erinnerungen an den Legdener Bahnhof

Als von Legden aus Möbel und Vieh in Waggons verschickt wurden
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Der Bahnhof Legden steht, wie die anderen im Land, die Ende des 19. Jahrhunderts gebaut wurden, für technischen Fortschritt und das Erblühen einer Kommune. Er ist aber auch der Ort von Ankunft und Abschied, von Freude und Trauer, von Begegnungen und einer, an dem unendlich viele Erinnerungen kleben. Den Impuls für den Bau geben Dortmunder Geschäftsleute, die Gründer der „Dortmund-Gronau-Enscheder-Eisenbahngesellschaft“.

Und das aus gutem Grund: Das westliche Münsterland ist vom großen Verkehr in die wichtigen Industrie-Regionen (Ruhrgebiet, Holland) abgehängt - auch vom innerdeutschen Streckennetz. Die Konsequenz: Abwanderung von Betrieben. Das ändert sich am 30. September 1875, als die Bahnstrecke Dortmund-Enschede (Westmünsterlandbahn) offiziell eröffnet wird. Zeitgleich entsteht auch der Bahnhof Legden mit Empfangsgebäude, Schalterraum, Wartesaal, Betriebswohnung, Garten, Güterschuppen, Stellwerk und auch einer Bahnhofswirtschaft.

Dirk Räckers vor dem Bahnhofsgebäude
Dirk Räckers hat den Bahnhof Legden vor 25 Jahren ersteigert. Seit 1989 ist das Gebäude eingetragenes Denkmal. © Christiane Hildebrand-Stubbe

Bahnhofs-Erinnerungen

Hermann Terhörst, dessen Großmutter (Toni Dapper), später seine Mutter (Hedwig Decker) und danach Klärchen Blanke und Maria Roters die Bahnhofswirtschaft führen, hat in seiner Erinnerungskiste gekramt. Eine kleine Zusammenfassung. Beim Blick auf das Bahnhofsgebäude fällt früher sofort der Wartesaal mit kleinem Thekenraum ins Auge Hinter der Theke führt eine Einstiegsluke in den Keller, wo Bier und andere Getränke kühl lagern.

Durch eine Innentür geht es vom Wartesaal in den Schalterraum, der Zutritt ist aber auch durch eine seitliche Außentür direkt möglich. Neben Fahrkartenverkauf und Fahrplanauskünften können hier auch kleinere Güter, die mit dem Personenzug transportiert werden, geregelt und anschließend an der Rampe des Güterschuppens nebenan abgegeben werden.

Ein Bild aus alten Tagen, als der Bahnhof Legden noch voll in Betrieb war.
Ein Bild aus alten Tagen, als der Bahnhof Legden noch voll in Betrieb war. © privat

Eine zweite seitliche Außentür (rechts vom Gebäude zur Straßenseite) führt ins Treppenhaus der Dienstwohnung und zum WC des Bahnhofs, das nur mit Genehmigung des Bahndienstes benutzt werden darf. Zwischen Schalterraum und Güterschuppen liegt das Verwaltungsbüro des Bahnbeamten.

Alles echte Handarbeit

Daneben befindet sich der große Funktionsraum. Schranken, Weichen und Signalgeräte für die ursprünglich mal zwei Gleise werden alle per Handkurbel bedient. Durch eine Außentür gelangt der Bahnbedienstete auf den Bahnsteig, um dort Ankunft oder Abfahrt der Züge per Handsignal zu regeln. Fahrgäste müssen dort am Kontrollhäuschen vorbei und ihre Fahrkarte ablochen lassen. Gelegentlich übernimmt das auch die Bahnhofswirtin stellvertretend für den Bahnbediensteten.

Der ehemalige Güterschuppen wird heute nur noch privat genutzt.
Der ehemalige Güterschuppen wird heute nur noch privat genutzt. © Christiane Hildebrand-Stubbe

Die wichtigste Funktion hat der Bahnhof Legden als Be- und Entladestation von Gütern. Bis 1981 werden Schlachttiere hier ebenso verladen wie Holz, Möbel, Futtermittel, Kohle und Koks und über die beiden Gleise am Legdener Bahnhof verschickt.

