Stammt der Parma-Schinken eigentlich ursprünglich aus Westfalen?

© Andreas Zabel

Stammt der Parma-Schinken eigentlich ursprünglich aus Westfalen?

rnGenießer-Stücke aus der Region

In den besseren Dortmunder Metzgertheken ist der Münsterländer Schinken Stammgast. Vor den berühmten italienischen Schinken muss er sich nicht verstecken. Vielleicht hat er sie sogar inspiriert.

von Tom Thelen

Dortmund

, 26.02.2021, 05:30 Uhr / Lesedauer: 3 min

Goldgelbe Schwarte, innen aber leuchtend rot, satt nussig schmeckend und dann so dünn geschnitten, dass man die Zeitung dadurch lesen kann. Ein sinnlicher, echter Genuss. Westfälischer Knochenschinken ist ein Manufaktur-Produkt, reine Handarbeit, regional verwurzelt und historisch perfektioniert.

Seit Generationen schon wird er etwa auf Gut Erpenbeck nördlich von Münster bei Ladbergen produziert - doch das stolze Selbstbewusstsein im internationalen Vergleich ist immer noch relativ jung. Dabei können sich Ulrich und Sohn Henner Erpenbeck auf ganz große Traditionen berufen.

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Genießer-Stücke aus der Region

In unserer Serie „Genießer-Stücke aus der Region“ stellen wir besondere kulinarische Produkte aus Dortmund und der Region vor.

Dachte der weltgewandte Gourmet in den letzten Jahrzehnten an Schinken, dann kamen ihm nicht unbedingt Produkte aus der Heimat in den Sinn. Waren da nicht der Aoste-Schinken aus den Savoyer Alpen, der Bayonner aus dem Baskenland, der San-Daniele, der Parma, der Culatello vom Stiefel, der Serrano, Jamon Iberico, Bellota oder auch Pata Negra aus Spanien? Doch darüber geriet die Klasse des heimischen Produktes vielerorts aus dem Blick.

Schon im Frühmittelalter produziert

Dabei verfügt das Genussmittel aus Westfalen über eine bemerkenswerte Tradition, wurden doch schon seit dem Frühmittelalter die Schinken, die ihren Geschmack vor allem den Röhrenknochen verdanken, die bei der Produktion im Schinken verbleiben, vertrieben und gehandelt.

Auf Gut Erpenbeck spielte sich im November 2013 Historisches ab. Hier wurde der „Westfälische Knochenschinken“ nach neun langen Jahren harter Arbeit geadelt. Am 25. November zog er mit einem kleinen Festakt feierlich in das europäische Register der geschützten Ursprungsbezeichnungen und der geschützten geografischen Angaben ein.

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Jetzt darf das Produkt unter bestimmten Voraussetzungen die Bezeichnung „g.g.A.“ tragen, geschützte geografische Angabe.

Echter, handwerklich gefertigter westfälischer Knochenschinken wird auf Gut Erpenbeck gemacht, der jener Eintragung ins Markenschutzregister für regionaltypische Spezialität der EU entspricht. Er hat natürlich hohe Spezifikationsanforderungen. Nur so spielt er fortan in einer Liga mit der Aachener Printe, dem Champagner und dem Cognac, dem Parmesankäse.

Was ist wichtig, kriegsentscheidend: Zunächst einmal muss der Schinken in der Region Westfalen hergestellt werden, exakt umrissen. Aus historischen Gründen zählt zudem die Grafschaft Bentheim dazu.

Von Hand gesalzen

Weiteren Kriterien: Mindestens 80 Prozent der Schinken müssen aus der Region stammen. Auch die Verarbeitung ist definiert: Der westfälische Schinken wird von Hand gesalzen. Diesem Pfannensalz werden nach je hofeigener Rezeptur natürliche Würzmittel - wie Wacholder, Nelken, Piment - zugegeben.

Nach der von Hand zu tätigenden Salzung - das Salz hat die Aufgabe, das Fleisch haltbar, zugleich rot und zart zu machen und dem Schinken andauernd das Wasser zu entziehen - ruht der Schinken meist gut sechs Wochen in eigener Lake.

Der Juniorchef Henner von Gut Erpenbeck in der Räucherkammer

Der Juniorchef Henner von Gut Erpenbeck in der Räucherkammer © Andreas Zabel

Das Salz muss derweil bis an den Knochen ziehen, weil an dieser Stelle sonst Schimmel entstehen kann. Nach dem Pökeln im Lakebad „zieht“ der Schinken drei bis fünf Tage, dann wird das Salz abgewaschen und das Fleisch kommt für mindestens 6 Monate in die Trockenkammer. Diese werden „Wiemen“ oder „Bosen“ genannt.

Während der getrocknete Knochenschinken bis zum Schluss hier verbleibt, nehmen einige Exponate gegen Ende der Trocknungszeit noch den Weg in die Rauchkammer, wo sie über Buchenholz (hier auf Erpenbeck aus dem eigenen Wald!) und manchmal anderen Hölzern (Betriebsgeheimnis) zum geräucherten Westfälischen Knochenschinken werden.

300 Spargelproduzenten werden beliefert

Ulrich und Henner Erpenbeck haben mit enormem Fleiß und handwerklichem Geschick den Hof gegenwartsfest gemacht. Heute beliefern sie über 300 „Kollegen“, das sind Einzelhändler der Spargelbranche, mit ihrem Schinken. Die Spargelernte ist ein weiteres Standbein, tonnenweise wird das weiße Gold produziert und verkauft.

Dazu der opulente Weihnachtsmarkt auf dem Hof (bis zu 15.000 Besuchern an zwei Tagen in Vor-Corona-Jahren), der Weihnachtsbaum-Verkauf, das Kaminholz, die Besichtigungen, die renovierten und vermieteten Kotten und der Hofladen. Seit dem Dezember 2020 gehört auch ein Automatenverkauf dazu, der viele der Hofladenprodukte permanent offeriert.

Stammt der Parma-Schinken eigentlich ursprünglich aus Westfalen?

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Der Spargel-Schinken-Komplex an sich zeigt sich als geschlossenes Genuss-System. Die Erpenbecks kennen ihre Schweine, ihr Holz, ihr Salz und sogar die Lorbeer-Blätter aus eigenem Garten. Authentizität als Geschäfts- und Genussmodel.

Parma-Schinken aus Westfalen?

Und nein, das westfälische Produkt ist keineswegs der Parma-Schinken des Nordens. Das sei eher umgekehrt, so erfährt man hier. Alte Dokumente würden belegen, dass der Schinken aus Westfalen über die Alpen nach Italien gelangte. „Man darf also davon ausgehen, dass das Know-How von uns kommt“, sagt Henner Erpenbeck.

Dieses Selbstbewusstsein muss sich nun noch auf die Gourmets ausweiten, dann wird die Marke zur Weltmarke. Wer sicher gehen möchte das echte Produkt zu essen, der achte auf das Siegel, das von der „Schutzgemeinschaft Westfälische Schinken- und Wurstspezialitäten e.V.“ vergeben wird. Eine Liste zertifizierter Produzenten finden sich unter www.schinkenland-westfalen.de.

Weitere Artikel über kulinarischen Genuss in und um Dortmund finden Sie unter:

www.ruhrnachrichten.de/nachrichten/foodlover-dortmund

Service

Gut Erpenbeck verfügt über einen Hofladen und einen Online-Shop

Gut Erpenbeck, Erpenbecker Str.128, 49525 Lengerich.
Aktuelle Öffnungszeiten: Montag – Freitag 9-12.30 & 15-18 Uhr, Sa 9-12.30 Uhr. gut-erpenbeck.de
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