Einige Beispiele: Der Legdener Möbelhersteller Uppenkamp bringt bis Ende der 1950er-Jahre einen Großteil der Möbel per Wagon zu seinen deutschlandweiten Kunden. Heinrich Hamm, Fuhrmann von der Schulstraße, bringt die Wohnzimmerschränke mit Pferd und Wagen vom Betrieb an der Hauptstraße zum Bahnhof, wo Versandleiter Robert Muckelmann diese an der Rampe des Güterschuppens in Empfang nimmt und für den Weitertransport und ordnungsgemäße Verladung sorgt. Mindestens ein bis zwei Waggons Möbel sind das täglich.

Bullenjagd am Bahnhof

Über eine spezielle Rampe erfolgt auch der Viehtransport. Nicht immer läuft das problemlos. Mehrfach müssen die Viehhändler auf Bullenjagd bis in die angrenzende Siedlung gehen. Schweine und Bullen werden nach dem Krieg vornehmlich durch die Viehhändler Bernhard Enseling (Asbeck) und Erich Vinkelau (Legden) nach Gelsenkirchen und Essen zu den dortigen Schlachthöfen verladen.

Vorher hatte schon Fritz Bürger aus Asbeck als bedeutender Pferdehändler in Westfalen, Reit-und Wagenpferde per Waggon von Legden aus an das Militär in ganz Deutschland geliefert. An die Viehverladerampe schließt sich die Waggon-Anlieferungsstelle für den Eisentransport an die Firma Wilhelm Große Glanemann an, wo Hermann Terhörst als Auszubildender selbst viele Waggons mit abgeladen hat.

Einsatz am Bahnhof. Hier wird Eisen für das Unternehmen Glanemann abgeladen.
Einsatz am Bahnhof. Hier wird Eisen für das Unternehmen Glanemann abgeladen. © Privat

Eine Lagerstätte befindet sich am Bahnhof auch für die vornehmlich vom Legdener Holzfuhrunternehmen Kleideiter aus den Wäldern und der Bröke „gezogenen“ Fichtenstämme. Diese werden als Grubenhölzer von den Zechen des Ruhrgebietes gebraucht. Die Kohlenhandlung Börst aus Legden bezieht Kohle, Koks, Briketts, in schlechten Zeiten sogar minderwertige Schlammkohle. Daher stammt auch der Spitzname „Schlammkohlen Alfons (Börst)“.

Über einen eigenen Gleisanschluss werden noch bis in die 1970er-Jahre Dünger, Kohlen und andere Waren zum 500 Meter weit entfernten Kornhaus geliefert. Über eine Rutsche bis direkt in den Keller.

Der Weg in die Zukunft

Über die Jahrzehnte aber lässt die Attraktivität des Gütertransports über die Schiene nach und bekommt durch Bus und LKW immer mehr Konkurrenz. 1981 wird die Notbremse gezogen, Personen- und Güterverkehr werden eingestellt. Letzter Bahnhofsvorsteher ist August Gehlmann, der bis 1961 mit seiner Frau Elisabeth die Dienstwohnung am Bahnhof nutzt. Anschließend werden Wohnung und Gebäude vermietet und stehen dann eine Zeitlang leer. Bis Dirk Räckers als neuer Besitzer in Erscheinung tritt.

Da die Strecke aber nie stillgelegt wird, kann sie Ende der 1990-er/2000er Jahre reaktiviert werden und soll sogar in Zukunft saniert und weiter ausgebaut werden. Das inzwischen private Bahnhofsgebäude wird das aber nicht betreffen.

Ein heutiger Blick auf den hinteren Teil des Bahnhofgebäudes.
Ein heutiger Blick auf den hinteren Teil des Bahnhofgebäudes. © Christiane Hildebrand-Stubbe

Was aber bleibt vom historischen Bahnhof ist auch so manche Anekdote. Wie diese. So soll der dortige Wartesaal 1911 den Spielern des SuS, die ganz in der Nähe ihren ersten Sportplatz hatten, als Umkleide gedient haben. Sehr zum Missfallen des Pastors Hockenbeck , der daraufhin ein Verbot erwirken wollte, weil man ja die nackten Hinterteile der Sportler erblicken könne. Ein erfolgloser Versuch. Und Ende der 1990er-Jahre wird der Legdener Bahnhof sogar „Einsatzort“ von Atomkraftgegnern: Aus Protest gegen Castor-Transporte ketten sich einige von ihnen dort an den Schienen an.

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